Gewalt in der Geburtshilfe: So häufig ist sie wirklich
Eine Geburt verlangt Körper und Psyche einiges ab. Hinzu kommt, dass viele Gebärende Gewalt im Kreißsaal erleben, etwa in Form von körperlicher, emotionaler oder psychischer Misshandlung durch das Geburtshilfeteam. Wie kannst du dich schützen?
- © Getty Images/Fly View Productions
Ganz genau können selbst die informiertesten Schwangeren nicht wissen, was während der Geburt auf sie zukommt. Manche fürchten sich zudem vor den Wehenschmerzen. Halt und Sicherheit gibt ihnen oft der Gedanke an unterstützendes Personal der Geburtshilfe, wie die Hebamme.
Besonders ernüchternd ist deshalb die Erkenntnis, dass rund 20 bis 45 Prozent der werdenden Mütter Gewalt unter der Geburt durch Ärzt*innen, Pflegepersonal sowie Hebammen erfahren. Das Tückische: Die Frauen sind in einer Ausnahmesituation und daher nahezu völlig ausgeliefert.
Formen von Gewalt unter der Geburt
Dabei werden verschiedene Formen und Ebenen der Gewalterfahrung unterschieden.
Emotionale und psychische Gewalt
Emotionale und psychische Gewalt bezieht sich auf die Abwertung der Mutter beispielsweise durch Worte. Aber auch die fehlende Kommunikation über nächste Schritte fällt hierunter. Daneben kann es eine Form von Gewalt sein, die Gebärende sich selbst zu überlassen, obwohl sie Unterstützung angefordert hat.
Weitere mögliche Beispiele sind Witze und abschätzige Bemerkungen über die Mutter, etwa in Bezug auf ihre Herkunft, ihr Aussehen oder wie sie sich unter der Geburt "anstellt". Auch Aufforderungen, leise zu sein unter den Strapazen der Entbindung, Anschreien oder die Verweigerung einer Schmerzmittelgabe fallen unter emotionale Gewalt.
Ebenso kann es als gewaltsam erlebt werden, wenn Ärzt*innen den Kreißsaal betreten, kein Wort mit der Gebärenden wechseln und direkt zwischen die Beine greifen, um den Muttermund abzutasten.
Physische Gewalt
Als physische Gewalt gelten alle Maßnahmen, die die körperliche Unversehrtheit der Mutter gefährden oder die Schmerzen auf ein unerträgliches Maß steigen lassen. Hierunter fallen etwa das ständige schmerzhafte Betasten des Muttermunds oder medizinische Eingriffe ohne Zustimmung der Mutter wie:
- einen Dammschnitt,
- Kaiserschnitt
- Kristeller-Handgriff (Druck auf den Bauch zur Beschleunigung der Geburt)
Daneben gibt es Fälle, in denen Frauen festgehalten oder festgeschnallt werden, damit sie in einer für das Personal komfortablen Position gebären. Auch sollten Patientinnen stets darüber aufgeklärt werden, welche Medikamente verabreicht werden und welche Risiken damit verbunden sind.
Generell gilt: Auch wenn eine Frau ein Kind bekommt, ist sie eine mündige Bürgerin und möchte selbstbestimmt mitentscheiden, was mit ihrem Körper passiert. Auch rechtlich ist dies verankert. Patientinnen haben ein Recht auf
- Information,
- Einwilligung,
- Aufklärung
- und die Einsicht in die Patientenakte.
Darüber hinaus ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit im Grundgesetz geregelt.
Strukturelle Gewalt
Neben der emotionalen und physischen Ebene, gibt es noch eine strukturelle Ebene. Darunter fällt die Mangelversorgung schwangerer Frauen aufgrund fehlenden Personals sowie fehlender Räumlichkeiten. Dies kann sich etwa in der Abweisung einer Frau in den Wehen vor der Kliniktür äußern oder auch in einer mangelnden Versorgung unter der Geburt.
Personalengpässe führen etwa dazu, dass Frauen in den Wehen allein gelassen werden und sich hilflos fühlen, da gleichzeitig noch weitere Gebärende versorgt werden müssen. Zudem kann ein Mangel an Geburtspersonal andere Formen von Gewalt begünstigen, weil keine Zeit ist, auf die Bedürfnisse einzelner Frauen einzugehen und Hebammen, Pflegekräfte und Ärzt*innen überarbeitet sind.
Hinzu kommt, dass die natürliche Geburt für Krankenhäuser wenig lukrativ ist. Es besteht ein geschäftliches Interesse, den Prozess so kurz wie möglich zu halten oder auch einen Kaiserschnitt durchzuführen. Auch dies fördert Gewalt gegen Frauen im Kreißsaal.
Wie kann ich mich schützen?
Schwangere Frauen tun gut daran, sich über Gewalt in der Geburtshilfe zu informieren. Nur so können sie mögliche Fehlbehandlungen unter der Entbindung auch richtig einschätzen. Der beste Schutz ist ein großes Wissen über die Geburt selbst, Abläufe in der Klinik und die eigenen Rechte.
Auch wenn Tipps gegeben werden, wie Frauen sich schützen können, ist ganz klar: Gebärende, die Gewalt unter der Geburt erfahren, tragen keine Verantwortung. Die Schuld liegt bei der gewalttätigen Person.
Weitere Tipps für werdende Mamas
Sprich mit deinem*deiner Partner*in oder deiner Begleitperson für die Entbindung über das Thema: Wenn du gerade in den Wehen liegst, brauchst du an deiner Seite einen Menschen, der sich für dich einsetzt. Die Person sollte für das Thema sensibilisiert sein und sich im Zweifel schützend vor dich stellen.
Schreibe einen Geburtsplan und überlege dir gut, wie du entbinden willst. Dies kann dem Personal unter Stress helfen, auf dich einzugehen. Ebenso kann eine Geburtsverfügung vorab angelegt und der Geburtsklinik ausgehändigt werden. Hier legen Frauen fest, was unter der Geburt passieren darf und was nicht. Im Zweifel sind Fachkräfte an diese Weisung gebunden.
Achte bei der Wahl der Hebamme darauf, dass sie mit dem Thema vertraut ist und sich dagegen ausspricht. Stelle spezifische Fragen, um herauszufinden, wie der Umgang mit verschiedenen Situationen aussehen würde.
Eine Doula (Geburtsbegleiterin) kann zusätzlich engagiert werden. Sie ist geburtserfahren und betreut werdende Mütter unter der Geburt. Die Doula kann ebenfalls helfen, Gewalt unter der Geburt zu vermeiden.
Die Entbindung in einem hebammengeleiteten Kreißsaal oder einem Geburtshaus kann eine gute Wahl sein. Hier sind weniger ärztliche Fachkräfte zugegen, die Atmosphäre gilt als entspannter und es bleibt mehr Zeit, sich um die Bedürfnisse der Mutter während des Geburtsprozesses zu kümmern. Nur im Notfall wird ärztliche Hilfe hinzugeholt.
Eine Safety Card mit Fragen zu Eingriffen unter der Geburt kann im Notfall helfen, das Recht auf Information wahrzunehmen, die richtigen Fragen zu stellen und eine angemessene Entscheidung zu treffen. Einen Vordruck zur Safety Card für die Geburt findest du hier.
Hast du eine traumatische Geburt erlebt? Hilfe findest du unter anderem unter: www.gerechte-geburt.de
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