Oxytocin - gegen Angst und für Beziehungen
Bitte etwas Kuschelhormon!
Ein Molekül schafft Vertrauen, schärft soziale Wahrnehmung und könnte bald auch gegen Ängste wirken. Von Magnus Heier
Erfolg im Beruf, Erfüllung in der Liebe, jeder wird Ihnen vertrauen: "Sie werden mehr erreichen, als Sie sich jemals erträumt haben." So das Versprechen eines amerikanischen Internetshops. Der Durchbruch in Beruf und Liebe kostet nur 49,95 Dollar für das größere Fläschchen - mit Rückgabegarantie. "Liquid-Trust", flüssiges Vertrauen, heißt das Wunderparfüm, das das Leben in wenigen Tagen verändern soll. Mit geradezu unglaublichen Folgen: "G aus Großbritannien" berichtet, daß sich ihre Trinkgelder verfünffacht hätten. Erfahrungsberichte auf der Homepage der Firma erzählen, wie ein paar Tropfen des Wundermittels zu beruflichem Erfolg und einer erfüllten Partnerschaft geführt haben. In wenigen Tagen.
Alles Betrug? Nicht unbedingt. Liquid Trust besteht nach Angaben des Herstellers aus Oxytocin, einem Hormon, das zunehmend in den Mittelpunkt der Beziehungsforschung rückt. Oxytocin wird in der Hirnanhangdrüse ausgeschüttet, wenn eine Mutter ihr Kind stillt - und wird umgekehrt als Medikament eingesetzt, um den Milchfluß zu fördern. Das Hormon wird auch beim Sex ausgeschüttet, bei Frauen und Männern gleichermaßen.
Oxytocin ist aber kein Lockstoff. Es wird nicht über die Atemluft, über Schweiß oder Speichel in die Umwelt abgegeben. Vielmehr dient es nur der körpereigenen Signalübermittlung. Allerdings läßt es sich von außen sehr einfach und schmerzfrei künstlich ins Gehirn bringen - über die Nasenschleimhaut. Als einfaches Nasenspray. Und das macht es für die Wissenschaft hochinteressant.
Als Parfüm allerdings soll keine wirksame Konzentration erreicht werden: "Es reicht nicht aus, einen Raum zu beduften. Man muß das Medikament als Nasenspray zu sich nehmen", sagt Markus Heinrichs vom Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Zürich. Und das erschwert die Sache: Wie bringt man eine unbekannte Person dazu, sich vor einem Gespräch ein unbekanntes Spray in die Nase zu sprühen?
Kommt Oxytocin allerdings direkt in die Nase, dann wirkt es tatsächlich: Es fördert das soziale Vertrauen, weshalb es auch als "Kuschelhormon" bezeichnet wird. Am eindrucksvollsten wurde die Wirkung in einem Verhaltensexperiment bewiesen, in dem die Versuchsteilnehmer mit echtem Geld spekulieren konnten: "Unsere Probanden bekamen jeweils einen festen Betrag von fünf Schweizer Franken und konnten diesen wahlweise behalten oder einem Treuhänder anvertrauen", sagt Professor Michael Kosfeld vom Institut für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich. Gaben die Probanden Geld an den Treuhänder, wurde der ursprüngliche Betrag verdreifacht. Der Treuhänder hatte aber keinerlei Verpflichtungen: Er konnte Teile des geschenkten Geldes zurückgeben - oder aber einfach alles behalten. Zudem wußten die Versuchspersonen nicht, wer ihr Treuhänder war.
Jetzt kam Oxytocin ins Spiel: Eine Hälfte der Probanden bekam das Hormon in die Nase gesprüht, die andere Hälfte ein wirkungsloses anderes Spray. Und tatsächlich: Die hormonbehandelten Teilnehmer vertrauten dem Treuhänder deutlich mehr Geld an. Dieses hormongetriebene Vertrauen funktionierte allerdings nicht, wenn die Probanden sich einem Computer gegenübersahen. Dort blieben sie mißtrauisch. "Wir waren schon überrascht, mit einem einzelnen Neuropeptid das Verhalten eines Menschen verändern zu können", sagt Kosfeld. "Wirtschaftliches Verhalten hat offensichtlich mit sozialen Präferenzen zu tun und nicht nur mit der reinen, sachlichen Risikoeinschätzung. Das einfache Bild des Homo oeconomicus greift zu kurz."
Die Studie, die in Nature veröffentlicht wurde, war ein voller Erfolg: "Innerhalb von nur vier Tagen erschienen darüber 640 populärwissenschaftliche Artikel - wir hingen nur noch am Telefon", sagt Markus Heinrichs.
Doch inzwischen hat er noch eine weitere Wirkung des "Kuschelhormons" entdeckt: die soziale Kompetenz. In den nächsten Tagen erscheint in der Zeitschrift Biological Psychiatry eine Studie, in der die Versuchsteilnehmer die Gefühle ihrer Mitmenschen einschätzen sollten. In einem sogenannten "Reading-the-mind-in-the-eyes"- Test sollten die Teilnehmer beurteilen, ob die Person auf einem gezeigten Foto Glück, Trauer, Ekel oder Angst empfindet. Dabei wurde jeweils nur ein Ausschnitt des Gesichts gezeigt: die Augen. Das reicht in 98 Prozent der Fälle aus, um die Gefühle des Gegenübers präzise einzuschätzen. Allerdings gibt es auch schwierig zu deutende Ausdrücke. "Und bei diesen liegt die Trefferquote nur noch bei 50 Prozent - man könnte auch eine Münze werfen", sagt Heinrichs.
Wieder kommt Oxytocin ins Spiel, wieder wurde eine Hälfte der Probanden mit dem Hormon, die andere mit einem wirkungslosen Nasenspray behandelt. Wieder gab es einen entscheidenden Unterschied: "Unter Hormoneinfluß stieg die Trefferquote bei 20 der 30 Männer signifikant an", sagt Heinrichs. "Wir wollen den Versuch nun mit Autismus-Patienten wiederholen." Denn es könnte sein, daß ein Oxytocinmangel Teil der Ursache dieser Krankheit ist, bei der die Patienten nur auf sich selbst bezogen leben.
Die mögliche Anwendung geht aber weiter. Auch bei Angststörungen könnte das Hormon unterstützend eingesetzt werden. Es geht allerdings nicht darum, eine Verhaltenstherapie durch einen Hormonstoß zu ersetzten, sondern die Behandlung mit Hormonen zu unterstützen. Vor allem bei sozialen Ängsten klingt der Ansatz vielversprechend. Das Experiment läuft bereits: Angstpatienten erhalten vor einer Gruppensitzung jeweils das Hormon oder ein Placebo. Eine halbe Stunde später werden, Standard in der Angstbehandlung, die Verhaltensweisen trainiert, die die entsprechenden Ängste auslösen. Ziel ist es, aus dem klassischen Vermeidungsverhalten herauszukommen. Wer etwa aus Angst vor geschlossenen Räumen keinen Aufzug mehr benutzt, wird langsam, aber stetig an Aufzugskabinen herangeführt. Er soll die Angst nicht vermeiden, sondern provozieren und schließlich überwinden (siehe "Hormone gegen Angst").
Dabei könnte das Hormon helfen. Kurzfristig tut es das auch: Körperliche Symptome, die mit der Angst einhergehen - etwa ein hoher Puls oder schnelle Atmung - werden durch das Hormon reduziert. Offen ist allerdings, ob es sich nur um ein kurzfristiges Phänomen handelt oder ob die Angst auch langfristig mit hormoneller Hilfe leichter überwunden werden kann. Das wäre, vor allem bei sozialen Angststörungen, wünschenswert, denn sie sind ausgesprochen schwer zu therapieren.
Einen anderen Hinweis auf die Wirksamkeit von Oxytocin hat auch Beate Ditzen von der Emory University in Atlanta. Um die Wirkung des Hormons speziell in Beziehungskonflikten zu testen, stellte sie 50 Paaren die Aufgabe, sich im Labor zu streiten. "Sie sollten sich ein für sie besonders problematisches Thema suchen und wurden dann zwölf Minuten lang gefilmt." Auch hier bekam die Hälfte der Paare vor dem Versuch eine Dosis Oxytocin in die Nase verabreicht, die andere Hälfte jeweils ein Placebo. "Subjektiv berichteten die Paare von keinerlei Wirkung", sagt Ditzen. "Die behandelten Paare hatten aber nach dem Streit einen deutlich steileren Cortisolabfall - der Stress war offensichtlich schneller vorbei." Jenseits wissenschaftlicher Studien hat die Psychologin das Hormon auch an sich selbst ausprobiert und dann Streit mit ihrem Partner gesucht. "Ich konnte leider keine befriedende Wirkung feststellen."
Eine traditionellere Form der Vertrauensbildung und des Stressabbaus propagiert der Psychologe Stuart Brody von der University of Paisley: Sex. Der Wissenschaftler ließ 24 Frauen und 22 Männer Tagebuch über ihre sexuellen Aktivitäten führen - und setzte sie schließlich einem Stresstest aus: Sie mußten einen Vortrag halten und Rechenaufgaben lösen, immer unter Zeitdruck und immer an der Grenze ihrer Fähigkeiten. Die Stressreaktion wurde über den Blutdruck gemessen. Das Ergebnis: Die Probanden, die vor dem Stresstest Sex gehabt hatten, waren entspannter, der Blutdruck stieg weniger stark an und normalisierte sich schneller. Ob diese Wirkung über das Hormon Oxytocin oder andere Hormone vermittelt wird, weiß der Wissenschaftler noch nicht. Überraschend ist allerdings, daß die Wirkung etwa eine Woche lang anhält.
Bei Präriewühlmäusen hält die Wirkung von Oxytocin sogar ein Leben lang. Die Tiere haben Sex und bleiben sich anschließend für immer treu. Dabei spielt Oxytocin eine entscheidende Rolle: Es wird während des Liebesspiels in großer Menge ausgeschüttet und bindet die Partner anschließend. Wird dagegen das Hormon blockiert, fehlt der tierischen Treue die Grundlage - die Partner bleiben nicht zusammen.
So monokausal ist die Steuerung bei uns zum Glück nicht. Auch Oxytocin hat keine uneingeschränkte Macht über den Menschen. Aber es moduliert sein Verhalten. Trotz der vollmundigen Versprechungen der amerikanischen Firma ist ein Mißbrauch zur Willensmanipulation nicht zu befürchten - es scheint als Parfüm nicht zu funktionieren. Und wenn doch, hätte der Anwender ein ganz anderes Problem: Wer sich mit dem Parfüm bestäubt, nimmt durch die eigene Nase viel mehr Wirkstoff auf als sein Geschäftspartner. Und würde sich damit also eher selbst manipulieren.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.11.2006, Nr. 46 / Seite 71
Oxytocin - gegen Angst und für Beziehungen
ich glaube an diese zusammenhänge. wenn ich diesen artikel lese, dann kommt mir das alles sehr plausibel vor.
allerdings finde ich es eher kritisch, mit oxitocin nach lust und laune seine und andere nasen zu sprühen, um sozusagen ein kuschel-und wohlfühlviagra fürs sozialverhalten zu applizieren. vielleicht machts ja süchtig und dann stumpft man ab und ist schliesslich gar nicht mehr in der lage, selber hinreichend oxytocin auszuschütten :-(
ich hatte bei meinem ersten stillkind am anfang mal kurz oxytocin (als ich eine brustentzündung hatte). es hat wunderbar gewirkt. trotzdem habe ich es sehr schnell sein lassen, weil ich dachte, dass ich meinem körper zumuten darf, die nötige menge selber auszuschütten, auch wenns vielleicht etwas länger dauerte ;-)
aus meiner erinnerung heraus (es ist exakt 6 jahre her) , würde ich schon sagen, dass nebst dem schnell hervorgerufenen milchflussreflex sich mein allgemeines befinden schlagartig verbesserte, einem plötzlichen glücksgefühl nicht unähnlich.
lg, bea
Oxytocin - gegen Angst und für Beziehungen
Na, vielleicht können wir unzureichend bemutterten "Zivilisationsopfer" ja ein bisschen nachholen - mit Nasenspray. *g* (Will dazu sagen, Meditation hilft auch, und zwar dauerhaft und ohne Nebenwirkungen.)
Aber dennoch ein interessanter Artikel! Danke! :o)
Sonne
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