Die Natur kennt keine Sachmängelhaftung
Ich hatte mir zuvor schon im Internet angesehen, was uns eigentlich in 11+0 erwarten sollte. Und ich hatte auch gesehen, was auf den Bildern besser nicht zu sehen sein sollte.
Ich sehe die Nackenfalte auf der Leinwand und atme tief aus. Meine Frau merkt, wie ich im Stuhl zusammensacke - die Ärztin schweigt und misst zuerst die SSL. 3,35cm - grenzwertig klein, das Ultraschallgerät berechnet 10+2.
Dann misst sie kurz die Nackenfalte, die sich zum Teil auch über den Rücken erstreckt. 4mm stehen da.
Sie spricht mit uns. Das Herz schlägt, es scheint alles dran zu sein - aber die Nackenfalte sollte von einem Spezialisten abgeklärt werden. Und sie glaubt, eine Omphalozele zu erkennen.
Der nächste Termin bei der Pränataldiagnostik ist erst zehn Tage später. Zehn Tage in der Vorhölle. In diesen zehn Tagen recherchiere ich so ziemlich alles, was zu dem Thema im Internet zu finden ist. Ich lese ganze Dissertationen über das fetale Outcome in Abhängigkeit von Nackentransparenzen, Wahrscheinlichkeitstabellen für Chromosomenstörungen und Herzfehler, durchforste Foren wie dieses und werde Halbprofi im Interpretieren von Ultraschallbildern.
Klarheit und Ruhe finde ich keine. Ich schöpfe Hoffnung aus der Tatsache, dass eine NT-Messung erst ab 4,5cm SSL Sinn macht und eine Omphalozele durchaus noch physiologisch sein kann. Auf der anderen Seite sind die 4mm bereits jetzt schon relativ hoch - wo soll das enden? Oder vielleicht hat die Ärztin ja die Amionhaut mitgemessen?
So viele Optionen in beide Richtungen. So viele Berichte über auffällige Nackentransparenzen, die im nächsten Ultraschall verschwunden waren. Das Warten macht mich wahnsinnig.
Ich starre wieder auf eine Leinwand. Die Pränataldiagnostikerin muss gar nichts sagen. Selbst ein Laie erkennt eine Omphalozele, die fast so groß ist wie der Kopf des Kindes. Die Nackenfalte ist mittlerweile ein 9,7mm breiter Sack, der die gesamte Rückseite unseres Kindes umschließt.
So fühlt er sich also an - dieser Moment, in dem man realisiert, dass wohl alle Hoffnungen vergebens waren. Ich blättere gedanklich kurz durch eine der Dissertationen, die bei derart hohen NT primär einen Herzfehler und nicht Chromosomenstörungen als Ursache ausweist. Kann man vielleicht postnatal operieren - und die Omphalozele gleich mit.
Die Ärztin macht schweigend noch diverse weitere Messungen, sie will uns erst am Ende alles zusammenfassen. Das Herz schlägt, die Flusskurve erscheint und ich sehe gleich die negative A-Welle. Das mit dem Herzfehler scheint sich zu bewahrheiten.
Ich bekomme aber ohnehin nur noch die Hälfte mit, in meinen Ohren rauscht es taub.
Die Zusammenfassung der Ärztin bestätigt meinen laienhaften Befund und ergänzt ihn noch um Fehlbildungen an den Händen. Sie tippt auf Trisomie 18.
Wir sitzen im Beratungszimmer der Humangenetikerin. Die Chorionzottenbiopsie hat die Trisomie 18 bestätigt. Wir werden unser Kind verlieren.
Meine Damen und Herren, bitte schnallen Sie sich an - Sie fahren nun mit 250 gegen eine Betonwand.
Der Abbruch ist erst in einigen Tagen. Vor mir liegt das letzte US-Bild unseres Kindes, mit dem ich in ein paar Jahren vor dem Haus Drachen steigen lassen wollte.
Mein Gott, wann wache ich endlich auf.
Re: Die Natur kennt keine Sachmängelhaftung
Dein Bericht ist unglaublich bewegend. Es tut mir leid, was ihr da gerade durchstehen müßt.
Darf ich fragen, ob ihr euch bewußt für den Abbruch entschieden habt? Habt ihr schon einmal mit dem Gedanken gespielt, euer Kind entscheiden zu lassen, wann es geht? Dieser Weg hat uns damals geholfen, mit dem Anschied fertig zu werden.
Welchen Weg ihr auch immer wählt oder gewählt habt: ihr dürft euer Kind beerdigen. Vielleicht hilft euch auch das bei der Bewältigung. Wir haben damals unseren Mateo in der 16SSW gehen lassen müssen. Er kam Zuhause, in unsere Hände, ich habe keine Ausschabung gebraucht. Ein paar Tage später konnten wir ihn bei meiner Oma beisetzen, aber auch ein eigenes Grab hätte er haben dürfen. Das ist auch unabhängig vom Gestationsalter. Wenn es euch entspricht, lasst euch zu nichts drängen. Der Alptraum wird wohl nie zu einem schönen, aber es gibt Wege zu lernen damit umzugehen. Dafür wünsche ich euch alle Kraft der Welt.
In diesem Forum schreiben selten Männer. So viele Paare, die es gemeinsam durchleben müssen, auf die ein oder andere Weise. Die meisten Frauen wissen nicht, was ihre Männer durchleben, spüren entweder Rückzug oder Gleichgültigkeit. Ob es wirklich das ist, was passiert? Dein Beitrag, so erschütterd und traurig er ist, macht hoffentlich anderen Männern Mut darüber zu sprechen und hier zu schreiben.
Ich wünsche euch alles erdenklich Gute und viel Kraft und euch Liebende Menschen an eure Seite die euch stärken.
Katrin
Re: Die Natur kennt keine Sachmängelhaftung
Ich war damals bei meinem alten Chef. Seine ersten Worte waren. "Der ist aber klein." Das werde ich nie vergessen. Dann hält er den Schallkopf über das Herz. Mir steigen bereits die Tränen auf. Er macht den Doppler an und sagte "du siehst es selbst". Da weine ich bereits. Mein Freund sitzt zudem Zeitpunkt noch nichts ahnend neben mir. Er merkt, dass etwas nicht stimmt. Keine Herzaktion mehr. Danach ist alles wie im Flug vergangen.
Ich wollte nur noch nach Hause! Habe geweint, alle Vorstellungen Träume sollen nun einfach weg sein. Die nächsten 2 Tage hat meine Frauenärztin nochmal geguckt und alles bestätigt. Ich hatte dann eine Curettage. Ich wollte, dass alles schnellst möglich vorbei ist.
Das war es dann auch, alle Hoffnungen weg. An diese Stelle trat lange Zeit große Leere.
Wenn ihr euer Kind sehen wollt. Es einmal halten wollt, so klein es auch ist, lasst keine Curettage machen. Mein Freund hat mir die Entscheidung überlassen. Mir erschien es damals nicht so wichtig. Ich wollte nur, dass der Albtraum vorbei ist. Ich weiß nicht, ob ich das bereue. Ich denke nicht. Ich hätte es damals nicht geschafft eine kleine Geburt durchzustehen.
Wir haben in der Zeit einen langen Brief an unseren Zwerg geschrieben und in einer sternenklaren Nacht mit einem Heliumluftballon in den Himmel steigen lassen. Unser Stern reist jetzt mit vielen anderen jeden Abend durch die Nacht und passt auf uns auf. So verrückt das klingt, aber dieser Gedanke spendet mir Trost.
Es stellte sich bei uns raus, dass unser Kind eine Triploidie hatte. Die Überlebenswahrscheinlichkeit wäre sehr gering gewesen. Ich bin im Nachhinein "froh", dass es so war. Die Vorstellung regelmäßig Kindsbewegungen zu spüren und vielleicht zu wissen es ist etwas nicht in Ordnung oder erleben zu müssen wie die Bewegungen eines Tages aufhören oder mein Kind im Arm zu halten, während es stirbt. Das ist furchtbar. Ich habe so etwas berufsbedingt viel zu oft mitbekommen und es zerreißt einem das Herz. Auch wenn man nur daneben steht. Ich bin dankbar, dass ich diese Erfahrung nicht machen musste und weine mit allen Eltern, die so etwas durchstehen müssen.
Das zu erkennen hat lange gedauert. Mittlerweile ist über ein Jahr um. Ich würde gerne schreiben, dass ich nun einen Engel im Arm halte. Das ist leider nicht so. Aber viele Familien hier in diesem Forum, die ähnliches erlebt haben, sind glückliche Eltern und das macht mir Mut.
Mein Freund hat sich damals übrigens krank schreiben lassen. Er war die ganze Zeit für mich da. Das habe ich jede Sekunde geschätzt, auch wenn ich es nicht zeigen konnte. Es war schließlich auch sein Kind.
Ich wünsche euch gemeinsam so viel Kraft! Schaut positiv in die Zukunft und teilt euch den Schmerz. Ihr habt euch! Vergesst das nie!
Re: Die Natur kennt keine Sachmängelhaftung
Dein Bericht ist so bewegend, dass auch ich dir schreiben muss! Ja, es ist ein Alptraum, aber ich will dir bzw. euch auch Hoffnung machen.
Wir haben unseren Knirps in der 18. SSW verloren (im November 2016), nach einem 4-wöchigen Krankenhausaufenthalt mit starkem Blutverlust durch ein Hämatom. Ich hätte durchaus verbluten können... Mit dem Knirps war in der ganzen Zeit immer alles in Ordnung, es war wie ein Schlag ins Gesicht und ein Wegziehen des Bodens als die Ärztin mir mitten in der Nacht sagte, dass das Herz nicht mehr schlägt. Keiner konnte sich erklären, warum das Hämatom nicht weggeht, keiner konnte helfen, es galt immer nur strenge Bettruhe und warten. Stoisch habe ich das ertragen und war immer positiv gestimmt. Es hat alles nicht geholfen.
Es gibt einfach Seelen, die nur mal kurz vorbeihuschen wollen. Das ist sehr hart für uns, aber es ist so. Euer Kind hat mehrere Wochen eure Liebe gespürt, vielleicht war das alles, was es auf dieser Welt erleben wollte. Ich hatte damals keine Wahl, eine Ausschabung stand in der SSW nicht mehr zur Debatte. Außerdem hatte ich ja bereits Wehen.
Ich rief meinen Mann an, der sofort in die Klinik kam. Ich hatte die ganze Nacht Wehen, und am Morgen kam unser Knirps natürlich zur Welt. Es klingt vielleicht verrückt, aber wir hatten eine schöne Geburt. Das half mir sehr zur Verarbeitung.
Wir entschieden uns für ein Sammelgrab, da wir in einem kleinen Dorf wohnen und nicht wollten, dass ein Einzelgrab auf unserem Friedhof steht. Es wussten zwar alle, dass ich schwanger war, aber das erschien uns als zu privat. Es war ohne Zweifel ein schwerer Gang, aber eine schöne Zeremonie.
Aus deinem Bericht lese ich, dass du dich mit deinen Gefühlen auseinandersetzt. Das ist auch gut so und sehr wichtig für die Verarbeitung. Mir hat es geholfen, mit anderen Sternenmamas zu reden, ich habe ein kleines Buch, in dem ich an mein Sternchen schreibe und ich habe zwei Stellen im Haus, die ihm gehören. Einmal auf der Küchenfensterbank einen kleinen frechen Engel mit einer schönen Karte und immer frischen Blumen. Einmal auf meinem Schreibtisch ein kleines Teelicht, ein Foto von uns als ich schwanger war (natürlich sieht man keinen Bauch drauf, aber ich weiß halt, dass ich da mit ihm schwanger war) und ebenfalls einer Karte.
Ich glaube, dass ich für alle Sterneneltern spreche, wenn ich sage, dass wir unsere Sternchen nie vergessen werden. Es wird immer Momente geben, wenn die Trauer wieder aufflammt, z. B. zum errechneten Termin, am Tag der Geburt/Ausschabung, an Geburtstagen und an Weihnachten. Sie gehören halt zur Familie und ihr seid Eltern, egal ob euer Kind lebt oder nicht.
Wer das nicht durchgemacht hat, kann es nicht verstehen. Und so wird man im Freundes- und Familienkreis immer wieder auf Unverständnis treffen. Aber es gibt auch (leider) sehr viele, die genau wissen, wie ihr euch fühlt! Ich habe viel mit anderen drüber geredet, das hat mir sehr geholfen. Es kam mir immer so vor, als wenn meine Trauer und mein Leid dadurch etwas geringer wurde, weil der andere einen verstanden hat und meine Trauer mit trug.
Und wie die andere vor mir schrieb: ihr habt euch! Das ist so wertvoll! Uns hat es näher gebracht, redet mit einander, haltet euch, wenn ihr weinen müsst. Lasst alles raus, das ist auch wichtig.
Wir halten nun nach insgesamt 5 Jahren Kampf unser Wunder im Arm, er ist bald 5 Monate alt. Trotzdem vergeht kein Tag, an dem ich nicht an unseren Knirps denke. Aber es tut nicht mehr so weh.
Ich wünsche euch für die kommende Zeit ganz viel Kraft und Menschen, die euch auf eurem Weg begleiten und unterstützen. Mir hat mal jemand gesagt: gib nicht auf, es lohnt sich zu kämpfen. Sie hatte Recht, auch wenn unser Weg verdammt lange war.
Herzlichst,
Hope
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