Jedes Kind kann schlafen lernen
– Dr. Anette Kast-Zahn
Was sind Schlafstörungen?
Braucht Ihr Kind regelmäßig länger als 30 Minuten zum Einschlafen?
Ist es nachts mehrmals in der Woche längere Zeit wach?
Wird es nachts einmal oder mehrmals wach und weint?
Kommt es nachts in Ihr Bett, obwohl Sie es gar nicht wollen?
Schreit Ihr Kind innerhalb der ersten 2-3 Stunden nach dem Einschlafen ganz plötzlich auf und lässt sich nicht mehr beruhigen?
Schlafwandelt Ihr Kind?
Leidet Ihr Kind unter Albträumen?
Wenn eine oder mehrere Fragen mit „ja" beantwortet werden, hat Ihr Kind eine Schlafstörung. Schlafstörungen kommen im Baby- und Kleinkindalter sehr oft vor. 20-25% der Kinder unter 2 Jahren sind davon betroffen. Meist haben diese Schlafstörungen etwas mit den Einschlaf-Gewohnheiten zu tun. Mit zunehmendem Alter werden Schlafstörungen seltener. Bei älteren Kindern spielen oft Ängste eine Rolle. Ein guter Schlafrhythmus ist immer die Voraussetzung für ungestörten Schlaf.
Was sollte man über den kindlichen Schlaf wissen?
Ein neugeborenes Kind kennt noch keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Es trinkt und schläft tagsüber und nachts gleich viel. Nachts wird es noch mehrmals wach, weil es Hunger hat. Aber das Gehirn entwickelt sich sehr schnell. Schon mit 6 Monaten läuft der Schlaf ähnlich ab wie beim Erwachsenen. Nun braucht das Kind nachts nicht mehr zu trinken. Es kann durchschlafen. Allerdings muss es vorher gelernt haben, alleine ohne die Hilfe der Eltern einzuschlafen. Denn der Schlaf ist kein gleichförmiger Zustand. Tiefschlaf und Traumschlaf und leichter Schlaf wechseln sich mehrmals in der Nacht ab. Dazwischen wacht jedes Kind jedes Mal kurz auf und überprüft, ob alles in Ordnung ist. Wenn es daran gewöhnt ist, tagsüber und abends mit dem Fläschchen, an der Brust oder auf dem Arm einzuschlafen, braucht es diese Hilfen auch nachts - wahrscheinlich sogar mehrmals pro Nacht, nach jedem normalen Aufwachen. Wenn es tagsüber und abends allein einschlafen kann, kann es auch nachts wieder allein einschlafen.
Ein Kind kann allerdings nur schlafen, wenn es wirklich müde ist. Dabei helfen ihm feste, sinnvolle Schlafzeiten. Ein Kind sollte nur so lange im Bett liegen, wie es auch tatsächlich schlafen kann. Manche Kinder kommen mit sehr wenig Schlaf aus, andere brauchen sehr viel Schlaf.
Was können Eltern in den ersten 6 Monaten zur Vorbeugung von Schlafstörungen tun?
•
Legen Sie Ihr Baby am besten immer auf den Rücken, auf keinen Fall auf den Bauch. Das ist die wichtigste Vorbeugung gegen den plötzlichen Kindstod. Im eigenen Bett, das in den ersten Monaten ruhig mit im Elternzimmer stehen kann, schläft Ihr Kind am sichersten.
• Legen Sie Ihr Baby nachts von Anfang an direkt nach dem Stillen oder Füttern ins Bett zurück. Lassen Sie das Licht möglichst aus. Wickeln Sie Ihr Kind nur, wenn es nötig ist. Spielen Sie nachts nicht mit ihm. So kann es den Tag-Nacht-Unterschied besser lernen.
• Schon in den ersten Lebenswochen können Sie eine
späte feste Abendmahlzeit einführen. Stillen Sie Ihr Kind, bevor Sie selbst ins Bett gehen. Dann haben Sie gemeinsam einige Stunden Ruhe, bis Ihr Kind wieder von seinem Hunger geweckt wird.
Familien-Kongress 2003
• Fangen Sie nach einigen Wochen an, Ihr Kind nach und nach immer öfter wach in sein Bett zu legen. Wenn es lernt, allein in den Schlaf zu finden, wird es auch bald gut durchschlafen können.
• Sorgen Sie etwa ab dem 3.Monat für regelmäßige Schlaf- und Essenszeiten.
Was tun, wenn das Kind mit 6 Monaten noch nicht durchschläft?
Ein guter Schlafrhythmus und ein schönes Abendritual sind die besten Voraussetzungen für ungestörten Schlaf.
Zum
Abendritual:
Es hilft Ihrem Kind, wenn jeder Abend etwa gleich abläuft und vorhersehbar ist. Bevor das Kind in sein Bett gebracht wird, können sich Mutter oder Vater noch einige Minuten Zeit nehmen, um den Tag mit dem Kind schön und harmonisch ausklingen zu lassen. So ein Abendritual kann bedeuten Spielen oder Schmusen auf dem Wickeltisch. Oder es kann aus einer Gutenachtgeschichte, einem Lied oder einem Gebet bestehen. Die liebevolle Zuwendung erleichtert dem Kind die nächtliche Trennung von den Eltern.
Zum
Schlafrhythmus:
Die meisten Kinder zwischen 6 und 12-18 Monaten schlafen nachts 10-11 Stunden und halten tagsüber noch 2 Schläfchen. Sie sollten Ihr Kind regelmäßig zu festen Zeiten in sein Bett legen. Es gibt große Unterschiede im Schlafbedürfnis der Kinder. Diese machen sich besonders tagsüber bemerkbar. Während einige Kinder tagsüber bis zu 3 Stunden schlafen, wachen andere hartnäckig immer schon nach 30 Minuten auf. Eltern können nicht beeinflussen, ob ihr Kind viel oder wenig schläft. Sie können ihm nur einen regelmäßigen Rhythmus anbieten, der seinem Schlafbedürfnis entspricht. Achten Sie darauf, dass Ihr Kind nicht länger in seinem Bett liegt, als es tatsächlich schläft. Die Regel lautet:
Bettzeit = Schlafzeit.
Sollte Ihr Kind also nachts 1-2 Stunden wach sein, müssen Sie diese 1-2 Stunden von seiner Bettzeit streichen: Legen Sie es später hin oder wecken Sie es früher oder eine Kombination von beidem. Manchmal hilft es auch, den Mittagsschlaf wegzulassen oder zu kürzen. Bis sich ein fester Rhythmus eingespielt hat, vergehen 1-2 Wochen.
Wird Ihr Kind nachts einmal oder mehrmals wach wird, obwohl es einen festen und sinnvollen Schlafrhythmus hat? Dann hat es mit großer Wahrscheinlichkeit ungünstige
Einschlafgewohnheiten
gelernt. Ungünstig ist alles, was das Kind sich nicht alleine verschaffen kann. Also alles, wobei es die Hilfe der Eltern braucht. Einige Beispiele: Schläft das Kind mit dem Schnuller ein, braucht es den auch nachts. Wenn es den Schnuller noch nicht selbst findet, müssen die Eltern aufstehen und ihm den Schnuller geben. Bekommt es abends die Flasche, will es auch nachts die Flasche. Das Kind weiß nicht, dass es auch allein ohne diese Hilfen einschlafen kann. Es muss diese neue Gewohnheit erst lernen. Leider wird es zunächst einmal weinen, wenn es die gewohnten Hilfe nicht bekommt. Das Weinen hat bisher schließlich immer dazu geführt, dass seine Eltern ihm die gewohnte Einschlaf-Hilfe gegeben haben.
Damit die Umgewöhnung für Eltern und Kind nicht zu schwer wird, empfiehlt sich ein
Vorgehen nach Plan.
Voraussetzung dafür ist, dass Ihr Kind mindestens 6 Monate alt und gesund ist. Als erstes werden die gewohnten Einschlaf-Hilfen zeitlich vom ins-Bett-Bringen getrennt. Brust oder Fläschchen werden z.B. eine halbe Stunde vorher zum letzten Mal gegeben. Nach einem schönen Abendritual wird das Kind wach ins sein Gitterbettchen gelegt, und die Eltern verlassen das Zimmer. Wenn Ihr Kind weint, lassen Sie es nicht einfach allein. Vielmehr gehen Sie nach einem vorher von Ihnen festgelegten Zeitplan alle paar Minuten zu Ihrem Kind, um es zu trösten. Sie bleiben kurz bei ihm und Familien-Kongress 2003
reden ruhig und liebevoll mit ihm, geben ihm aber nicht die gewohnten Einschlaf-Hilfen und nehmen es auch nicht aus dem Bett. Dies tun Sie so lange, bis Ihr Kind eingeschlafen ist. Wenn Sie auf diese Weise konsequent tagsüber, abends und nachts vorgehen, wird Ihr Kind innerhalb weniger Tage – in Ausnahmefällen innerhalb weniger Wochen- alleine einschlafen und durchschlafen können.
Was tun, wenn das Kind nicht in seinem Bett bleibt?
Manche Kinder bleiben einfach nicht in ihrem Bett, wenn sie schon alleine herausklettern können. Sie stehen immer wieder auf. Manchmal entsteht so ein nervenaufreibender Kampf zwischen Eltern und Kind. Es kann dann sehr hilfreich sein, wenn die Eltern klare Grenzen setzen. Eine sehr wirksame Möglichkeit ist die
„Tür auf- Tür zu- Methode",
die verwandt ist mit der → Auszeit. Die „Spielregel" für diese Methode lautet: „Bleib in deinem Bett, dann bleibt die Tür von deinem Zimmer auf. Bleibst du nicht in deinem Bett, mache ich die Tür zu." Sollte das Kind also aus seinem Bett aufstehen, wird es also zurück in sein Bett gebracht. Die Eltern verlassen das Zimmer, schließen die Tür und bleiben an der geschlossenen Tür kurz stehen. Nach spätestens 3 Minuten öffnen die Sie die Tür und gehen wieder nach der Spielregel vor, bis das Kind in seinem Bett eingeschlafen ist.
Wenn Ihr Kind nicht in seinem Bett schlafen will, sondern abends und nachts oder nur nachts ins
Elternbett
kommt, müssen Sie zunächst einmal selbst entscheiden: Ist es für uns ein Problem? Stört es unseren Schlaf oder den Schlaf unseres Kindes? Wenn sich niemand gestört fühlt, brauchen Sie es nicht zu ändern. Wenn Sie aber nur widerwillig nachgeben und der Meinung sind, dass Ihr Kind doch besser in seinem eigenen Bett schlafen sollte, ändern Sie es lieber. Bringen Sie es hartnäckig immer wieder zurück ins eigene Bett, oder gehen Sie nach der „Tür auf- Tür zu- Methode" vor.
Einige Kinder sind besonders
ängstlich
. Ihnen fällt es wirklich schwer, allein in einem Zimmer zu schlafen. Bei sehr ängstlichen Kindern kann es helfen, eine Matratze oder ein Bett zusätzlich ins Elternschlafzimmer zu stellen oder, wenn möglich, Geschwisterkinder zusammen in einem Raum schlafen zu lassen.
Schlafwandeln und Nachtschreck – Was ist zu tun?
Während der ersten 1-4 Stunden nach dem Einschlafen kommt es bei jedem Kind ein- bis zweimal zu unvollständigem Erwachen aus dem Tiefschlaf. Einige Kinder bleiben längere Zeit in diesem Zustand. Das kann sich durch auffälliges Verhalten bemerkbar machen: Sprechen im Schlaf, Schlafwandeln und Nachtschreck-Attacken mit lautem Schreien oder Um-sich-Schlagen können auftreten. Kinder, die gelegentlich schlafwandeln, brauchen eine sichere Umgebung. Abgeschlossene Fenster und Türen können verhindern, dass das Kind das Haus verlässt und sich möglicherweise verletzt.
Nachtschreck-Attacken treten meist sehr plötzlich auf. Das Kind sitzt im Bett oder steht auf, wirft sich herum oder schlägt um sich. Es spricht oder schreit sehr heftig, lässt sich meist nicht beruhigen und wehrt sich gegen Körperkontakt. Es scheint die Eltern kaum richtig wahrzunehmen. Eine Nachtschreck-Attacke dauert von wenigen Minuten bis zu einer halben Stunde. Danach schläft das Kind schnell wieder ein. Am nächsten Tag kann es sich an nichts erinnern.
Bei Kinder unter 6 Jahren sind diese Auffälligkeiten in der Regel kein Hinweis auf eine psychische Störung. Vielmehr ist es ein anlagebedingtes Reifungsproblem. Vererbung spielt die wichtigste Rolle.
• Wecken Sie Ihr Kind nicht, beobachten Sie es nur.
• Lassen Sie es in Ruhe, wenn es sich gegen Körperkontakt wehrt.
• Fragen Sie es am nächsten Tag nicht aus.
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• Sorgen Sie für einen regelmäßigen Rhythmus mit genügend Schlaf.
• Seien Sie zuversichtlich, dass sich das Problem mit der Zeit von selbst löst.
• Fragen Sie den Kinderarzt oder einen Kindertherapeuten um Rat, wenn Ihr Kind schon
älter als 6 Jahre ist und immer noch oder häufig Nachtschreck-Attacken hat.
Albträume und nächtliche Ängste
Albträume
kommen bei Kindern zwischen 3 und 6 Jahren besonders häufig vor. Die Ursachen liegen in den Konflikten und Erlebnissen vom Tage. Träume treten während des sogenannten „REM-Schlafs" (rapid eye movement = schnelle Augenbewegungen) auf, meist in der zweiten Nachthälfte. Anders als beim Nachtschreck sucht ein Kind nach seinem Albtraum Trost und Körperkontakt bei den Eltern. Wenn es alt genug ist, kann es sich an einen Traum erinnern und ihn erzählen. Kleine Kinder kann man am besten trösten, wenn man sie fest in den Arm nimmt und ihnen versichert: „Ich bin da. Es ist alles gut." Wenn das Kind möchte, kann es seinen Traum erzählen. Drängen Sie Ihr Kind aber niemals gegen seinen Willen dazu.
• Wenn Ihr Kind nicht nur ab und zu, sondern fast jede Nacht Albträume hat, stecken Ängste oder irgendein ungelöstes Problem dahinter. Es ist wichtig, die Ursache herauszufinden. Wenn Ihnen das nicht gelingt, reden Sie mit Ihrem Kinderarzt oder einem Kindertherapeuten.
Ängste
treten vor allem vor dem Einschlafen auf, wenn das Kind allein in seinem Bett und in seinem Zimmer bleiben soll. Viele Kinder wehren sich dagegen, wenn die Eltern das Zimmer verlassen. Bei manchen Kindern ist es eher ein Machtkampf, bei dem das Kind noch zusätzliche Zuwendung von den Eltern erreichen will. In diesen Fällen ist es sinnvoll, wenn die Eltern fest bleiben und auf der Einhaltung des gewohnten Abendrituals bestehen.
Manche Kinder haben aber wirklich Angst vor der Trennung oder der Dunkelheit oder vor ihren eigenen Phantasiebildern, z.B. Hexen, Monstern oder Gespenstern. Sie merken an der Körpersprache Ihres Kindes, ob es ihm wirklich nicht gut geht.
• Angst vor Dunkelheit spielt ab dem 2. Lebensjahr eine wichtige rolle. Bringen Sie ein Nachtlicht an, oder lassen Sie z.B. durch einen offenen Türspalt einen Lichtschein ins Zimmer, so dass sich das Kind orientieren kann.
• Wenn Ihr Kind Angst hat, ist Ihre eigene Sicherheit und Souveränität für Ihr Kind besonders wichtig. Deshalb ist es nicht so sinnvoll, mit dem Kind über Hexen oder Gespenster zu diskutieren oder Möbel zu verrücken als Beweis, dass es keine Hexen oder Monster gibt. Sie helfen Ihrem Kind mehr, wenn Sie es fest in den Arm nehmen und ihm versichern: „Ich bin da. Ich habe dich lieb. Ich beschütze dich. Du kannst dich auf mich verlassen".
• Nach einem belastenden Erlebnis oder einer schweren Krankheit können Sie das Abendritual ausnahmsweise ändern und das Kind zu sich ins Bett holen. Achten Sie aber darauf, dass sich daraus nicht eine ungünstige Einschlaf-Gewohnheit entwickelt.
• Wenn Ihr Kind über einen längeren Zeitraum ganz ungewöhnlich heftige, panikartige Reaktionen zeigt mit Anklammern und hysterischem Schreien, hat es wahrscheinlich ein ernsthaftes Problem. Versuchen Sie, die Ursache herauszufinden und dem Kind zu helfen. Wen Ihnen das nicht gelingt, suchen Sie fachlichen Rat