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Die 50-Wort-Grenze

schafft Tobias noch knapp vor der U7, wie es aussieht (seit die HNO-Ärztin im Dezember Unmengen an Ohrenschmalz aus seinen Öhrchen gepult hat, lernt er endlich wieder neue Wörter). Da ich ja nun das zweite spät sprechende Kind habe, habe ich ein bisschen rumgelesen und eine interessante, leider noch nicht abgeschlossene Studie des Kinderspitals Zürich gefunden - ich zitiere mal:
"Im Alter zwischen 2 bis 3 Jahren erwerben Kinder wesentliche Meilensteine der Sprachentwicklung. In dieser Zeit fallen jene Kinder auf, die ihre Muttersprache nicht auf mühelose Art erwerben, wie dies bei einer ungestörten Sprachentwicklung der Fall ist.
Solche Kinder, die spät zu sprechen beginnen und mit 2 Jahren weniger als 50 Wörter sprechen, werden als Late Talkers bezeichnet. Bisherige Studien haben gezeigt, dass Late Talkers Risikokinder für Spracherwerbsstörungen sind. Rund 15% der Kinder sind Late Talkers. Verfolgt man die Entwicklung von Late Talker Kindern, so zeigt sich im Alter von 3 Jahren folgendes Bild: die eine Hälfte der Late Talkers hat den Sprachentwicklungsrückstand aufgeholt (Late Bloomer) und die andere Hälfte hat eine spezifische Spracherwerbsstörung ausgebildet.
Bisher ist unklar, welche 2-jährigen Late Talkers eine spezifische Spracherwerbsstörung entwickeln und welche ihren anfänglichen Rückstand aufholen.
Das Ziel unserer Studie ist, herauszufinden wie sich 2-jährige Late Talker Kinder entwickeln. Mit diesen Kenntnissen wird es besser möglich sein zu entscheiden, bei welchen spät sprechenden Kindern ohne weiteres abgewartet werden kann und bei welchen eine frühe Förderung notwendig ist. Dazu untersuchen wir in Zusammenarbeit mit der Abteilung Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals 2-jährige Late Talker Kinder im Rahmen einer Längsschnittstudie. Wir werden die Sprach- und Spielentwicklung dieser spät sprechenden Kinder zwischen 2 und 3 Jahren differenziert erfassen. Die Datenerhebung erfolgt mittels Elternfragebogen, Testverfahren und Spontan-Sprachanalyse."
Die Studie wird erst 2009 abgeschlossen, aber mir erklärt das zumindest das Verhalten der Kinderärzte: einerseits wird bei der U7 sehr genau auf die sprachliche Entwicklung geschaut, andererseits ertönt, wenn ein Kind denn der Norm hinterherhinkt, lediglich ein hilfloses "na, dann warten wir noch mal ein paar Monate ab". Allerdings wird in allen Quellen, die ich bisher gelesen habe, darauf hingewiesen, dass, wenn bei der U7 die 50 Wörter und 2-Wort-Sätze noch nicht erreicht sind, unbedingt das Gehör überprüft werden muss; das machen leider auch nicht alle Kinderärzte.

LG Iris

Bisherige Antworten

Die 50-Wort-Grenze

Ich finde diese magische Grenze einfach willkürlich. Und mal ehrlich: Was KANN man in dem Alter denn groß therapeutisch machen, wenn es nicht am Gehör liegt? Also sollte man das checken und gut ist. Ich kenne soooo viele Kinder, die nach dieser Definition Late Talkers sind. Der eine ist sogar noch Diplom-Mathematiker geworden *ggg*, mit 1 bestanden.
Dann ist eben der KiGa gefordert bzw. bei der U8 kann man ja schon mehr machen, Logopädie, Ergo etc. pp.
LG,
Susanne

Die 50-Wort-Grenze

Nein, sie ist nicht willkürlich. Es ist bei ca. 80% der Kinder der Punkt, an dem sie verstehen, dass jedes Ding eine Bezeichnung hat - dann setzt in der Regel die Phase beschleunigten Spracherwerbs ein, in dem die Kinder nicht 1-2 neue Wörter pro Woche, sondern z.T. mehrere pro Tag lernen; es ist auch in etwa die Schwelle, ab der der Wortschatz so groß ist, dass der Grammatikerwerb beginnt.
Ich habe neulich eine Studie der Uni Heidelberg gelesen - die gehen davon aus, dass man bei wirklich spracherwerbsgestörten Kindern schon im zweiten Lebensjahr Unterschiede im Kommunikationsverhalten bemerken kann.
Und ob man dann schon was tun kann (und was) - nun ja, darauf zielen diese Studien ja ab. Es gibt ja durchaus Logopäden, die erfolgreich mit Zweijährigen arbeiten.
Ich finde es schon sinnvoll, zu versuchen, so früh wie möglich zu differenzieren. Klar kenne ich auch jede Menge Late Talkers (u.a. mein Bruder, der dann mit fast 3 gleichzeitig sprechen und lesen gelernt hat) - aber ich lebe halt gerade mit einem Vierjährigen zusammen, der sprachlich auf dem Stand eines undeutlich sprechenden Dreijährigen ist, und das ist eine durchaus dramatische Situation. Die fast zwei Jahre Vertröstungen ("warten wir noch drei Monate") waren keine Freude.
LG Iris

Die 50-Wort-Grenze

Dieser Punkt kann doch nicht im Ernst in einem Zeitraum von 3 Monaten bei allen gleich ablaufen, oder? Man könnte ja wenigstens eine U7a konsequent anbieten und das da beurteilen, denn oft kommt ein besonderer Schub dann, wenn die Kinder mit ca. 2,5 oder 3 hierzulande häufiger mit älteren oder gleichalten Kindern zusammen kommen und dann die Motivation zum Spracherwerb größer ist. Und dass Motivation die entscheidende Rolle spielt (und Voraussetzung ist für das aktive Üben der Sprache), ist ja nun auch bewiesen.
Ich finde es kontraproduktiv, diesbezüglich zuviel Druck auszuüben.
Warum findest Du die Situation mit Deinem Sohn so dramatisch? Oder was muss ich mir darunter vorstellen? Ich sehe immer meinen nuscheligen und wenig sprechenden 3,5jährigen Neffen vor mir und bin einfach froh, dass er noch sein darf, wie er will...
LG,
Susanne

Die 50-Wort-Grenze

Nein, ich glaube nicht, dass das bei allen gleich abläuft - Du siehst ja hier im Forum, wie groß die Differenz ist (und Largo z.B. hat dazu auch schöne Statistiken). Ich habe übrigens nicht die Macht, die U7a einzuführen ;-)
Wer, meinst Du, übt Druck aus?
Dramatisch finde ich es, wenn ein Vierjähriger nicht mit den Kindern spielen kann, die seine Interessen teilen, weil weder er sie versteht, noch sie ihn. Er spielt konsequent mit deutlich jüngeren Kindern (Bauen und Rumtoben) und lebt seine Rollenspielbegeisterung abends mit uns Eltern aus, begleitet von Heulanfällen, wenn wir trotz aller Bemühung auch beim dritten Versuch nicht verstehen, was er sagen möchte - obwohl wir ihn nun wirklich gut kennen und auch ein "Kannstuich eine Liederlumpe?" mit einigem Nachdenken in "kannst du mir eine Fingerpuppe basteln" übersetzen können. Die Erzieherinnen im Kindergarten sind voll Hochachtung, dass er trotz der ständigen Misserfolge viel spricht und immer wieder versucht, auszudrücken, was er sagen möchte - aber lustig ist es nicht. Im letzten Jahr ist er in der Regel völlig erschöpft aus dem Kindergarten nach Hause gekommen und wollte an den Wochenenden die Wohnung nicht verlassen. Als er 3 war, waren wir für drei Monate mit ihm bei einer Logopädin und haben lange Vorträge über nicht sprechmotivierte Kinder und Druck ausübende hyperintellektuelle Eltern über uns ergehen lassen - der 7.(!!!) Arzt, bei dem wir waren, hat schließlich festgestellt, dass das Kind tatsächlich kaum hört. Jetzt hat er seit 7 Wochen Paukenröhrchen und holt kräftig nach - und freut sich tatsächlich, wenn wir die grammatikalischen Brocken, an denen er gerade herumbeißt, häufig anbieten.
Ich fand die Situation auch lange nicht dramatisch - aber irgendwann im 4. Lebensjahr fangen Kinder an, sich für Dinge zu interessieren, die nur über Sprache zu erklären sind, und von da an wird es wirklich schwer.
LG Iris

Die 50-Wort-Grenze

Das mit dem Hören ist natürlich schon dramatisch. Das lässt sich doch auch recht gut früh diagnostizieren, dachte ich bisher jedenfalls? Ich meine, das hätte unsere KiÄ gesagt *grübel*.
Aber in den Fällen, in denen es einfach am eigenen Tempo oder Prioritäten der Kinder liegt, finde ich den Druck über "das ist nicht normal, da müssen Sie dies und jenes machen" einfach schon heftig. Die Kinder kriegen das "Anderssein" dann schon so extrem vermittelt, und das ist schade.
LG,
Susanne

Die 50-Wort-Grenze

Die Aussagen, ob sich Hörprobleme diagnostizieren lassen, schwanken je nach Kinderarzt - es gibt ein paar Dinge, die sich ohne Mitarbeit des Kindes messen lassen (reflektiert das Innenohr Schall; schwingt das Trommelfell), es gibt eine Untersuchung (reagiert das Gehirn auf Schall), die man bei Kleinkindern nur im Schlaf oder unter Vollnarkose machen kann. Aber ein eigentlicher Hörtest (reagiert das Kind in wachem Zustand auf Geräusche) ist nur durchführbar, wenn das Kind mitmacht. Mit Simon ist das bis jetzt immer noch nicht möglich; jeder sachte Versuch hat bisher dazu geführt, dass er monatelang Angst vor Lautsprechern und Kopfhörern hatte. Ich vermute mal, jetzt, wo er besser hört, können wir es nochmal versuchen - aber vorher war die Hörfrage Interpretationssache. Meine Interpretation war nach langer intensiver Beobachtung, dass er zwar sowohl leise als auch laute Geräusche hört (na ja, im letzten Jahr die leisen Geräusche dann auch nicht mehr), aber Schwierigkeiten hat, Laute zu unterscheiden. Und wenn ich dann mit meiner Beispielliste angerückt bin, war ich halt sofort in der Schublade "hyperintellektuelle, druckausübende Mutter" und Simon in der Schublade "gesundes aber unter Druck gesetztes und deshalb bockiges Kind".
Da, wo das Tempo des Kindes einfach anders ist, finde ich es auch traurig, wenn Druck gemacht wird - deshalb finde ich es ja so spannend, dass versucht wird, schon früh zu differenzieren zwischen Kindern, bei denen wirklich ein Risiko vorliegt und Kindern, bei denen die Entwicklung normal, aber eben in eigenem Tempo / eigener Reihenfolge verläuft. Zum Glück ist Simon in einem Kindergarten, in dem den Kindern ihr Tempo gelassen wird (Grundkonzept: die Stärken unterstützen, dann kommt der Rest von selbst hinterher) - aber natürlich vergleicht er sich selbst mit gleichaltrigen Kindern. Und hier in Berlin gibt es leider keine Möglichkeit mehr, Kinder später einzuschulen; die Aufnahmegespräche für eine Grundschule, die wir gern ausprobieren möchten (Montessori-Orientierung; ansonsten leben wir in einer Ecke, in der alle Grundschulen sehr mit ihren Gewaltpräventionsprogrammen werben - scheint also nötig zu sein) finden im Herbst statt; da ist der Druck schon da...
LG Iris

zählt ihr denn wirklich die wörter??? *staun*

bitte nicht falsch verstehen, aber ich habe keine ahnung, ob clara nu 40 oder 50 oder 80 unterschiedliche wörter spricht ;) sie plappert wie ein wasserfall und das auch in einer art und weise, dass man sich mit ihr schon ansatzweise richtig unterhalten kann und dass auch andere leute sie gut verstehen und nicht nur wir, weil wir ihren "sprachstil" gewohnt sind. von daher gehe ich davon aus, dass sie diese "hürde" bei der U7 (haben wir im februar) meistern wird. aber wenn der KiA mich nun fragen würde, wieviel wörter es sind - keine ahnung...
sehe es ansonsten wie susanne ;)
GGLG von bibs mit clara *11.01.06

zählt ihr denn wirklich die wörter??? *staun*

Wenn ich ein plapperndes Kind hätte, würde ich vermutlich auch nicht die Wörter zählen. Da ich ein Kind habe, das ab und zu mal einen Gegenstand benennt und auch nicht den Eindruck erweckt, es verstünde wesentlich mehr als es spricht, zähle ich. Abgesehen davon habe ich mich jetzt so weit ins Thema eingelesen, dass ich schon aus reinem Interesse daran, wie der Spracherwerb eigentlich funktioniert, mitschreibe ;-)
LG Iris

Die 50-Wort-Grenze

Hallo Iris, das finde ich sehr erfreulich, dass da mal jemand wirklich hinterher ist, eine Studie aufzieht und sich dafür interessiert, wieso und weshalb manches so ist wie es ist!!!!! Wobei, bei uns war das ja nie ein Problem.....Grüßle von Tina mit Plappermäulchen Yannik, der sogar schon die ersten Ich-Sätze bildet *staun*!

Die 50-Wort-Grenze

Huhu Iris,
"Late Bloomers" finde ich aber wirklich sehr poetisch! :)
Bei Yannick steht übrigens auch immer noch der U8-Hörtest aus, beim letzten Mal war ebenfalls zu viel Ohrenschmalz drin. Aber anstatt das rauszupulen oder zu spülen (was in der Praxis möglich ist, wie mir ein anderer Arzt dann bei einem anderen Besuch sagte), gab uns die KiÄ nur reichlich erfolglose Tipps wie "beim nächsten Baden mal Wasser reinlaufen lassen" - nun haben wir aber dann doch Ohrentropfen verschrieben bekommen, die das Ganze aufweichen sollen. Vielleicht hat Tobias dieses chronische Problem ja auch? Andererseits hat das (bei jeder Untersuchung reichlich vorhandene) Ohrenschmalz bei Yannick die Sprachentwicklung ja keineswegs gestört und er war und ist ja eher geräuschempfindlich. Merkwürdig.
LG Yuri

Die 50-Wort-Grenze

Ja, bei Tobias habe ich wirklich den Eindruck, dass sich seit dem letzten HNO-Besuch etwas tut (und seit den Weihnachtsferien...) - gestern hat er zum ersten Mal sowas wie seinen Namen gesagt (auf den Spiegel gezeigt und "ia" gesagt), damit war Simon deutlich später dran. Und der passive Wortschatz übersteigt den aktiven um mindestens zwei Wörter *g*. Ich hätte bei ihm halt eigentlich gedacht, dass er früher spricht, weil er ja sehr stark an Kommunikation interessiert ist; aber das hängt wohl nicht zusammen. Nun ja. Er zuppelt jedenfalls schon wieder andauernd an seinen Ohren rum :-(


Diese Heidelberger Studie hat mich übrigens in Bezug auf Simon ziemlich beruhigt - bei Kindern mit einer echten Sprachentwicklungsstörung läuft der Grammatikerwerb nicht nur verzögert, sondern wirklich anders ab (z.B. bereitet die Verbendstellung in Nebensätzen Schwierigkeiten, die Kinder mit normaler Sprachentwicklung ganz automatisch richtig machen) - das war ein guter Anlass, mal genau hinzuhören, was schon da ist und was noch fehlt; nun sprechen die Figuren in Simons Rollenspielen ("Mama, kannst du mal Bauarbeiter sagen?") etwas komplexer und verwenden verdächtig viele Konsekutivsätze...


LG Iris

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