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ein Erlebnis

Vor zwei Wochen im OP-Saal: eine gynäkologische Patientin. Brustkrebs. Hatte vor der Operation Chemotherapie erhalten. Sollte nun die Brust-Operation und die Entfernung des Wächterlymphknotens bekommen.
Ich begrüßte sie.
Ihr augenbrauen- und wimpernloses Gesicht nichts Ungewöhnliches für mich. Die Narkoseeinleitung: tägliche Routine. Wie viele unserer Brustkrebspatientinnen eine Frau, die abgesehen von der Tumorerkrankung "gesund" war - nichts Besonderes eigentlich.
Als die Frau schlief, lagerten wir sie für die Operation.
Ich griff unter ihren Kopf und wollte die Haube richten. Da bemerkte ich am Hinterkopf den weichen, weiß-grauen Flaum.
Ich war erschüttert!
Zu der Anästhesieschwester meinte ich noch, daß mich der Haarflaum der Patientin an den Haarflaum meiner Tante erinnerte.
Ich fühlte eine Trauer, wie ich sie noch nie zuvor im OP verspürt hatte! :-(
Ich habe nun wirklich viel mit Kranken zu tun, mit Krebspatienten, mit Sterbenden und letztlich auch Toten - aber selbst wenn ich mit den jeweiligen Angehörigen Mitleid empfand, hat es mich nie selbst so aus der Bahn geworfen.
Nun irgendwie riß ich mich zusammen und machte meine Arbeit. Geht ja auch schlecht, daß der Narkosearzt heulend an seinem Gerät hängt. :-/ Habe sogar geschafft, nicht mehr darüber nachzudenken.
Aber sofort, als ich nachmittags die Klinik verließ, war es wieder da!
Auf dem (kurzen) Nachhauseweg liefen mir schon die Tränen über das Gesicht - vorbeigehende Leuten guckten mich merkwürdig an - als ich zur Tür hereinkam, brach es aus mir heraus, und ich konnte mich nur noch kraftlos, von Weinkrämpfen geschüttelt, an der Schulter meines Geliebten ausweinen.
... als ich den Haarflaum der Patientin berührt hatte, war es, als hätte ich den Kopf meiner Tante berührt.
Wie nichts anderes ist es dieser weiche Haarwuchs, der mich an ihre vielen Hoffnungen erinnerte. Mehrmals hatte sie ihre Haare verloren. Mehrmals sind sie nachgewachsen. Bis sie zum Schluß nicht mehr gewachsen sind und meine Tante gestorben ist.
_Verletzlichkeit_, die ich in diesem wenigen, weichen Haar gesehen habe...
Es hat mir so weh getan, an ihre viele Hoffnungen zu denken, daran, was für ein Steh-Auf-Männchen meine Tante immer war. Und daß sie letztlich kaum ein paar Monate gewinnen konnte.
Es tut mir so sehr leid!
Eigentlich ist seit dem Tod meiner Tante Ende Oktober ja wirklich erst wenig Zeit vergangen. Und obwohl ich versucht habe, das immer wieder ganz bewußt zu "verarbeiten", sollte es mich nicht überraschen, daß mich diese Sache irgendwann auch noch unerwartet mitreißt...
Komisch, dieses weiche, graue Haar hat mich mehr als irgendetwas sonst aus der Bahn geworfen.
Es hat in mir Beschützerinstinkte geweckt ... und große Trauer.
Fast zeitgleich hatte Claudia das Bild von ihren neuen Haaren hier eingestellt (welches ich wunderschon finde und welches mich übrigens kaum an diesen wenigen Flaum erinnert). Da erwähnte ich schon, daß ich etwas zu Haarwuchs nach Chemo zu erzählen hätte. Nur war es zu dem Zeitpunkt noch zu frisch. Nun ist es okay.
Und gerade bei Claudia habe ich keine Sorge, daß sie diesen Beitrag falsch versteht. Ihre Geschichte ist letztlich eine andere als die meiner Tante ... nicht wahr, Claudia?
So, nun habe ich endlich davon geschrieben.
Liebe Grüße,
Inken (die hier hoffentlich nicht zu verrückt rüberkommt)
Bisherige Antworten

ein Erlebnis

liebe inken
ich habe deinen beitrag zweimal gelesen.ich kann alles was du schreibst nachvollziehen.es ist wie ein tragischer film bei dem man mitfühlen kann.
deine trauer treibt mir die tränen in die augen.was du beschreibst ist etwas vor dem ich mich selbst sehr fürchte,dem sterben von hoffnungen- und letztlich der aufgabe,der niederlage-unverdient
es tut mir immer noch sehr leid-für dich,für euch,für deine tante
*drückdich*
lg
merline

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Hallo Inken,
ich kann dich gut verstehen, mir ist es oft genauso gegangen.
Es waren immer bestimmte Situationen, Momente die mich aus der Fassung gebracht haben.
Einmal wollte ich, auch um mich abzulenken, auf die Kirmes gehen.
Dort, an einem Karussell stehen, brach ich in Tränen aus.
Ein anderes Mal während meiner damaligen Arbeit im Altenheim.
Ich saß mit einigen Bewohnern in einem Gottesdienst, der zu Ehren einer kürzlich gestorbenen Frau gegeben wurde.
Es gab etliche andere Situationen ...
Das sind immer die Momente, in denen man die Wirklichkeit sieht, wenn du verstehst was ich meine, in denen man langsam versteht, daß da jemand, dem man nahe stand, nicht mehr da ist.
Das Begreifen sickert langsam durch.
Wenn man in Trauer ist, ist man sehr verletzlich und empfindlich.
Liebe Grüße und laß Dich umarmen
Mondi

ein Erlebnis

Liebe Inken,
oh wie gut kann ich deine Empfindungen verstehen, wenn ich mich auch nicht so ausdrücken kann wie du!
Mich hat eine andere Situation aus der Bahn geworfen. Als bei meiner mama der Haarausfall anfing sollte ich ihr die Haare kürzer schneiden. OK, kein problem. In meiner Art bot ich ihr an, gleich den rasierer zu nehmen, was sie aber noch nicht wollte. Zwei Tage später ging der Haarausfall massiv weiter und sie überlegte es sich anders. Als ich den Rasierer nahm habe ich geheult wie ein Schlosshund und meine Mama musste mich trösten.........
Als die Haare wieder spriessten fand ich das ganz wunderbar. Dieser weiche Babyflaum verursachte in mir immer wieder das Verlangen, sie anzufassen. Meine Mama nahm es mit Humor (zum Glück) und lies es meist zu.
Ich denke, bei dir kam die "richtige" Trauer erst vespätet. Leider verdrängt man zu viel Gefühle und versucht immer wieder zu funktionieren. Man sollte echt mehr Gefühle zulassen. Und warum sollte nicht auch mal ein Narkosearzt heulen.... Klar , man braucht auch einen klaren Blick für die Geräte aber dann. Kein Problem.
Leider bin ich auch ein Typ, der Gefühle viel zu sehr verdrängt. Meine Psychologin (die mir nach meinem Zusammenbruch im letzten Jahr viel geholfen hat) hat mich ermutigt, mehr Gefühle zuzulassen und ich bin froh darum! Im Urlaub habe ich manche Dinge auch viel intensiver erlebt als ich es früher tat. Zum Beispiel haben wir einen ausgiebigen Spaziergang durch den wunderschönen, verschneiten Wald gemacht. Ich habe mich ganz wundervoll gefühlt und irgendwie an dich gedacht, der du diese Gefühle immer so wundervoll umschreiben kannst ;-)!
Ich habe es auch versucht meinem Mann zu vermitteln, der mich sehr ernst genommen hat. Das hat mich unheimlich stark gemacht. Ich glaube, selbst Franz hat die besondere Athmosphäre gespürt. Er war total lieb und ausgeglichen.
Mein Mann ist übrigens auch so ein Gefühle verdrängender mensch. bei ihm kam der Zusammenbruch nach dem Tod seines Vater erst über ein halbes Jahr danach, dafür aber umso heftiger!
Wenn ich jetzt Frauen mit kurzen Haaren sehe, schaue ich sie mir immer genauer an und denke darüber nach, welches Schicksal sie wohl haben. Ich freue mich immer, wenn sie solch ein Selbstbewusstsein ausstrahlen, eben weil ja jeder gleich an Chemo und todkrank denkt!
Claudia hat ja auch so was tolles an sich........
Liebe Inken,
ich hoffe, du kannst mein Geschreibsel etwas nachvollziehen, so ein bischen GAGA sind wir eben alle, oder?!
Sei ganz lieb gegrüßt von Fibi!

ein Erlebnis

Hallo Inken,

es ist schon was komisches wenn man als Fels durch die Brandung schreitet und erwartungsgemäß funktioniert und dann genau in den unangemessensten Augenblicken an (offene und doch heilende) Wunden erinnert wird.

Ich finde es jedenfalls sehr berührend zu hören, dass in der professionellen Routine auch Platz ist den Mensch als Wesen wahrzunehmen und nicht grundsätzlich als Fall mit einer bestimmten Sachlage. Aber ich glaube manchmal hilft diese Einstellung.

Ich wünsche Dir, dass Du ein bisschen Zeit hast über den Tod Deiner Tante zu reflektieren und den Schmerz auch für Dich zu verarbeiten.

LG,

Ioana.

ein Erlebnis

Liebe Inken,
ich danke Dir für den Link und habe grade Deinen Beitrag gelesen. Und ich verstehe Deine Gefühle sehr gut, bringe das auch nicht mit mir in Verbindung, denn weil ich weiß, dass jedes Brustkrebsschicksal ein ganz eigenes ist.
Aber ich kann Dich gut verstehen...als mein Vater gestorben ist, gab es immer wieder mal Situationen, oftmals sogar nur ganz kurze Augenblicke, in denen mich etwas ganz Kleines, Unscheinbares an ihn erinnert hat. In den ersten Wochen nach seinem Tod hatte ich sogar manchmal das Gefühl, als würde ich ihn über meinen Geruch wahrnehmen, wobei das eigentlich fast etwas Tröstendes hatte. Dann wieder war es ein Lied, bei dem ich plötzlich auch meine Tränen nicht mehr zurück halten konnte. Ein Lied, was ich schon oft vorher gehört hatte, was mich aber nie so gerührt hatte. Oder einmal im Badezimmerschrank meiner Eltern der angebrochene Flakon seines Aftershaves, vielmehr wieder der Duft, der mich erinnert hat. Einerseits mit Trauer verbunden, andererseits aber auch froh darüber, dass meine Erinnerungen so lebendig sind, dass ich mich an 'seinen' Geruch erinnern kann...glücklich, dass er so auf gewisse Weise weiter lebt.
Wir haben hier seit seinem Tod ein Bild von meinem Vater stehen, das ich eigentlich jeden Tag anschaue und inzwischen (1,5 Jahre her) ist die Trauer, dieses schmerzliche Gefühl in den Hintergrund gerückt, weil ich mir vorstelle, es 'geht ihm gut', er leidet nicht und lebt in unseren Erinnerungen wirklich weiter. Wir reden oft über ihn, auch mit Samuel und es ist gut so. Trotzdem ist da auch diese Traurigkeit darüber, dass er eben nicht wirklich 'da' ist, nicht physisch anwesend unter uns. Aber diese Traurigkeit kommt mal und geht dann auch wieder. Ich tröste mich damit, dass er wenigstens auf 70 Jahre schönes Leben zurückblicken konnte. Dass er seinen geliebten Enkel (und das vielleicht noch kommende Kind meines Bruders) nicht weiter aufwachsen sieht, finde ich sehr traurig, für ihn, für Samuel. Zeit heilt in gewisser Weise wirklich Wunden, weil sie eben nicht mehr so frisch sind, nicht mehr ganz so weh tun und man irgendwann auch damit leben lernen muss. Aber es ist gut, dass nach der Wunde eine Narbe bleibt, denn so vergisst man nicht...
Jetzt hab ich auch wieder einen Roman geschrieben, aber das tat gut!
Ganz liebe Grüße Dir,
Claudia

ein Erlebnis

...ich hoffe, dass ich Dir durch meine Worte auch ein bisschen Trost und vorallem Hoffnung vermitteln konnte. Hoffnung, dass es irgendwann einfach nicht mehr ganz so weh tut und das dann auch wirklich gut so ist.
Auch wenn ich jetzt nicht ausdrücklich geschrieben hatte, dass es mir Leid tut. Fiel mir eben beim Durchlesen meiner Antwort auf.
Drück Dich!
Claudia

ein Erlebnis

Liebe Inken!
Ich kann dein Erlebnis sehr gut nachvollziehen. Ein Freund von mir erhängte sich, als ich 15 war. Da er in Süddeutschland wohnte und unsere Eltern keinen Kontakt hatten, war ich nicht bei der Beerdigung. Vor ein paar Jahren brachte sich der Vater eines Freundes meines Mannes um, ein Mensch, den ich erst einmal zuvor gesehen hatte. Und trotzdem... schon auf dem Weg zu dessen Beerdigung kam alles wieder hoch und es war für mich so, als ob ich mich endlich von B. verabschieden konnte. Es hatte mich jahrelang gequält, dass ich damals bei seiner Beerdigung nicht dabei war.
Vielleicht sind dafür solche Erlebnisse da, damit man auch noch einmal weinen kann, sich erinnern, sich verabschieden. Und so bleiben die Menschen, die wir verloren haben, präsent.
Liebe Grüße
Steffi
(CT war OK.)

Vielen Dank für Eure Antworten! Habe mich gefreut. :-)

Oh, ich könnte zu dem ein oder anderen von Euch angesprochenen Gedanken eine Menge schreiben. :-)
Das tue ich jetzt aber nicht. In Anbetracht der kommenden vollen (Arbeits)Tage, will ich heute Abend wirklich mal das Notebook in Ruhe lassen und mir vor dem Schlafen etwas Zeit ganz für mich alleine nehmen ... nachdem wir eben schon gemütliches Familienkuscheln veranstaltet hatten, ehe Sohnemann ins Bett gegangen ist.
Vielen lieben Dank für Eure Worte!!!
Bis demnächst,
Inken
P.S. Fibi, ich freue mich, daß der Urlaub toll war! :-) Und Steffi, wie gut, daß das CT okay war und erstmal nichts Negatives gesehen wurde!

ein Erlebnis

hallo liebe siw,

kann dich gut verstehen, dass du einige zeit gebraucht hast, um über dieses erlebnis zu schreiben. dieses gefühl eines déjà vu in bezug auf deine tante während eine sehr kranke patientin vor dir liegt... da läuft mir beim lesen eine gänsehaut über den rücken.

"Ich fühlte eine Trauer, wie ich sie noch nie zuvor im OP verspürt hatte! :-(
Ich habe nun wirklich viel mit Kranken zu tun, mit Krebspatienten, mit Sterbenden und letztlich auch Toten - aber selbst wenn ich mit den jeweiligen Angehörigen Mitleid empfand, hat es mich nie selbst so aus der Bahn geworfen."

ich glaube in deiner ganz persönlichen situation ist es völlig normal, so zu empfinden. die "ärztlich/berufliche" distanz war durch das berühren des haarflaums völlig aufgehoben. auch wenn ich selber noch keine nahen verwandten verloren habe, kann ich dein verhalten absolut nachvollziehen. kurz nach jaron`s geburt sind ja zwei freunde aus meinem früheren freundeskreis kurz hintereinander gestorben. (hatte ich hier kurz geschrieben, weiß nicht, ob du es gelesen hattest). vor allem an den freund meines ex-freundes denke ich oft, wenn ich durch verschiedenste dinge an ihn erinnert werde. und es sind - wie bei dir der haarflaum - dinge oder situationen, in denen man so gar nicht damit rechnet und dann völlig von seinen gefühlen überrumpelt ist.

ich hoffe, irgendwann kommt die zeit, dass du dich freust, wenn dich kleinste dinge an deine tante erinnern und dir so ein paar minuten deines alltags rauben.

liebe grüße, birthe

ein Erlebnis

Liebe Inken,
ich kenne sie auch, diese Berührungspunkte von beruflichem Erleben und ganz privater, tief empfundender Trauer. Vor meinem letzten Dienst wollte ich die kritischen Patienten auf unserer Station kennenlernen. Ein wunderbarer Herr, mit dem ich im Dienst noch ein sehr schönes, fröhliches Gespräch führen durfte, bevor er starb, und eine Patientin, die meinen Dienst dann gar nicht mehr erlebte. Als ich an ihrem Bett stand, ich ihren Atem hörte, hörte ich plötzlich wieder meinen Schwiegervater, der derjenige gewesen war, den ich zuvor begleitet hatte. Und plötzlich brach so unaufhaltsam all die Trauer über mich herein, dass ich das kaum kontroliieren konnte. Ich musste raus, habe mich in mein Arztzimmer verkrochen und geweint.
Trauern braucht eben doch viel Zeit und Ruhe, Trauer entwickelt sich mit den Tagen, Wochen, Monaten. Am Sonntag wäre meine Oma, die vor 17 Jahren gestorben ist, 100 Jahre alt geworden. Zufällig hat mein Mann eine CD aufgelegt von einem Pianisten, der kurz nach der Einspielung an Leukämie gestorben ist, und da war so viel zutiefst empfundene Traurigkeit herauszuhören (oder hineinzuhören?), dass ich meine Oma fassungslos vermisst habe wie damals, als sie gerade erst gestorben war.
Trauern ist vielleicht eine Sache, die wir einfach brauchen, um der zu werden, der wir sind.
Liebe Grüße,
Rhea
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