Suchen Menü

Nachdenklich

Hallo,

ich komme gerade aus dem Stress kaum raus und nicht zuletzt deshalb, weil ich nun ja in 2 Klassenlehrerteams bin und ganz viele Schüler auch als Klassenlehrerin (mit-)betreue.

Ich mache den Job ja auch schon über 10 Jahre und wir sind eine Schule mit einem recht guten Einzugsgebiet, also wirklich viele Schüler aus "gutem Elternhaus". Aber die Zahl der Problemfälle nimmt krass zu und ich komme mir vor wie eine Mischung aus Zweitmama und Sozialarbeiterin. Nicht, dass mir das nicht liegen würde, ich mache das wirklich gern und rede viel mit den Kindern über ihre Probleme und gebe praktische Lebenshilfe, aber es stimmt nachdenklich und oft auch traurig. So viele Kinder, die zu Hause vernachlässigt werden und ganz viel Zuwendung brauchen. Ein Mädchen (5. Klasse) hat mich und meine Kollegin nun schon ein paar Mal einfach in den Arm genommen und sucht ständig Aufmerksamkeit. Ein anderes Mädchen scheint völlig auf sich allein gestellt zu sein und hat nie ihre Sachen dabei und keiner kümmert sich. Heute hat ein Junge im Gespräch plötzlich geweint und mir gesagt, dass er bis auf die kurze Pause seiner Mama am Nachmittag immer mit seinem Bruder allein zu Hause ist, weil Mama nach der Trennung vom Papa den ganzen Tag arbeitet und ihm auch nie helfen kann bei HA o.ä.. Ich habe 2 Mädchen in meinem Klassen wo der Missbrauchsverdacht im Raum steht und die ANzahl der Kinder, die in Pflegefamilien oder Wohngruppen leben, wird immer größer. Viele Eltern sind mit der Erziehung überfordert und lassen die Kinder lieber in Ruhe alles machen was sie wollen um dann auch selbst Ruhe zu haben nach ihrem stressigen Arbeitstag. In den Gesprächen mit den Kindern erfahre ich so viele Dinge, die zu Hause nie thematisiert werden bzw. wird einfach zu Hause insgesamt kaum gesprochen.  Ich muss die älteren Schüler auch zunehmend fit darin machen, sich um alles (auch Behördengänge o.ä.!) selbst zu kümmern und ihre berufliche Zukunft in die Hand zu nehmen.

Ist es da nicht verrückt, dass z.B. wir hier im Forum uns oft so viele Gedanken machen ob wir alles richtig machen und dabei so selbstkritisch sind? Wenn einige andere Eltern nur einen Bruchteil davon hätten, wäre den Kindern schon geholfen...

Bisherige Antworten

Re: Nachdenklich

ja schrecklich, kenne solche Fälle leider auch :,(

mir tun die Kinder da auch immer schrecklich leid :-(

Re: Nachdenklich

Ja, ich habe auch das Gefühl das es immer mehr "Problem-Kinder" gibt. Was meine Jungs da aus ihren Klassen erzählen :-X.

und hier ist es auch oft so, die Eltern arbeiten und die Kinder sind bis zum Abend alleine. Ich muss meinem Mittleren sooft helfen und auch meinen Großen Vokabeln abfragen, ich frag mich immer wie das bei diesen Kindern zu Hause abläuft. Können die alles alleine oder ist es da egal?

Und immer mehr Kinder werden betreut, obwohl ein Elternteil zu Hause ist. Hier ist ein Mädchen, die ist bis 15 uhr in der Schule, obwohl der Papa zu Hause ist. Und dann maulen die Eltern rum, weil es in der Schule nicht läuft...Aber vielleicht ist es für diese Kinder besser irgendwo zu sein, nur nicht zu Hause.Für Lehrer stelle ich mir das schwierig vor, ihr sollt den Kindern etwas beibringen, müsst aber auch immer mehr "Ersatz-Eltern" sein...

Re: Nachdenklich

Tja, das sind die Probleme von denen die Lehrer in den Fremdsprachen berichten. Die Kinder können keien Vokabeln, weil zu Hause keiner abfragt oder wenigstens am ANfang mal zeigt wie man am besten lernt. Es ist wirklich traurig, wie viele Kinder in der Ganztagsbetreuung wirklich besser aufgehoben sind als zu Hause, wo sogar ein Elternteil da wäre... Unsere OGS-Leitung kümmert sich wirklich toll um diese Kinder und wir überreden manche Eltern regelrecht dazu ihr Kind dort anzumelden. Das hab ich jetzt auch bei dem Jungen vor, dessen Mutter so lange arbeiten muss.

Re: Nachdenklich

Ja, das ist schlimm. Ich verstehe nicht, wie Eltern sich so wenig für ihre Kinder interessieren können. Im Kindergarten hab ich einmal mitbekommen, wie eine Mutter behauptete, dass die Erzieherinnen dafür zuständig seine, dass ihre Tochter das höfliche Sie lernt. Sie fragte nach, ob die Kinder die Lehrer in der Grundschule auch duzen würden. Da geht es in meinen Augen schon los. Wenn man sich für das Verhalten der eigenen Kinder nicht zuständig fühlt und den Erziehungsauftrag an Lehrer und Erzieher abgibt, ist es doch vorprogrammiert, dass diese Kinder "nestlos" (mir fällt kein besserer Begriff ein) aufwachsen.

Unsere Kinder haben Glück, dass wir uns um sie sorgen und uns Gedanken machen. Aber "solche wie uns" wird scheint es immer weniger zu geben. Es ist wie mit dem Geld... die Schere klafft immer mehr. Es wird demnächst nur noch reich und arm und behütet und unbehütet geben... befürchte ich. Die goldene Mitte wird langsam verschwinden.

Re: Nachdenklich

Geanu so ist es, die Mitte verschwindet leider einfach und die Schere klafft auseinander. Wir haben immer mehr überbehütete Kinder und noch viel mehr, die vernachlässigt werden.

In der Kita hab ich auch mal so ein Gespräch mitbekommen. Ein Vater hat der Erzieherin gesagt, dass sich seine 2-jährige Tochter super entwickelt hat seit sie in der Kita ist. Als Gegenbeispiel führte der Vater dann das Kind von Freunden an, welches ja zu Hause erzogen wird und längst nicht so weit ist wie seine Tochter. Das würde ja eindeutig zeigen wie wichtig die Kita für die Entwicklung der Kinder ist im Gegensatz zur häuslichen Erziehung.... =-O

Ok, Aaron geht auch täglich von 8-16h in die Kita wenn ich arbeite, aber wenn er zu Hause ist, nehme ich mir bewusst Zeit für ihn, insbesondere am WE und in den Ferien. TV kennt er nur von Oma und Opa oder wenn er mal krank war und auch ALex habe ich nie vor den el. Geräten geparkt, obwohl das für mich sicher wesentlich entspannter gewesen wäre nach einem anstrengenden Arbeitstag...

Re: Nachdenklich

Ich denke, es geht auch nicht um die Quantität der Zeit mit den Kids sondern um die Qualtität der Zeit. Diese Übereltern sind mir ja ein Dorn im Auge. Komischerweise findet man die gerne auf dem Gymnasium. In der Realschule geht es deutlich entspannter zu. Aber darum geht es ja bei Deinem Posting nicht. Leider weiß ich auch keine Möglichkeit, diese Entwicklung aufzuhalten. Wir sind definitiv in der Minderheit: normale Eltern.

Re: Nachdenklich

Liebe Sandra,

ich weiss genau was Du meinst, beobachte ich auch immer mehr.... Wir sind ja in der Waldorfszene, wo der Trend wahrscheinlich später ankommt, wo auch viele gutsituierte und gebildete Elternhäuser sind. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass viele Kinder innerlich verwahrlosen, da die wirklichen Kinder-Bedürfnisse, wie draussen sein, bauen, matschen, ausprobieren, einfach TUN, auch laut sein dürfen und toben, keinen Raum mehr haben. Dadurch werden sie sehr unausgeglichen und entwickeln sich sehr einseitig. Kinder werden so früh wie möglich intellektuell gefördert, dürfen nicht mehr einfach Kind sein, da die Kindheit keinen Wert mehr hat. In der Klasse meines 11jährigen sind Kinder, die noch nie ein Feuer gemacht haben oder eine Säge in der Hand hatten. Obwohl wir am Meer wohnen gibt es hier Kinder, die noch nie mit nackten Füssen im Watt gelaufen sind!!! Meinem Grossen habe ich alle 7 Bände Harry Potter vorgelesen (er kann natürlich selbst lesen, aber das war immer unsere abendliche Mutter-Sohn-Stunde). In seiner Klasse hatte kaum jemand die Bücher gelesen aber sehr wohl gab es Kinder, die in der 3. oder 4. Klasse bereits alle Filme geguckt hatten und die sind teilweise wirklich gruselig.... Die Kinder werden vor der Flimmerkiste geparkt, das ist für die Eltern bequem und sie haben ihre Ruhe. Auch haben Eltern immer öfter Angst, sich bei ihren Kindern unbeliebt zu machen (!) und nehmen daher ihren Erziehungsauftrag nur äusserst halbherzig wahr... Die Eltern möchten mit ihren Kindern ein freundschaftliches Verhältnis auf Augenhöhe haben, aber das tut den Kindern nicht gut. Kinder wollen Erwachsene, die wissen wo es langgeht, die Entscheidungen treffen und dazu stehen, die Verantwortung übernehmen. Statt dessen laufen die Kinder in watteweiche "Grenzen", Eltern "verhandeln" bereits mit Dreijährigen und wenns dann schwierig wird, erwartet man vom Lehrer, dass er das alles wieder hinkriegt..

Du siehst, das ist genau mein Thema!!!:-P

Re: Nachdenklich

Hallo,

das hast Du schön formuliert, kann ich genau so unterschreiben.

Besonders dass den Kindern die Kindheit geraubt wird, und sie nicht mehr tun und lassen dürfen was Kinder so brauchen, finde ich auch ganz schlimm. Ich kämpfe gerade mit ein paar anderen Eltern zusammen gegen unseren hiesigen Grundschul-Direktor. Der will doch allen Ernstes aus unserer Grundschule eine verbindliche Ganztagsgrundschule machen, nur über meine Leiche. Angeblich kann man den Kindern dann einen viel besseren Start ins Leben ermöglichen, weil alle die gleiche Unterstützung bei den Hausaufgaben erhalten und alles gemeinsam machen........... Es gibt natürlich auch hier Eltern, die das ganz toll finden, weil sie dann den ganzen Tag arbeiten gehen können und sich nicht mehr um die Erziehung ihrer Kinder kümmern müssen. Aber dafür hab ich doch keine Kinder bekommen, damit ich sie dann dem Staat übergebe.........

Und von Harry Potter kann ich auch ein Lied singen - echt schlimm, was manche Eltern da mit ihren Kindern machen.

Du siehst, das ist nicht nur Sandras und Dein Thema, auch ich könnte dazu ganze Romane schreiben und finde es absolut traurig in welche Richtung sich unsere Gesellschaft gerade bewegt.

Liebe Grüße

Sanne

Re: Nachdenklich

Liebe Sanne,

aber ist es nicht immer wieder schön, auf Gleichgesinnte zu treffen?:ROSE::KISSING:

Re: Nachdenklich

Zitat:

 Auch haben Eltern immer öfter Angst, sich bei ihren Kindern unbeliebt zu machen (!) und nehmen daher ihren Erziehungsauftrag nur äusserst halbherzig wahr... Die Eltern möchten mit ihren Kindern ein freundschaftliches Verhältnis auf Augenhöhe haben, aber das tut den Kindern nicht gut. Kinder wollen Erwachsene, die wissen wo es langgeht, die Entscheidungen treffen und dazu stehen, die Verantwortung übernehmen. Statt dessen laufen die Kinder in watteweiche "Grenzen", Eltern "verhandeln" bereits mit Dreijährigen und wenns dann schwierig wird, erwartet man vom Lehrer, dass er das alles wieder hinkriegt..

 

Das sind genau die Dinge, die ich letzte Woche bei einem Elterngespräch und diese Woche auch auf der Klassenpflegschaftssitzung in meiner 8. Klasse gesagt habe...;-) Ich habe den anwesenden Eltern deutlich gemacht, dass sie sich auch mal mit ihren Pubis "anlegen" müssen und dass es dann auch manchmal alles andere als harmonisch zugehen wird. Das ist eben so gerade in der Pubertät. Wahrscheinlich hast du auch das eine oder andere Buch von Michael Winterhoff gelesen, oder?

Mittlerweile habe ich auch keine Scheu mehr mit den Eltern mal Klartext zu reden und hoffe, dass sie dann auch darüber nachdenken. Aber eigentlich kann es ja auch nicht meine Aufgabe sein den Eltern zu sagen wie sie ihr Kind erziehen sollten... :-|

 

Re: Nachdenklich

Nein, von Michael Winterhoff habe ich noch nie was gelesen:-[ aber seine Buchtitel (hab gerade gegoogelt) klingen genau nach unserem Thema. Sind die Bücher empfehlenswert?

Schaffst Du das, mit den Eltern so zu reden, dass Euer Verhältnis hinterher nicht nachhaltig gestört ist? Das ist ja sehr schwierig.... Ich habe in meinem Beruf als Ergotherapeutin auch viele Elterngespräche geführt und empfinde es als sehr schwierig, Kritik an den Eltern zu üben ohne dass sie gleich die Praxis wechseln (oder ihr Kind von der Schule abmelden oder eine Beschwerde einreichen)

Re: Nachdenklich

Naja, ich hoffe, dass es nicht anmaßend herüberkommt. Ich beziehe mich auch oft auf meine Erfahrungen als Mutter und das finden die Eltern dann schon glaubwürdig. Es ist sicher eine Gratwanderung und ich bringe dann auch mal den einen oder anderen Lacher oder ein Augenzwinkern ein um nicht so pädagogisch und ernst zu klingen. Im Laufe der Jahre habe ich mir da einen ganz eigenen Stil angewöhnt, der meist sogar ganz gut ankommt bei den Eltern. Mein Kollege hat mich durch Zufall am Dienstag in Aktion erlebt und war überrascht wie eindringlich ich wohl mit den Eltern spreche, aber auch mit Verständnis und Humor damit sich niemand persönlich angegriffen fühlt. Früher hätte ich nicht den Mut gehabt die Dinge überhaupt anzusprechen vor 20-25 Eltern, aber mittlerweile bringt mich da so schnell keiner mehr aus der Ruhe.;-)

Re: Nachdenklich

Als Mutter weiss man ja auch, wie leicht sich eine Mutter angegriffen fühlt (ist zumindest bei mir so, manchmal kann ich mit Kritik auch nicht gut umgehen).

Aber ich finde es toll, wie viel Gedanken Du Dir um Deine schüler machst und wie sehr Du Dich engagierst. Sind an Eurer Schule alle so engagiert oder bist Du da allein auf weiter Flur?

Re: Nachdenklich

Wir haben ein recht junges Kollegium und bei der Gründung der Schule vor 13 Jahren wurden die neuen Kollegen meist frisch aus dem Referendariat eingestellt. Ich würde sagen, dass wir ein ausgesprochen gutes, freundschaftliches Verhältnis im Kollegium haben und auch sehr diskussionsfreudig und kooperativ sind. Das macht wahrscheinlich auch unseren guten Ruf in der Stadt aus. Keine andere Realschule hatte annähernd so viele Anmeldungen wie wir und sowohl die meisten Schüler aber auch Lehrer sind gern hier und fühlen sich wohl. :-)

Re: Nachdenklich

oh, das würde mir auch ganz Nahe gehen, wenn ich täglich mit solchen Problemen konfrontiert würde. Ich verstehe auch manche Eltern einfach nicht.

Und Du hast völlig Recht, wir sollten uns mal alle hier auf die Schulter klopfen, aber auch ich habe erst gestern wieder gedacht, dass ich es irgendwie nie schaffe meinen (nur!) drei Kindern immer gerecht zu werden. Und dabei bin ich zu Hause und versuche wirklich mein Bestes zu geben... %) 

Re: Nachdenklich

Es fällt mir auch immer schwerer das Ganze auszublenden und ich sehe meine Aufgaben mittlerweile auch ganz woanders als noch vor 10 Jahren. Damals habe ich UNterrichtsreihen in Mathe und Physik geplant, aber heute geht es um ganz andere Dinge als den Fachunterricht.

Mit dem schlechten Gewissen einer berufstätigen Mutter muss ich natürlich auch leben, gerade weil ich mich auf der Arbeit engagiere und meine Jungs meist bis 15/16h in der Betreuung waren. Aber in der verbleibenden Zeit habe ich hier natürlich niemanden vorm Fernseher geparkt o.ä. und die Schulsachen werden auch kontrolliert, auch wenn ich aus Zeitgründen nicht daneben sitzen und helfen kann.

Meistgelesen auf 9monate.de
Diskussionsverlauf
Rat und Hilfe zur Bedienung
Übersicht aller Foren

Mit der Teilnahme an unseren interaktiven Gewinnspielen sicherst du dir hochwertige Preise für dich und deine Liebsten!

Jetzt gewinnen