Huhu,
unser Gespräch mit der Therapeutin war doch sehr aufschlussreich und deshalb muss ich mal berichten, weil wir ja doch verschiedene Theorien hatten und das merkwürdige Verhalten von Alex Fragen aufgeworfen hat. Er wirkte ja teilweise sehr "machtvoll" und gar nicht verängstigt wie man es von einem Kind mit einer Sozialphobie erwarten würde. Dazu diese von Alex selbst ins Spiel gebrachte Theorie mit der heimlichen Computersucht, die ihn von der Schule abgehalten hätte und die 1000 Erklärungen, die er hatte um nur schnell wieder aus der Klinik zu kommen.
Also zunächst lässt sich sagen, dass die Therapeutin in den vielen Jahren wohl noch nie (!!!) so einen heftigen Fall von Verlustangst erlebt hat und ein Kind, das mit 12 Jahren so sehr unter der Trennung von dem eigenen Zuhause leidet. Er kann dort wohl kaum schlafen und essen vor Heimweh und weint unheimlich viel. Daher ist er momentan auch gar nicht therapierbar, denn er kann seine Konzentration gar nicht mehr fokussieren aufgrund der Traurigkeit.
Seine Gedanken kreisen wohl insbesondere um mich, deshalb hat er auch ständig Kontakt zu mir gesucht. Ich hab ja schon etwas in der Art vermutet und die Therapeutin hat es bestätigt, dass er unter unserer Trennung so sehr leidet, weil er Angst hat mich (als nicht Sorgeberechtigte) zu verlieren und nicht etwa, weil er Angst hat seinen Vater an diese neue Frau und das Kind zu verlieren.
Die vermeintliche ANgststörung ist aus Sicht der Therapeuten und Betreuer gar keine, sondern einfach eine Strategie von ALex gewesen um in meiner Nähe zu sein. Deswegen ist er mir nicht von der Seite gewichen und war auch so extrem eifersüchtig auf Aaron und alle anderen Menschen, die uns besuchen oder mit mir sprechen wollten. Er ist einfach nirgendwo mehr hingegangen um in meiner Nähe zu sein und nicht weil er Angst vor Menschen hat, obwohl er natürlich trotzdem auch eine leichte Form der sozialen Angst hat, aber bei weitem nicht so stark wie er uns glauben machen wollte. Trotzdem steckte aber eine große Not dahinter und nicht etwa berechnendes Verhalten.
Die Therapeutin führt die starken Verlustängste eindeutig auf das schwere Trauma in der frühen Kindheit zurück. Alexanders Mutter hatte ja Bauchspeicheldrüsenkrebs, die Diagnose erfolgte fast "zufällig" beim Kaiserschnitt damals und nach der Geburt lief einfach alles schief. Alex kam damals mit einem Herzfehler in die Kinderklinik, seine Mutter bekam in der Onkologie sofort die 1. Chemotherapie und nach einem 3jährigen Leidensweg starb sie dann schließlich nach etlichen OPs und Chemotherapien.Durch die Trennung kam das alles wohl mit Macht wieder hoch in Alexander und all die Dinge, die immer schon auffällig waren an seinem Verhalten, haben sich um ein Vielfaches verstärkt.
Die nicht altersgerechten Verhaltensweisen, die ja zur Zeit mehr als nur offensichtlich sind (ständig etwas in den Mund stecken, einnässen, Kleidung ansabbern usw.) hat Alex schon immer gezeigt, aber eben nicht so extrem und die Therapeutin sagte, dass Alex die schwere Krankheit und den frühen Tod der Mutter (die ihn ja noch sehr lange mehr schlecht als recht betreut hat als er so klein war) einfach nie verarbeitet hat und nun durch unsere Trennung ist er psychisch einfach zusammengebrochen und teilweise auf das Stadium eines Kleinkindes zurückgefallen. IN anderen Situationen wie z.B. in der Schule tritt er dagegen altersgerecht und sogar recht selbstbewusst auf und steckt die anderen wohl tatsächlich in die Tasche. Auch die Lehrerin dort sagte, dass sie sich kaum eine Angststörung vorstellen könnte so wie ALex sich dort präsentieren würde.
All diese Flucht- und Vermeidungsstrategien, die ALex zeigt, sind zum Großteil auf die Erfahrungen in der frühen Kindheit zurückzuführen und im Prinzip wird das die Therapie schwieriger gestalten als wenn es "nur" eine Angststörung wäre. Auch die emotionale INtelligenz resultiert wohl aus der Tatsache, dass seine schwer kranke Mutter ihn nicht richtig versorgen konnte und er sehr früh lernen musste zu erkennen wie es ihr geht um sich ggf. selbst zu versorgen wenn sie aufgrund der Chemotherapie einen schlechten Tag hatte.
Es war echt ein sehr offenes und auch emotional "hartes" Gespräch (selbst für die Therapeutin), aber es hat mir endlich mal die Last von den Schultern genommen, dass ich etwas falsch gemacht habe in den ganzen schwierigen Jahren mit Alex. Auch sein Vater hat nun endlich das erkannt, was ich ja schon immer zu ihm gesagt habe, er aber nie glauben wollte. Er hat mich ja oft als rechthaberisch beschimpft, aber heute hat er mir zum ersten Mal gesagt, dass ich diejenige war, die recht hatte mit ihrer Vermutung und er einen Fehler gemacht hat, indem er früher keine Therapie für Alexander wollte.
Tja, nun stehen wir aber immer noch vor dem Problem, dass ich einfach mal einen Gang zurückschalten muss und das hat auch die Therapeutin klar gemacht. denn von meinem Wohlergehen hängt auch das der Kinder und insbesondere auch das von Alex ab. Diese Entlastung ist zur Zeit durch die stationäre Therapie endlich mal möglich, aber auf Dauer wird ALex dort nicht therapierbar sein, weil er sich vor Kummer und Heimweh einfach nicht auf die Therapie einlassen kann. Somit würde die Therapeutin eine tagesklinische Betreuung empfehlen, aber erst, wenn ich dies auch leisten kann und das wird dann nach Weihnachten sein. Alex wird also noch bis Weihnachten dort bleiben und sich Mühe geben, aber danach wird er nicht mehr dort schlafen (kann er ja nicht zur Zeit und liegt fast nur wach). Danach wird er tagesklinisch betreut und Mo-Fr von 7.30-19.30 auf der Station sein, aber über Nacht und am WE immer zu Hause bzw. bei seinem Vater. Da wir ja ganz nah wohnen, kann er morgens allein hinfahren und ich müsste ihn nur abholen und das geht wenn der Kleine im Bett ist.
So sieht also der PLan aus und ALex hat fest versprochen sich daran zu halten, denn wenn er nicht hingeht, muss er wieder stationär bleiben und das haben wir ihm auch klar gemacht.
Puh, das war jetzt ein Roman und jeder der ihn geschafft hat, darf sich eine Schoki nehmen.