Suchen Menü

zum heulen schön... teil 2

Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht. "Ach, weisst du", begann sie zögernd und äußerst verwundert, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest." Die Traurigkeit schluckte schwer. "Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Man muss sich nur zusammenreissen. Und spüren das Reissen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen." "Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir schon oft begegnet." Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. "Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf, wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu." Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schliesslich ganz verzweifelt. Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlte, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. "Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt." Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin: "Aber ... aber - wer bist eigentlich du?" "Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen. "Ich bin die Hoffnung."
Bisherige Antworten

Wunderschön...o.T.

Re: zum heulen schön... teil 2

Gerade heute habe ich nach dem ersten Hormontherapie-Zyklus leider doch meine Regel bekommen. Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht zu heulen --- bis mein Mann damit anfing. Vielleicht muß man eben manchmal ein bißchen heulen.
Ich glaube, mit solchen wunderbaren Geschichten machst Du uns wirklich reich. Dankeschön!

Re: zum heulen schön... teil 2

hallo !
das tut mir leid !!!
ja, man muß die traurigkeit zulassen und weinen. so lange wie es dauert. vielleicht hilft das, den schmerz etwas zu lindern.
ich hoffe, du siehst bald wieder licht !!
wir geben alle nicht auf !!!
lg
S_U_N_S_H_I_N_E

Das ist wunderschön...

liebe Sunshine,
traurig,aber wunderschön. Danke für deine Geschichte.
LG Marie

Re: zum heulen schön... teil 2

Hallo Sunshine, das ist wirklich zum heulen schön.
Danke für das schöne Gedicht aufs Wochenende. Euch
allen viel Glück und manchmal den Mut zur Traurigkeit.

Re: zum heulen schön... teil 2

Wie Recht du hast mit dieser Geschichte!
Danke, dass du uns wieder daran erinnert hast!
LG Anja
Meistgelesen auf 9monate.de
Diskussionsverlauf
Rat und Hilfe zur Bedienung
Übersicht aller Foren

Mit der Teilnahme an unseren interaktiven Gewinnspielen sicherst du dir hochwertige Preise für dich und deine Liebsten!

Jetzt gewinnen