Alex
Alex schaute ihn mit tränenverschwommenem Blick und murmelte nur: ?Ist mir jetzt auch egal, ich will nicht mehr,? und fiel wenig später erschöpft vom Weinen und von der Intensität ihrer Gefühle in einen leichten Schlaf. Matthias schaute sich seine Frau genau an: Sie sah müde aus, und das war ihm bisher nicht einmal aufgefallen. Tiefe Augenringe zeichneten sich ab, und ein paar deutliche Falten an der Nasenwurzel und auf der Stirn zeigten ihm, dass sie sich vieles mehr zu Herzen genommen hatte, als er gedacht hatte. Er hatte sie lange nicht mehr so intensiv angesehen.
Vorsichtig fädelte er sich unter ihr vom Sofa, wobei sie einen unwilligen Ton von sich gab; dann hob er sie auf, trug sie in das ehemals gemeinsame Schlafzimmer und legte sie ? bedacht darauf, sie nicht zu wecken ? auf das Bett und deckte sie zu. Und obwohl er die Katze nicht so recht mochte, holte er Phoebe aus dem Wohnzimmer, wo sie sich eingekuschelt hatte und legte sie Alex in den Arm. ?Sie liebt es doch so, wenn sie aufwacht, Phoebe im Arm zu haben?, dachte er bei sich.
Er war unschlüssig, was er nun tun sollte. Einerseits war er müde und hätte sich gerne zu Alex gelegt, sich vielleicht sogar ein wenig an sie gekuschelt, andererseits wusste er genau, dass er noch nicht würde einschlafen können.
Dieser Tag hatte ihm in gewisser Weise den Boden unter den Füßen weggezogen. Bisher war es ihm völlig klar gewesen, dass Alex und er innerhalb der nächsten Monate Nachwuchs erwarten würden, deshalb konnte er die Eile seiner Frau auch schlecht nachvollziehen. Wenn es denn so klar war, dass es kurz bis mittelfristig klappen würde, dann machte doch ein Monat früher oder später gar nichts aus. Erst heute wurde er massiv und schmerzlich von der Erkenntnis getroffen, dass sie die Erfüllung dieses Wunsches vielleicht gar nicht selbst und alleine in der Hand hatten, dass sie vielleicht nie oder wenn, dann nur mit der Hilfe anderer ein Kind würden haben können, und dass es dorthin ein Weg sein würde, der steinig und vielleicht auch gar nicht gradlinig sein würde. Und dass nicht klar war, ob sie ihn überhaupt gemeinsam gehen würden.
Seine Zukunftsperspektive hatte er nie infrage gestellt, er hatte sich immer als Herr seines Schicksal und der Erfüllung seiner Wünsche gesehen, früher oder später würde es schon so geschehen, wie er es geplant hatte. Und nun das?
Matthias saß auf dem Sofa, nahm von Schluck des dunklen Rotweins und war von tiefen Zweifeln erfüllt. Er hatte auf einmal Furcht vor der Zukunft, die ihm unwägbar erschien. Als er heute im Internet googelte, hatte er viele Dinge über Spermienqualität gelesen, aber er hatte sich nur mehr oder weniger spaßhaft dadurch angesprochen gefühlt. Bis heute hatte er über Männer, deren Spermienqualität unterdurchschnittlich war, Witze gemacht, hatte sich gesagt, er als feuriger Liebhaber weit über ihnen stünde, und nun musste er feststellen, dass er zumindest in deutlicher Gefahr war, zu ihnen zu gehören. Zu denen, über die er hinter ihrem Rücken so gerne getuschelt hatte. Zu denen, von denen er immer gedacht hatte, sie würden ?keinen hoch bekommen?; erst heute hatte er lernen müssen, dass zwischen ihm und Männern mit schlechten Spermien erst ein Unterschied zutage trat, wenn es um die Zeugung von Kindern ging. Und vielleicht gab es auch gar keinen Unterschied.
Er konnte sich bildlich vorstellen, wie seine Freunde über ihn Witze reissen würden und wie er mitleidige Blicke ernten würde. Aber er konnte sich noch nicht vorstellen, mit Alex darüber zu reden. Zumindest nicht, bevor er wusste, was los war. ?Vermutlich male ich mir das jetzt viel zu negativ aus und es ist nichts. Ich hätte das doch bestimmt jetzt schon gemerkt?, beruhigte sich Matthias und schaute noch einmal auf das auslösende Kinderbild, das er langsam in das Album zurücksteckte.
Er atmete tief durch und sagte sich: ?Okay, und morgen mache ich einen Termin?. Er wusste zwar noch nicht, wo, aber er wusste, dass er irgendwann eine Klärung würde herbeiführen müssen. ?Je her, desto besser?? fügte er an, doch er spürte eine deutliche Abneigung gegen das anstehende Telefonat. Leise schlich er sich zu Alex ins Bett.
In der Nacht schlief er unruhig. Weniger lag es am Rotwein, der vermutlich zumindest seine Gefühle verstärkte, als an all dem, was ihm durch den Kopf ging. Er träumte von einer Geburtstagsfeier, auf der Alex und er erschienen, und als er eintrat, drehten sich alle zu ihm um und schwiegen. Dann kam ein Freund ? war es Jürgen? ? auf ihn zu und sagte: ?Mensch, ist doch kein Beinbruch, mit ein wenig Schmiere kriegen wir jeden Motor wieder in Gang?, und alle brachen in lautes Gelächter aus. Es war eine furchtbare Nacht, die von derlei Reprisen gefüllt war, und Erholung fand er bis zum frühen Morgen nicht.
Na, da bin ich ja gespannt...
Ganz liebe Grüße
Lena, die damals den Termin für ihren Liebsten machen und ihn vor vollendete Tatsachen stellen mußte (bis heute weigert er sich, zu glauben, daß auch bei ihm nicht alles in Ordnung war)
Re: Na, da bin ich ja gespannt...
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