Alex 85
Das Buch in ihrer Hand war wie magisch. Es verkörperte für sie Kindheit und Zukunft zugleich, denn sie hatte sich immer vorgestellt, Mio ihren Kindern vorzulesen. ?Heute werde ich mit Matthias sprechen?, versprach sie sich selbst. Und wenn sie an Insa dachte, dann sah sie die glücklichen Gesichter von Mutter und Tochter und die beiden ineinander verschränkten Hände.
?Das werde ich auch erreichen, ich versprech? es dir?, sagte sich Alex leise, wobei sie selbst mit ihrem Gesprächspartner gemeint war.
Zuhause angekommen legte sie das Buch auf den Tisch; sie würde zum Abendessen etwas Leckeres kochen und dann mit ihrem Mann sprechen, und als Aufhänger würde sie das Buch nutzen. ?Du, Matthias, ich muss mit dir sprechen?, sagte sie sich im Geiste und ging das Gespräch durch. ?Nein, laß mich ausreden, ich?. Ja, du hast ja Recht, aber ich?. Nein, nun höre du mir mal zu?? Sie stellte sich schon auf ein kleines hitziges Gespräch ein, als sie merkte, dass ihr etwas fehlte. Und dieses Etwas war Phoebe. Sie wuselte doch sonst immer um ihre Beine, wenn sie nach Hause kam, doch heute konnte sie ungehindert überall langgehen, ohne Gefahr zu laufen, über ihre Katze zu stolpern. ?Phoebe, Süße, versteck dich doch nicht immer?? rief sie in die leere Wohnung hinein. Sie kannte nur zu gut die Angewohnheit dieses listigen kleinen Tieres, das sich irgendwo versteckte und dann gemächlich zusah, wie ihr Frauchen nach ihr suchte.
Alex fing also an, sie hob jede Decke, jedes Kissen, schaute in jede Ecke ? wobei sie zum Teil feststellen musste, dass sich dort keine Katze, sondern Staub gesammelt hatte- und öffnete alle Schränke, doch Phoebe blieb verschwunden. Schließlich rief sie entnervt und beunruhigt bei Hannah an.
?Hallo Hannah, sag mal, als wir aus dem Haus gingen, da war Phoebe doch noch da, oder? Ich finde sie nämlich nicht, kann es sein, dass sie mit uns rausgelaufen ist??
?Nein, bestimmt nicht, Alex, ich weiß genau, dass sie drinnen war, als du die Tür geschlossen hast. Ach Mensch, und du findest sie nicht??
?Nein, ich bin schon ganz unruhig. Aber ich suche noch einmal alles ab? bis dann.? Wenn Phoebe also nicht nach draußen gelaufen war, wo war sie dann? Lag sie vielleicht schon apathisch irgendwo in einer Ecke und wartete auf Hilfe? ?Phoebe, Süße, komm, gib doch einen Laut.? Alex hantierte laut mit der Futterschüssel. ?Hm? lecker lecker lecker?, rief sie und lauschte angestrengt. Nichts, in der Wohnung herrschte Stille.
?Komm her, kleiner Muck, laß mich nicht so hängen?, sagte sie traurig. ?Was soll ich denn nur ohne dich machen? Phoebe, laß mich nicht allein?? Mühsam kämpfte sie gegen ihre Tränen. ?Wo bist du denn bloß?? Immer unruhiger wurde sie, und noch einmal ging sie in alle Zimmer, öffnete alles, horchte, nahm lose Dinge hoch, unter denen sich Phoebe nie versteckt hätte, zog Schubläden auf, um ja nichts zu übersehen. Schließlich stand sie im Abstellraum und ließ ihren Tränen freien Lauf.
?Ach menno, nicht auch noch du. Phoebe!?
Alex schniefte und fühlte sich völlig einsam. Sie schaute sich im Raum um, alles war wie immer. Und die Schränke hatte sie nun dreimal geöffnet und durchgesehen. Sie putzte sich lautstark die Nase und sog befreit die Luft durch sie ein. Moment mal, da war etwas: der leicht stechende Geruch von Katzenpipi, und der konnte hier gar nicht sein, weil das Katzenklo in einem anderen Raum stand und diese Tür eigentlich immer verschlossen war. Und als sie so der Nase folgte, fiel ihr auf, dass der Schuhschrank geschlossen war, dabei hatte sie ihn am Morgen nachlässig offen gelassen, oder? ?Phoebe, Süße, Motte? Bist du hier?? Und plötzlich hörte sie ein ganz leises Maunzen, und als sie den Schuhschrank vorsichtig aufklappte, sah sie ein jämmerliches Köpfchen zwischen den Schuhen auftauchen. Der Schuhschrank hatte eine Kippvorrichtung, und offensichtlich war Phoebe in den Schrank geklettert, und die Gewichtsverlagerung auf dem Regal hatte den Schrank zuklappen lassen. ?Ach Mensch, meine Kleine, bin ich froh?? Vorsichtig zog Alex ihre Katze ans Licht, die sich dankbar auf den Arm nehmen ließ. ?Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte?, sagte Alex erleichtert und drückte ihre Nase in das weiche Fell. Phoebe langte das schon, sie hatte Hunger und strebte nun dem Futternapf zu. Alex aber beruhigte sich nicht so schnell, ihr liefen die Tränen über die Wangen, und genau in diesem Augenblick kam Matthias nach Hause.
?Hallo mein Schatz?.? Matthias stockte mittendrin. ? Was ist denn los? Ist was passiert??
?Phoebe war verschwunden, ich habe sie über eine Stunde lang gesucht, ich dachte schon sie wäre weg..? Alex war ganz aufgelöst.
?Ach Älchen, Mensch, was für ein Schreck.? Er nahm sie liebevoll in den Arm. ?Wo war sie denn??
?Im Schuhschrank, dabei kann sie da gar nicht hin eigentlich,? Alex schniefte erneut ?? weil ich ja immer die Tür zum Raum zumache, aber du hast sie bestimmt wieder offen gelassen.? Das machte Matthias nämlich aus unerfindlichen Gründen immer.
?Ach nee, und jetzt bin ich wieder Schuld, was? Dann paß? eben besser auf deine blöde Katze auf, dann passiert das nicht. Und laß? den Schuhschrank nicht offen?überhaupt ist dir deine Katze wichtiger als ich, damit das mal gesagt ist. Die darf ja sogar in deinem Bett schlafen, im Unterschied zu deinem Mann??
Nun platzte Alex der Kragen, und alle Schleusen ihrer Tränen wurden gleichzeitig geöffnet. ?Wenn du netter zu mir wärst, dann wäre das auch anders. Sie hält immer zu mir. Und sie gibt mir das Gefühl, für sie wichtig zu sein. Und? überhaupt?? Sie stapfte zum Tisch und nahm das eingepackte Buch. ?Da, für dich, ich wollte es immer gemeinsam mit meinem Mann unseren Kindern vorlesen, aber dazu kommt es ja nicht mehr. Wir haben ja keine, und kriegen tun wir auch keine.? Sie heulte auf. ?Und ich will auch nicht mehr die Verantwortung dafür tragen, du fragst ja nicht mal, ob du helfen kannst. Ehe ich alles tue, musst du auch mal ran, wenn du überhaupt noch Kinder haben willst?? Alex weinte haltlos, aber immerhin war das Wichtigste raus. ?Du machst ja nicht mal ein Spermiogramm, eher würdest du eine Bauchspiegelung ? und das ist eine OP ! ? von mir verlangen?? Alex war laut gewesen und wollte sich von ihm losmachen, aber Matthias hielt sie fest im Arm. Er nahm ein Taschentuch und hielt es ihr hin, während er mit der anderen Hand ihr Haar streichelte.
?Ist doch nicht wahr. Und das mit Phoebe tut mir leid, ich nehms zurück, ich war auch nur froh, dass ihr nichts passiert ist. Und wenn dir ein Spermiogramm so wichtig ist, warum hast du es dann nicht einfach mit mir besprochen. Natürlich mache ich eines, ist doch kein Ding, schließlich geht das uns beide an, oder? Mensch Alex, wir wollen uns doch nicht streiten, schon gar nicht über Kinder, oder??
?Ich will mich ja auch gar nicht streiten.? Sie zog geräuschswirksam hoch und nahm dann das Taschentuch. ?Halt mich fest, ja? Ich bin nur so traurig?und du gehst wirklich zum Arzt und machst ein Spermiogramm??
?Na, klar, sag ich doch, ich habe schon einen Termin. Oder glaubst du ernsthaft, ich lasse dich damit allein, du Traumfrau?? Matthias stand da, und auf einmal war der Anruf beim Arzt so selbstverständlich, als habe er nicht tagelang mit sich gerungen.
?Du hättest doch nur eine Anmerkung zu machen brauchen, dass du Hilfe brauchst?? fügte er an und hielt sich tatsächlich für den sensibelsten Ehemann der Welt. Und Alex schmolz dahin, auch sie war dankbar, einen solchen Mann zu haben. Jetzt war alles ganz einfach. ?Und das lesen wir dann den Kindern vor?? fragte sie unsicher und hielt Matthias das Geschenk hin. ?Natürlich, das mache ich dann, und du ruhst dich abends aus.? Er hielt seine Frau glücklich im Arm, und beide hatten auf einmal das Gefühl, dass sie den Weg schon fast bis zum Ende gegangen waren.
Wenn die Katze weg ist....
jaja, das ist schrecklich, wenn die Katze weg ist! Grauenhaft! Ein Horroszenario.
Ich bin übrigens sehr gespannt, wie Matthias den "Gewinnungsraum" finden wird. In unserer Kinderwunschpraxis war er zwar im ersten Stock, aber gegenüber eines Restaurants und OHNE SICHTSCHUTZ an den Fenstern! --- Hach ja, manchmal möchte man mit dem Gattten wirklich nicht tauschen...
Ganz liebe Grüße
Lena, deren Katze schnurrend hinter dem Notebook liegt
Re: Wenn die Katze weg ist....
Re: Alex 85
Re: Alex 85
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