Alex 70
Dass Alex nach diesem Gespräch aufgewühlt war, ist leicht vorstellbar. Sie kannte Bea schon so lange, dass ihr klar war, dass diese zu überstürzten Handlungen neigte, die sie eventuell später einmal bereuen würde. Und dass sie die Frage nach dem eigenen Wert nicht sorgfältig überlegte, sondern an dem jeweiligen Märchenprinz festmachte - und somit würde ihr Vorgehen eindeutig eher durch Peter als durch sie selbst bestimmt werden.
Ein sanftes Stupsen am Bein weckte sie aus den Gedanken. ?Na, du Schöne?? Wie immer beruhigte die reine Anwesenheit der Katze ihre Gefühlswallungen, und kurze Zeit später saßen beide, Katze und Mensch, traut auf dem Sofa, Phoebe wurde gestreichelt und schnurrte, und Alex als Streichlerin schnurrte fast ebenso. ?Das Leben könnte so einfach sein,? dachte Alex und fuhr erneut mit der Hand über das weiche Fell. Sie beugte sich herunter und vertiefte ihre Nase ins Katzenhaar. ?Hmm.. du duftest, aber Mundgeruch hast du?? sagte sie sanft und strich sich mit dem Finger ein Katzenhaar von der Nase. ?Stubentiger, was würde ich ohne dich tun?? Phoebe schaute sie zwar verständnisvoll an, ließ aber die Antwort in der Luft hängen. Alex schaute wie so oft in die unergründlichen Augen ihrer vierbeinigen Vertrauten.
?Kannst du mir sagen, was Bea da für einen Unsinn macht?? Auch diese Frage blieb unbeantwortet, dafür drehte sich Phoebe aber gelangweilt um und leckte intensiv ihre Pfote mit laut schmatzendem Geräusch.
?Schon okay, du hast Recht, es wäre schon klasse, wenn ich meine eigenen Probleme lösen würde, und nicht die der anderen.? Alex seufzte noch einmal pathetisch und setzte ihre Katze neben sich auf das Sofa. Phoebe rollte sich gleich dort zusammen und rieb den Kopf seitlich vor Wohlbehagen am Bezug. Sie hatte unstrittig für sich entschieden, was sie tun würde: Alles, was sie als gut für sich empfand. Alex empfand fast eine Art Neid für die Katze und sagte wie so oft ?Du hast es gut?. Und mit diesen Worten stand sie auf, um den Kuchenteig nun endgültig fertig zu machen.
Als ihre Schwiegereltern, Ilse und ihr Mann Gert, nachmittags zum Kaffee kamen, war der Kuchen gerade abgekühlt und spiegelte damit die Seele Alex wieder. Sie hatte in den letzten Stunden in der Wohnung gepuzzelt und dabei das schöne innere Gleichgewicht einer Frau erreicht, die sich die Probleme von der Seele geputzt hatte.
?Hallo Ihr beiden, schön, dass Ihr kommt?, begrüßte Alex ihre Schwiegereltern. Während sie ihre Schwiegermutter außerordentlich gerne mochte; hatte sie in Gert einen inneren Verbündeten gefunden, der ihr oft genug Halt gegeben hatte. Sie ließ sich fest in den Arm nehmen von ihm und genoss das Gefühl der Heimat, das sie bei ihm empfand und das sie bei Matthias manchmal suchte.
Gert war ein kleiner eher zarter Herr Ende der Sechzig, dessen gegerbtes Gesicht zeigte, dass er oft und gerne in der Sonne gewesen war und dies genossen hatte. Doch es war keine Sonnenbankbräune: Gert war ursprünglich Gärtner, hatte sich dann unaufhaltsam weitergebildet, ein Studium absolviert und später seine unbändig zähe Schaffenskraft einer Kommune zur Verfügung gestellt. Als Leiter eines Garten- und Friedhofsamtes, wie es früher so malerisch und verständlich hieß, war er über lange Jahre das grüne Gewissen seiner Stadt gewesen. Dabei hing sein Herzblut an den Kinderspielplätzen, für deren Qualität er sich auch bundesweit einsetzte.
?Na mein Mädchen, sehe ich dich auch mal wieder?? Gert lächelte verschmitzt über das ganze Gesicht und zeigte eine Unzahl von Lachfalten. Alex hatte immer das Gefühl, als würden seine Augen viel tiefer sehen als andere; und er sah ihr immer an, wie es ihr ging. ?Geht?s dir gut?? fragte er nach einem längeren Blick in ihr Gesicht.
?Alles okay?? sagte sie ausweichend. Gert quittierte dies mit einer leichten Schräglage seines Kopfes und einem noch tieferen Lächeln.
?Na dann ist ja gut?? antwortete er leicht. Aber an seinem Tonfall konnte Alex er kennen, dass er ihr kein Wort glaubte und abwarten würde, ob sie ihm die Möglichkeit zu einem Gespräch darüber, was sie bedrückte, geben würde. Er hatte sich nie aufgedrängt, aber irgendetwas in seiner Art lockerte ihren Sinn und ihre Zunge, das kannte Alex schon.
?Kommt erst mal rein, der Kaffee ist fertig und der Kuchen gerade erst abgekühlt?? unterbrach sie daher rasch die Situation.
Bei Kaffee und Kuchen plauderte es sich leicht und locker. Gert erzählte von seinem letzten Zug über einen Flohmarkt, wo er nach zähem Handeln einen dieser alten Reisewecker erstanden hatte, die man manuell aufziehen und je nach Gebrauch zusammenschieben konnte.
?So fünfziger Jahre, mit dunkelgrünem Lederbezug, der zwar etwas schadhaft ist, aber das kriege ich schon wieder hin. Braucht Ihr nicht so einen Wecker? Dieser Funkkram verpestet doch bloß die Atmosphäre, also ich trau? der Sache ja nicht.? Gert lehnte sich gemütlich zurück, er hatte damit seinen ersten Betrag zur Diskussion gestellt und seinem Sohn die Möglichkeit gegeben, ihm zu widersprechen. Denn Matthias war eher technikfreundlich orientiert und lehnte Gedanken über Elektrosmog im Hause schlichtweg ab.
Doch Matthias nahm den Fehdehandschuh nicht auf, sondern murmelte nur etwas davon, dass man ja über seinen eigenen Körper auch recht wenig Bescheid wüsste und dass die Umwelteinflüsse noch nicht hinreichend in ihrer Auswirkung geklärt seien. Gert quittierte auch dies mit einem tiefen Lächeln. Er sah aus, als würde er Informationen für sich sammeln und versuchen, die losen Enden verschiedener Fäden sinnvoll zusammenzusetzen.
?Auf dem Antikmarkt gab es auch noch eine wunderbare Biedermeierwiege. Ach, die hätte ich so gerne gekauft, Birkenholz wie euer Spiegel im Bad, leicht geflammt, das Furnier war nur an ein paar kleinen Stellen schadhaft, aber das hätte ich schon wieder hinbekommen: Ich möchte jetzt endlich was zum Spielen haben, und ein Enkel wäre doch passend, oder?? So, Gert hatte sich nun ganz weit hinausgewagt. Bei jedem anderen hätte Alex eine standardisierte Antwort gegeben, doch das war in diesem Fall nicht angebracht. Ihr Schwiegervater wollte sie nicht ärgern, sondern offensichtlich eine Situation klären. Denn er hatte diesen Gesprächsverlauf so geplant, dazu kannte sie ihn gut genug.
Also schaute sie ihn an und sagte: ?Glaub? mir, wir würden dir diesen Wunsch gerne erfüllen, aber manchmal geht das eben nicht so schnell.? Matthias blickte irritiert vom Kuchenteller auf, für den er sich in den letzten Minuten verschärft interessiert hatte. Alex hatte ein stillschweigendes Abkommen gebrochen, nämlich, dass niemand von ihrem Kinderwunsch wissen sollte.
Doch Gert reagierte mit der ihm eigenen Nonchalance, er strahlte und nahm alles Knistern aus der Situation. ?Na wenn ihr zumindest daran arbeitet, bin ich ja schon zufrieden.? Und dann erzählte er, dass er plane, in seinem Garten dieses Jahr den Gemüseanbau verstärken wollte.
Und während Matthias diesen Themenwechsel erlöst aufnahm, wusste Alex, dass ihr Schwiegervater immer dann locker über Dinge hinwegging, wenn er etwas im Schilde führte. Und sie wusste noch eines: Sie hatte in ihm einen unbedingten Verbündeten in strategischen Dingen.
Re: Alex 70
Wir wollen morgen meinen Eltern sagen, was Sache ist. Mir fällt das so schwer, ich warte schon ein Jahr auf den richtigen Zeitpunkt :-((
Gruß, Carla
Re: Alex 70
Re: Alex 70
danke für's drücken, kann ich gerade gut gebrauchen. Ja, das Eingeständnis, mögliche Gründe, künftige Schritte, nicht so schön... Zum Glück haben meine Eltern drei süße Enkel, mit denen sie gut beschäftigt sind.
Danke für die spannende, lebensnahe Geschichte! Carla
WOHER kennst Du meinen Stiefvater?
Gert ist meinem Stiefvater von der Art der Problemlösung sowas von ähnlich! Das ist echt klasse. Ich denke, ich werde das ausdrucken und ihm zeigen.
Ganz liebe Grüße
Lena mit dem besten Ersatzvater der Welt
Re: WOHER kennst Du meinen Stiefvater?
Merci,dass Alex weiterlebt!
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