Alex 67
Mit einem komischen Gefühl im Bauch drückte Alex den Klingelknopf bei Michael und Manuela ? und bei Tom, dem fast neuen Erdenbürger. Schon auf der Hinfahrt hatte Alex Matthias immer wieder unsicher von der Seite her angesehen, ob in ihm irgendwelche Gefühlsregungen zu erkennen waren. Aber er hatte sich nichts ansehen lassen, sondern hatte munter das Wetter gelobt und über andere Dinge geplaudert. Nur Alex hing offensichtlich ihren Gedanken nach. Und die drehten sich nach wie vor um den Kinderwunsch.
?Hallo Ihr beiden, schön, dass Ihr da seid?, mit diesen Worten öffnete Manuela nach kurzer Wartezeit vor der Tür. Alex strahlte sie an.
?Schön, dass es endlich klappt mit dem Treffen!? Mit diesen Worten gab sie ihr die Blumen und hielt Manuela das Geschenk für Tom hin.
?Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen, er hat doch schon alles?? entgegnete Manuela darauf. Und Alex hatte in diesem Augenblick das Gefühl, wieder einmal zurückgestossen zu werden. Unterstellte man ihr, dass sie nicht einmal dazu in der Lage war, für ein kleines Baby ein Geschenk zu kaufen?
?Na, das fängt ja gut an?, dachte sie, bevor sie sagte ?Aber vielleicht hat er trotzdem seine Freude dran.? Und so nahm sie Manuela den Wind aus den Segeln, die nun einen Bruchteil einer Sekunde betroffen schaute, sich aber sofort fing.
Alex betrachtete Manuela, die immer so besonders stolz auf ihre ranke Figur war, und zu ihrer kleinen und ? wie sie selbst zugeben musste gehässigen- Genugtuung stellte sie kritisch fest, dass Manuela ein paar Pfunde zugenommen hatte und sie nach der Geburt noch nicht wieder zu ihrer guten Figur zurückgefunden hatte.
?Gut siehst du aus?, sagte Manuela in diesem Augenblick und schaute Alex so offen an, dass diese ein schlechtes Gewissen wegen ihrer schlechten Gedanken bekam.
?Danke, mir geht es auch sehr gut.? Das war zwar eine glatte Lüge, kam aber immer gut an. Wie sollte sie ausgerechnet dieser ehemaligen Freundin, die sie so schnöde ausgebootet hatte, klar machen, was in ihr vorging?
?Na, dann schau dir den kleine Mann erst einmal an. Er schläft aber zum Glück gerade.? Tom lag noch recht winzig, wie Alex fand, in einer Tragschale vor dem bodentiefen Fenster in der Sonne und schlief.
?Mensch Manuela, ist der süß!? entfuhr es Alex, die völlig fasziniert dieses kleine Wunder betrachtete: kleine geballte Fäuste mit winzigen Fingern und Fingernägel, ein leicht offener Mund mit blassroten Lippen und lange dunkle Wimpern über geschlossenen Augen. Haare konnte Alex nicht erkennen, da er ein Mützchen trug, aber als Manuela dieses ein wenig nach hinten schob, sah sie fast schwarzes volles Haar.
?Die Haarpracht hat er von Michael, meine sind es zum Glück nicht. Und jetzt in der Schwangerschaft wurden sie leider auch noch dünner. Naja, was nimmt man nicht alles in Kauf für so ein Kind??
?Wenn du wüsstest??, dachte Alex als stille Entgegnung. Sie beugte sich noch tiefer über Tom, um ihre Betroffenheit nicht zeigen zu müssen. Diese Nase! Still und leise atmete sich der Erdenbürger in sein Leben, von dem er später vielleicht einmal sagen würde, dass er nicht gefragt worden sei, ob er es überhaupt hatte haben wollen.
Alex ertappte sich bei bitteren Gedanken. Als sie so klein war, hatte sie keine Ahnung davon gehabt, was alles noch vor ihr liegen würde. Ebenso wie der kleine Tom nun in seinem Schlummer hatte sie einfach nur gelebt und die Leichtigkeit des Seins wurde nur getrübt, wenn sie Hunger hatte oder etwas anderes nicht passte. Was war das für ein leichtes wunderbares Leben gewesen!
?Magst du ein Glas Sekt?? weckte Manuela sie aus den Gedanken. Alex fuhr fast zusammen und musste sich zwingen, den Blick von Tom zu nehmen.
?Gerne, danke.?
Kurz darauf standen die vier Erwachsenen zusammen und prosteten sich zu.
?Auf Tom ? und darauf, dass wir uns nun endlich wieder einmal sehen?, sagte Michael und guckte alle fröhlich an, während die Gläser klangen. Matthias schaute Alex tief in die Augen und zwinkerte ihr leicht zu. Leider konnte sie nicht ergründen, warum, aber sie nahm es als aufmunterndes Zeichen.
?So, und jetzt kommt bitte zum Essen. So richtig groß konnte ich nicht kochen, denn Tom beschäftigt mich schon ganz schön?? Manuela ließ eine lange Pause zu und lachte dann nervös, ??aber ich konnte zumindest ein bisschen zaubern. Setzt euch doch??
Das kleine ?Bisschen?, das die Gastgeberin ?eben mal so nebenbei? gezaubert hatte, entpuppte sich als Drei-Gänge-Menue aus Kohlrabi-Carpaccio mit frischem Parmesan, Fettucine mit Pilz-Schinken-Ragout und Zitronen-Sahne-Soße sowie einem köstlichen Quark mit frischer Ananas ?an Minz-Rohrzucker?, wie Manuela leichthin erklärte. Alex fragte sich, wie lange ihre ehemalige Freundin in der nun blitzsauberen Küche gestanden haben musste. Zugegeben, es schmeckte phantastisch, aber das Ganze wurde für sie getrübt von der munteren Erzählung, dass man als Hausfrau und Mutter die unbedingte Fähigkeit haben müsse, alles mit leichter Hand ohne Aufwand zu ?zaubern?. Dieses Wort beherrschte offensichtlich den Geist von Manuela und die Erzählungen des Abends.
Wieder einmal fühlte sich Alex kleiner als ihre doch recht stattliche Körpergröße schließen ließ. Manuela schaffte alles ?so nebenbei?, das Kind, das Essen, die Wohnung, alles. Nur sie, sie schaffte das alles nicht so, angefangen beim Kind.
Glücklicherweise erwachte Tom genau in diesem Augenblick aus seinen Träumen, und sein vorsichtiges Wimmern ging in ein erbärmliches Weinen und dann in empörtes Schreien über. Seine Mutter sagte nur: ?Okay, mein Part, ich nehme den Schreihals?, schnappte sich den Sprössling und war verschwunden. Aus dem Nebenzimmer hörte man ab und zu kleine Laute und schließlich war Stille.
Michael bot noch einen ?Verseifer? an und wartete dann mit seinen Gästen auf die Gastgeberin, dies allerdings vergebens. Nach einer Weile stand er auf und verschwand ebenso im Nebenzimmer, aus dem er auf leisen Sohlen wieder hervorkam.
?Tja, wir werden uns wohl mit uns begnügen müssen. Tom ist mitsamt seiner Mama eingeschlafen, und dann kann ich Manu nicht wecken. Sorry, laßt uns noch einen trinken. So sieht unser Familienleben derzeit tagtäglich aus.?
Alex und Matthias prosteten sich zu ? und in diesem Augenblick waren sie sogar froh, dass sie zur Zeit noch nicht alles ?einfach so nebenbei zaubern? mussten, denn offensichtlich war das ja doch nicht so einfach, wie die junge Mutter es hatte glauben machen wollen.
Wie schön, daß Du noch da bist!
;) Lena
Re: Wie schön, daß Du noch da bist!
Re: Wie schön, daß Du noch da bist!
na, das wundert mich nicht, daß es Dir nicht so gut geht. In so einer Situation geht es niemandem gut. Aber allen Handlinien und China-Tanten zum Trotz wissen wir beide doch, daß das vorübergehend ist. Also wenn Du eine breite Schulter brauchst: Hier ist eine.
Lass Dich drücken.
Lena
Re: Wie schön, daß Du noch da bist!
Re: Wie schön, daß Du noch da bist!
Und mach Dir keine Gedanken um meine Schulter, ich habe eine Regenjacke. Und heulen hilft nunmal.
Bussi
Lena
Re: Wie schön, daß Du noch da bist!
Re: Alex 67
Schön, von dir zu lesen und ich hoffe, dass du weiter Alex-Geschichten
schreibst! Wäre allzu schade, aufzuhören, obwohls dir wahrscheinlich
schwierig fällt!?
LG Espoir
Re: Alex 67
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