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Alex 66 (auch passiert)

latz
Ausgerechnet in diese Zeit fiel der Tag, an dem Alex und Matthias alte Freunde besuchen würden - oder mussten, wie Alex sich selbst sagte - , die einen inzwischen drei Monate alten Sohn hatten. Lange hatte sich Alex davor gedrückt, das Baby zu besuchen. Denn kleine Kinder zu besuchen, wo sie selbst sich doch so sehnlichst eines wünschte, deprimierte sie zunehmend. Deshalb hatte sie immer nur ganz vorsichtig bei Matthias nachgefragt, wie es der jungen Familie so ginge, denn eigentlich waren ja nur Matthias und Michael richtig gut befreundet.
Sie und Manuela, Michaels Frau, hatten sich früher zwar gut verstanden, aber in der Schwangerschaft von Manuela hatte es einen heftigen Knacks in der lockeren Frauenfreundschaft gegeben. Manuela hatte ihr irgendwann Ende des 3. Monats unterbreitet, Alex könne ihr nicht helfen, schließlich sei sie ja nicht schwanger, und wüsste auch nichts davon, wie das ist. Leise hatte Alex auch in dieser Situation gesagt:
?Nein, das ist wohl war, das weiß ich nicht?, aber der Satz ?Du hast ja keine Ahnung, wie das ist, schwanger zu sein? war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen, zu oft hatte sie ihn ertragen müssen. Alex konnte Manuelas Auffassung auch damit nicht entschuldigen, dass diese nicht wusste, dass sie bereits seit Monaten am Üben waren. Seitdem herrschte mehr oder weniger Funkstille bei beiden. Und ? was noch viel schwerer war ? der Satz stimmte ja und war durch nichts anderes als durch einen dicken Bauch irgendwann ? oder hoffentlich überhaupt ? zu entkräften.
Heute Abend aber waren sie bei der kleinen Familie zum Essen eingeladen: Es fand sich diesmal einfach kein Grund mehr, nicht hin zu gehen. Also steuerte Alex schicksalsergeben ihren Wagen auf den Parkplatz von Baby Walz, um ein kleines Geschenk zu suchen. Sie nahm die Schultern zurück und reckte die Nase ein klein wenig in die Höhe, als sie die Hölle einer jeden Frau mit unerfülltem Kinderwunsch betrat.
?Komm Mädel, stell dich nicht an?, beschwor sie sich selbst, um nicht immer wieder auf die dicken Bäuche zu starren, die links und rechts von ihr unterwegs waren, nicht vor Muttergefühlen zu zerfließen, wenn ein Neugeborenes mit den großen Kulleraugen die Welt entdeckte und ihr zuckersüße Blicke zuwarf oder Väter zu sehen, die glücklich ihre schwangere Frauen durch die Gänge führten. All das dokumentierte wieder einmal mehr Alex Unvermögen, zumindest hatte sie das Gefühl.
Alex beschleunigte ein wenig den Schritt, vorbei an den Kinderwagen, Stillzubehör hin zu den netten kleinen Kuschelsachen. Ein Riesenregal, vor dem sie mindestens 20 Minuten stand und fast alles einmal herausnahm, die Weichheit spürte und sich vorstellte, welcher Teil des Tieres als erstes als Schnullerersatz angelutscht wurde.
?Mensch, ist der Bär niedlich.? Alex nahm ihn aus dem Regal und wiegte ihn ein wenig im Arm. Sie strich ihm über das Fell mit und gegen den Strich und polierte seine Knopfaugen, die irgendwie ein wenig Staub angesammelt zu haben schienen. ?So einen hole ich dann auch?? dachte sie und bedachte alles in ?dann? Zusammengefasste mit einem wehmütigen Blick.
Zu guter Letzt entschied sie sich für eine zuckersüße Plüsch-Spielfigur, die sich dadurch auszeichnete, dass die Musik nicht so schrebblig war, wie in so vielen anderen Spieluhren und dazu noch schön langsam abspielte. In der rechten Hand hielt Alex ein kleines Nuckeltuch-Tierchen. Sie rang mit sich, ob sie es nun kaufen sollte oder nicht. Nein, nicht für Manuela, sondern für sich selbst. Schließlich soll sich ja ein neues Leben bei ihr willkommen fühlen. Wie sagen die Chinesen, was man als Vorbereitung für ein Kind tun sollte? ?Dem Kind ein Nest bauen?, bestätigte Alex sich selbst. ?Und außerdem kann ich dann immer damit kuscheln, wenn Matthias mal wieder auf Dienstreise ist.?
Beherzt packte sie die Spieluhr, behielt das Schnuffeltuch in der Hand und marschierte zur Kasse, ließ die Spieluhr als Geschenk einpacken und bezahlte beides. Kurz hatte sie ja damit gerungen, auch das Nicki-Tier als Geschenk für ihren kleinen Krümel, wenn er denn irgendwann kommen würde, einzupacken, aber bis dahin sollte das Tier doch ihr selbst als Trost dienen, hatte sie schließlich entschieden.
Sie freute sich, als sie draußen wieder frische Luft schnappen konnte und die Sonne das Gemüt ein klein wenig erhellte. Gegenüber von BabyWalz war ein Supermarkt, und da Alex noch nichts fürs Wochenende eingekauft hatte, packte sie schnell das Geschenk samt Schnuffeltuch ins Auto und ging hinüber.
Eine halbe Stunde später kam sie mit einer prall gefüllten Einkaufstüte und einem Blumenstrauß für Manuela aus dem Supermarkt geschlendert. Um zum Parkplatz von Baby Walz zu gelangen, musste sie eine breite aber kurze Stahl-Treppe hochgehen. Sie war nicht alleine, eine junge Frau mit einem Kind von etwa einem halben Jahr auf dem Arm ging etwa gleichzeitig neben ihr zum Parkplatz. Plötzlich verfehlte diese Frau die nächste Stufe, ging wie in Zeitlupe in die Knie und rutschte in unnatürlich verrenkter Art die Treppe herunter. Dort blieb sie liegen.
Alex war durch Einkaufstüte, Handtasche und Blumenstrauß zu sehr gehandicapt, als dass sie den Fall hätte aufhalten können, nun aber warf sie alles zur Seite, und hockte sich neben die Frau, die hysterisch schrie: ?Nehmen Sie mein Baby!?
Alex schnappte sich den süßen Kerl und beruhigte die Frau ein wenig. Es war ihr schnell klar, dass die Frau eine Verletzung am Fuß davongetragen hatte.
?Hallo, können Sie uns helfen?? Mit dem Kind auf dem Arm half sie der Frau in eine bequeme Position und bat einen jüngeren Mann, den sie bereits im Supermarkt gesehen hatte und der sich neben beide gehockt hatte: ?Könnten Sie bitte in den Supermarkt gehen und etwas Eis aus der Fischtheke besorgen??
Ohne zu Zögern sprang der Angesprochene auf und steuerte in den angrenzenden Fachhandel für Tiernahrung.
?Was will er denn nun da?? fragte sich Alex. Egal, sie beruhigte weiterhin die Frau mit den typischen Floskeln ?Wird schon nicht so schlimm sein, ihrem Sohn geht?s gut?...
Wie selbstverständlich hatte sie die ganze Zeit den kleinen süßen Racker auf dem Arm, der ganz fasziniert an ihrer Kette herumspielte. Sie sah ihn nun genauer an. Wie niedlich er war mit seiner gestreiften Latzhose und dem blonden Haar, den blauen Augen, einfach zum Klauen süß, wie man so schön sagt.
?Wie einfach wäre es jetzt, mit dem Kleinen einfach so wegzurennen. Dann hätte ich endlich das Baby, was ich mir so lange wünsche, und das ganz ohne Schwangerschaftsstreifen.? Alex musste schon fast über sich selbst lächeln bei diesem Gedanken.
?Er scheint noch dazu ein ausgeglichenes Baby zu sein, er hatte nicht einmal geschrieen oder gejammert.....? dachte sie bei sich und drückte ihn noch einmal an sich.
Noch ganz in die kriminellen Gedanken der Kindsentführung versunken, kam der von ihr um Eis weggeschickte aus dem Tiernahrungshandel heraus, in der Hand zwei tiefgekühlte Hundewürste. Alex verdrehte die Augen. ?Egal, besser als nichts,? dachte sie.
Der junge Mann machte ohne zu Zögern sich an die Arbeit und kühlte den verletzten Fuß. ?Wie kann man auch solche Schuhe anziehen?. Alex schüttelte innerlich den Kopf. Rosa Prada-Schühchen, so ähnlich wie Mokassins mit Gummi an der Seite.
?Merke?, dachte Alex bei sich, ?ziehe nur festes Schuhwerk an, wenn du mit deinem Baby unterwegs bist. Mit solchen Schuhen kann man ja nur stürzen?. Sie hatte sich angewöhnt, nicht nur nach dem Eisprung mit potentiellem Leben zu reden, sondern sich auch eine Liste zu machen, was sie im Falle einer Schwangerschaft alles tun und lassen würde.
Plötzlich merkte Alex, dass der kleine Wurm, den sie immer noch eng an sich hielt, seine Hände in die Höhe streckte und gluckste. Neben Alex stand plötzlich ein Mann von Mitte Dreißig und schaute besorgt die Kranke und das Kind an.
?Hallo Schatz?, jammerte die verletzte Frau irgendwie übertrieben dramatisch, wie Alex fand, ?Ich bin hingefallen, ich glaube, ich habe einen Bänderriss. Gott sei Dank war die Frau hier da!? Sie zeigte auf Alex und lächelte etwas schmerzverzogen.
?Sie können mir jetzt den Kleinen geben?, meinte der Mann, den die Verletzte zuvor per Handy angerufen hatte, zu Alex. Mit dem Gefühl, ihr eigenes Kind einem Fremden geben zu müssen, reichte sie ihm das kleine Bündel, das begeistert immer noch die Arme nach Papa ausstreckte. Alex schaute wehmütig zu und fragte sich wie so oft an diesem Tag, ob sie jemals das Glück haben würde, Matthias ein eigenes Kind so in den Arm reichen zu dürfen.
?Ich kümmere mich jetzt um meine Frau, danke, dass Sie ihr geholfen haben?.
?Das war doch selbstverständlich. Gute Besserung!?.
Etwas wirr im Kopf packte Alex die Einkaufstüte, ihre Handtasche und die Blumen und ging zum Auto. Noch einmal ließ sie den Blick über die Familie schweifen, knuddelte in Gedanken den Kleinen und dachte bei sich ?Wer weiß wie lange sie gebraucht hat, um schwanger zu werden. Es gibt keinen Grund, ihr jetzt das Glück zu neiden!? Mit einem viel besseren Gefühl und mit der inneren Sicherheit, den anstehenden Babybesuch zu überstehen, machte sich Alex auf den Weg nach Hause.
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