Schmerz
komm zu mir
ergreife mich mit all deiner Kraft
bohr deinen Stachel tief in meine
gefühllose Seele, so dass die
Seelentränen endlich fliessen
und die blutenden Wunden zu heilen beginnen
Das habe ich geschrieben an dem Tag nach dem uns unser Kind verlassen hatte. Die Sonne schien und in mir war es Nacht, stockfinstere Nacht und nichts, einfach nichts.
Meine Seelentränen gebracht hat mir eine Frau, mit der ich eigentlich nur noch oberflächlichen Kontakt habe, aber ihre Worte trafen mich durch Mark und Bein und brachten Erlösung in Form von den Tränen, die ich mir so sehr herbeigesehnt hatte.
Hier ein Ausschnitt aus diesem Brief, für euch alle, die ihr diese Schmerzen kennt:
"Ich bin versucht, dir zu sagen, dass man in so einer Situation nichts sagen kann, und das ist einerseits nicht ganz falsch und klingt andererseits floskelhaft und nach Ausrede. Vor allem kann man dir den grossen Schmerz nicht abnehmen,man kann ihn nicht kleiner machen und wohl nicht einmal ein kleines bisschen davon mittragen. Und Trost hat man, wenn man ehrlich ist, auch nicht in der Hand. Und doch möchte ich so gerne etwas aus der Hand geben. Als dein Mann mir erzählt was passiert ist, war das einer dieser Momente in denen man die Welt anhalten möchte, in denen man mit einem Nein alles anhalten, umkehren und anders weitergehen lassen möchte, in denen man sozusagen mit der Faust auf den Berg hämmert und bettelt, dass er sich öffnet. Man steht vor der Weltordnung, und sie ist hart, abweisend und unbarmherzig.
Aber das ist vielleicht schon das erste Wichtige. Ich weiss es nicht, nehme aber fast an, dass du dir vielleicht Fragen stellst im Sinne von: Hätte ich dies oder das, wäre ich nicht oder da, vielleicht...Es gibt nichts was du besser oder anders hättest machen können, da bin ich sicher.Die Natur funktioniert nicht wie eine Maschine und zugleich funktioniert sie unsentimental wie eine Maschine, und wir Menschen müssen das aushalten. Aber das zweite Wichtige:
Es gibt nicht nur die Natur. So sicher wie ich bin, dass du nichts, aber auch nicht das kleinste bisschen falsch gemacht hast,so sicher bin ich, auch wenn das jetzt kein Trost für dich is,dass euer Kind eine Zukunft hat wie wir alle, nur dass sie eben so gut wie von vorneherein und nicht erst später bei Gott beginnt. Nichts, was auf Erden beginnt,ist fertig oder wird auf Erden fertig. Gott vollendet jedes Lebewese,egal zu welchem Zeitpunkt es geboren wird. Euer Kind wird im Himmel gross (wenn du dieses Bild erlaubst). Es wird euch nicht aus den Augen lassen, sondern auch liebevoll begleitet, bis ihr einmal bei ihm seid.Damit will ich dir nicht die Trauer wegreden. Aber ich verspreche dir, dass dieses furchtbare Ziehen in jeder Faser deiner Seele und deines Körpers sich langsam verwnadeln wird, ohne dass etwas vergessen oder unwichtig geworden wäre. Das weiss ich aus Erfahrung...
Soweit der Brief...
ich wünsche allen trauernden Müttern, Vätern und Geschwistern, dass ihnen ihre Seelentränen nie abhanden kommen.
Lieber Gruss
Lucy