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Am Witzigsten fand ich den Satz:
"Aber vielleicht kann ich meine Ernährung verbessern, indem ich darüber nachdenke.
Antwort: Nein, mit dem Nachdenken beginnen erst die Probleme."
Ist doch wie der Stress beim Stillen und der Beikost. *ggg*
LG Uta
Hier der (lange) Text:
«Diäten machen dick. Und krank»
Von Mathias Plüss und Beatrice Schlag
Würde der Mensch auf seinen Körper hören statt auf Ernährungsexperten, ginge es beiden besser. Nichts essen, was ihm nicht bekommt, und sei es noch so gesund! ? rät der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Darf?s etwas mehr sein? Bitte.
«Wer anfängt, über seinen Gang nachzudenken, wird garantiert stolpern»: Kopf- und Bauchmensch Pollmer. (Bild: Boris Schmalenberger)
Herr Pollmer, Sie haben vorhin beim Essen den Salat verschmäht. Warum?
Ich bin kein Freund von, nun ja, Laubwerk. Ein Kopfsalat entspricht ernährungsphysiologisch etwa einem Papiertaschentuch und einem Glas Wasser. Ich esse lieber etwas Nahrhaftes.
Warum essen Frauen mehr Salat als Männer?
Eine spekulative Antwort: Man hat im Salat opiumähnliche Substanzen entdeckt ? also Stoffe, die antörnen. Salatessen wäre demnach für Frauen eine unverdächtige Methode, die Stimmung aufzuhellen. Männer haben dafür ja das Bier. Hopfen ist botanisch der nächste Verwandte von Haschisch.
Sie sind eine imposante Erscheinung. Wie viele Diäten haben Sie schon hinter sich?
Gar keine. In der Tat hat sich mein Gewicht in den letzten zehn Jahren deutlich verändert ? früher war ich eher der sportliche Typ. Die Menschen ändern sich halt. Aber ich bin sowieso je länger, je mehr der Überzeugung, dass Gewichtsfragen herzlich wenig mit dem Essen zu tun haben.
Wie bitte?
Es gibt einen einfachen Beleg dafür: Wenn Essen dafür verantwortlich wäre, dass man dicker wird, dann müssten die ernährungstechnischen Ratschläge der letzten fünfzig Jahre, die von Millionen Menschen ausprobiert worden sind, doch wirksam gewesen sein. Aber wir sehen genau das Gegenteil. Es hat nichts funktioniert.
Vielleicht, weil sich die Menschen zu wenig strikt an die Ratschläge gehalten haben?
Gerade umgekehrt: Die Tipps der Ernährungsberater haben zu einem grossen Teil dazu beigetragen, dass beispielsweise in den USA die Zahl der Fettleibigen stark zugenommen hat.
Eine ziemlich kühne Behauptung.
Es mag zugegebenermassen paradox klingen. Aber in den USA macht sich inzwischen selbst bei den offiziellen Stellen die Einsicht breit, dass die Zunahme von Fettleibigkeit eine Folge ihrer jahrzehntelangen massiven Low-Fat-Kampagne war.
Weniger Fett macht fetter?
Darum geht es nicht. Es geht darum, dass jeglicher Versuch, den Bauch mit dem Kopf zu steuern, von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Meist führt das sogar noch zu grösserer Gewichtszunahme als gedankenloses Futtern. Man kann es nicht deutlich genug sagen: Diäten machen dick. Wir erfahren es immer wieder, und immer wieder glauben es die Leute nicht und meinen, wenn sie eine Diät machen, werde es funktionieren. Viele Studien belegen: Wenn eine Gruppe von Leuten ihre Nahrungszufuhr begrenzt und ganz bewusst gegen den eigenen Appetit kämpft, dann sind diese Leute im Durchschnitt ein Jahr später dicker, als wenn sie die Diät nicht gemacht hätten.
Wieso machen Diäten dick?
Eine Diät bedeutet für den Körper eine Hungersnot. Er fährt den Energieverbrauch runter und nutzt jedes bisschen Nahrung bis aufs Letzte aus. Deshalb nimmt man zwar zu Beginn einer Diät ab, aber nach einer Woche hat der Körper den Trick raus und steuert dagegen. Sobald der enttäuschte Kunde wieder normal isst, kehrt er dank der optimierten Futterverwertung rasch zum Ausgangsgewicht zurück. Ab der zweiten oder dritten Diät kommt es dann zum berühmten Jo-Jo-Effekt: Für den Körper handelt es sich um ein Zeitalter mit massiven Hungersnöten ? darum legt er sich nach jeder Diät ein zusätzliches Reservepolster zu, der Gewichtsverlust wird überkompensiert. Gegen diese Überlebensstrategie des Körpers sind wir machtlos.
Aber damit können Sie doch nicht erklären, wieso in der Schweiz mittlerweile jedes fünfte Kind übergewichtig ist.
Das sind doch bloss Normen! Diese Zahlen können Sie beliebig manipulieren, indem Sie die Definition ändern. Früher hat man die Körpergrösse in Zentimetern minus hundert gerechnet, um das Normalgewicht zu bestimmen. Später musste man davon noch zehn Prozent abziehen, dann zwanzig. Inzwischen redet alles vom Body-Mass-Index. Aber ob ein Kind wirklich übergewichtig ist, kann ich doch nicht durch Multiplizieren von ein paar Zahlen herausfinden.
Ist es nicht offensichtlich, dass unsere Kinder immer dicker werden?
Kürzlich habe ich in einem vielleicht zwanzig Jahre alten Schweizer Kinderbuch geblättert. Da war ein Foto eines Mädchens drin, und ich dachte: So ein dickes Kind habe ich schon lange nicht mehr gesehen in einem Buch. Damals galt das noch als normal und wünschenswert. Vor noch nicht allzu langer Zeit hat man die dünnen Kinder ? die heute als ideal gelten ? ja noch zu Mastkuren aufs Land geschickt. Aber heute dürfte man dieses Kind aus dem Buch nirgends mehr abbilden, weil es bereits als zu dick gilt. Auch die Leute, die wir im Fernsehen zu sehen bekommen, werden immer dünner. Diesen Sommer habe ich in einer Zeitung ein Bild aus einem Schwimmbad gesehen, wo man allen festeren Kindern einen Balken über die Augen gemacht hatte. Wie im Verbrecheralbum.
Werden die Kinder nun dicker oder nicht?
In den letzten Jahren hat sich das Durchschnittsgewicht zumindest der deutschen Kinder nicht geändert. Auch die Anteile der dünnen, durchschnittlichen und dicken Kindern sind im Grossen und Ganzen seit vierzig Jahren gleich. Allerdings werden seit 1997 die Dicken immer dicker ? darum «sieht» man immer mehr Dicke. Interessanterweise fällt das genau zusammen mit dem Beginn der Abspeck-Kampagnen für Kinder. Da haben Sie?s wieder: Diäten machen dick.
Wie würden denn Sie gegen die Fettleibigkeit vorgehen?
Wissen Sie, natürlich gibt es dicke Kinder. Aber die erste Reaktion kann doch nicht sein: Die müssen wir jetzt schlank bekommen. Es gibt auch grosse Kinder ? da ist doch die Reaktion auch nicht: Die müssen wir jetzt kürzer machen. Auch wenn es eine Reihe von Krankheiten gibt, die bei langen Menschen häufiger auftreten als bei kurzen. Sondern man muss zuerst fragen, warum das so ist.
Ja, warum?
Menschen gibt es in allen Grössen, Farben und Formen. Manche sind von Natur aus dürr ? andere sind halt ein bisschen pummelig, aber biologisch komplett gesund. Wenn Sie so ein Kind auf sogenanntes Normalgewicht trimmen, dann ist das übelste Form von Misshandlung.
Aber es gibt auch solche, die entgegen ihrer Veranlagung dick sind.
Ja. Bei diesen finden Sie in vielen Fällen familiäre Probleme. Da kann es schon sein, dass das Kind aus Frust viel isst, aber das primäre Problem ist der Frust und nicht das Essen. Ich kann doch einem solchen Kind nicht einen Diätplan in die Hand drücken! Es braucht eine gehörige Portion Naivität, zu glauben, man könne einem Heranwachsenden das Essen streichen und der werde dann schlank. Viel wahrscheinlicher ist, dass er dick bleibt, aber nicht mehr gescheit weiterwächst. Das ist übrigens nur eine von vielen möglichen Nebenwirkungen von Diäten.
Nennen Sie weitere!
Bei Erwachsenen zum Beispiel Gallenstein, Diabetes, Osteoporose und Herzinfarkt. Eigentlich müsste man Frauenzeitschriften im Frühling stets mit dem Hinweis «Abnehmen gefährdet Ihre Gesundheit» versehen.
Moment ? wir hatten gemeint, gerade Fettleibige hätten ein erhöhtes Herzrisiko?
Das stimmt. Aber es steigt noch mehr, wenn sie abnehmen. Ein abgehungerter Dicker ist eben etwas anderes als ein von Natur aus Schlanker ? ein abgemagerter Mops rennt ja auch nicht plötzlich wie ein Windhund. Wer Diäten macht, hat ein erhöhtes Herzinfarktrisiko und eine geringere Lebenserwartung. Und zwar unabhängig davon, ob er das tiefere Gewicht hält oder nicht. Die schlimmste Nebenwirkung von Diätkampagnen ist allerdings die Essstörung. Bei Jugendlichen erhöht eine strenge Diät das Risiko, eine Essstörung zu entwickeln, um das Achtzehnfache.
Sie sprechen von Magersucht?
Ich spreche von Magersucht und Ess-Brech-Sucht. Damit Sie eine Idee von der Grössenordnung haben: In deutschen Grossstädten zeigen inzwischen 15 Prozent der pubertierenden Mädchen Symptome einer Essstörung ? also etwa exzessive Hungerkuren, Erbrechen oder Einnahme von Entwässerungsmitteln. Das ist ungeheuerlich, weil viele von ihnen schwere körperliche und seelische Schäden davontragen und einige Fälle auch tödlich enden werden. Und die Zahlen steigen. Mit der «five a day»-Kampagne werden wir diese Rate locker auf 25 oder 30 Prozent hochtreiben. Die Mädchen können Sie ja relativ einfach verrückt machen: indem Sie ihnen sagen, wenn sie weiter so essen wie bisher, dann sähen sie nachher aus wie Mama.
Was ist das für eine Kampagne?
Fünfmal am Tag Obst und Gemüse. Das wird jetzt in Deutschland schon in den Kindergärten propagiert. Bis dato waren die jüngsten Essgestörten in den Kliniken zehn Jahre alt. Ein halbes Jahr nach Beginn der Kampagne haben wir nun bereits Vierjährige mit Essstörungen.
Den Zusammenhang zwischen Ernährungskampagne und Magersucht müssen Sie uns noch genauer erklären.
Nun, die erste Folge der Kampagnen ist das Rauchen, das bei jungen Mädchen stark zugenommen hat. Mit Zigaretten ist es relativ einfach, das Gewicht zu kontrollieren. Essstörungen sind schon viel gravierender: Wenn Sie den Körper genug oft und lange Stress aussetzen, zum Beispiel durch Hungern, gerät der Hormonhaushalt durcheinander ? es werden körpereigene Drogen ausgeschüttet. Der Betroffene gerät dann in eine Euphorie hinein, und die will er natürlich immer wieder haben. Darum muss er immer weiter hungern oder kotzen. Und der Königsweg zur Erzeugung von Drogen im Körper ist genau die Kombination von Diät mit Ausdauersport, wie sie stets propagiert wird. Mit den heutigen Massnahmen treiben wir die Kinder also geradewegs in die Essstörungen hinein.
Wenn sie so schädlich sind ? warum werden überhaupt Ernährungskampagnen gemacht?
Wissen Sie, die Ernährung ist heute zur Religion geworden. Früher lauerte die Sünde hinter der Schlafzimmertür ? heute lauert sie hinter der Kühlschranktür. Der Glaube an das Heil durch angeblich gesunde Ernährung ist zum identitätsstiftenden Bekenntnis geworden. Wenn Sie daran zweifeln, rufen Sie genauso ungläubiges Staunen hervor wie noch vor zwei Generationen durch Zweifel an der Jungfrauengeburt. Aber letztlich stecken dahinter natürlich die Interessen einer Gruppe von Menschen, die durch ihr Geheimwissen Macht ausübt. Früher war das die Kirche, nun sind es die Ernährungspäpste.
Ein harter Vorwurf. Immerhin basieren die Ernährungsempfehlungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Falsch. Wenn ein Experte behaupten würde, er habe herausgefunden, dass die Schuhgrösse 27 die gesündeste sei, und darum müssten jetzt alle Schuhgrösse 27 tragen, würde man ihn für verrückt halten. Aber wenn ein Experte irgendeine Ernährungsweise für gesund erklärt, dann glauben alle, sie müssten das jetzt nachmachen. Dabei sind die Unterschiede in der Verdauungsphysiologie noch viel grösser als bei der Fusslänge. Jeder verträgt gewisse Nahrungsmittel besser oder schlechter, das ist sehr individuell. Wenn also eine allgemein gültige Ernährung propagiert wird, handelt es sich a priori um Scharlatanerie ? egal, wie viele Professoren Mittäter sind.
Uns fällt auch auf, dass die Ratschläge alle paar Jahre ändern.
Genau. Offenbar wandelt sich der Verdauungstrakt des Menschen ständig : Vor zwanzig Jahren sollte er viel Fleisch und wenig Gemüse essen ? er hatte also den Verdauungstrakt eines Marders. Dann kam die Phase, wo er den Magen eines Huhnes hatte, um all die empfohlenen Körnchen verdauen zu können. Heute liegt im Verzehr von viel rohem Obst und Gemüse das Heil, und der Mensch hat demnach den Verdauungstrakt eines Schafes bekommen. Der renommierte deutsche Professor Hans Konrad Biesalski sagte über die Ernährungswissenschaften: «Die meisten Aussagen können lediglich als vorwissenschaftliche Erkenntnis angesehen wer-den.» -Willkommen im Mittelalter!
Gibt es denn überhaupt keinen Ernährungsratschlag, an den wir uns halten können?
Doch: Essen Sie nichts, was Ihnen nicht bekommt, und sei es noch so gesund!
Wie findet der Mensch heraus, was für ihn gut ist?
Indem er nicht darüber nachdenkt. Der Körper regelt das für ihn.
Aber vielleicht kann ich meine Ernährung verbessern, indem ich darüber nachdenke.
Nein, mit dem Nachdenken beginnen erst die Probleme. Beginnen Sie über Ihren Gang nachzudenken, werden Sie garantiert stolpern. Der Versuch, seinem Körper Dinge vorzuschreiben, die dieser autonom erledigt, geht meistens schief. Ein Beispiel: Viele Menschen glauben, sie brauchten bloss den Zucker durch Süssstoff zu ersetzen und schon hätten sie die Kalorienzufuhr reduziert. Der Verdauungstrakt, dieses doofe Abflussrohr, der merkt das ja eh nicht. Aber der Verdauungstrakt ist kein Abflussrohr ? der lässt sich nicht so leicht übertölpeln.
Haben Süssstoffe etwa nicht weniger Kalorien als Zucker?
Doch. Aber die Dinge sind eben nicht so einfach. Sobald die Zunge etwas Süsses registriert, hat der Körper die Erwartung, dass er jetzt Zucker bekommt. Darum schüttet er innerhalb von neunzig Sekunden etwas Insulin aus. Wenn dann aber kein Zucker kommt, weil?s bloss Süssstoff war, macht sich das Insulin über den Restzucker her, den es im Blut noch vorfindet. Dann sinkt der Blutzuckerspiegel, und Sie bekommen einen Hunger, der viel stärker ist, als wenn Sie statt des Light-Produkts gar nichts gegessen hätten. Im Endeffekt nehmen Sie mehr Kalorien zu sich. Das ist auch der Grund, wieso genau die gleichen Süssstoffe, die beim Menschen als Schlankmacher angepriesen werden, seit über zehn Jahren als Masthilfsmittel für Schweine zugelassen sind. Können Sie in der Futtermittelverordnung der EU nachlesen.
Kann man sich auf seinen Appetit verlassen?
Natürlich. Jedes Lebewesen verlässt sich darauf, und der Mensch hat sich jahrtausendelang darauf verlassen. Erst seit wir im Überfluss leben, glauben wir, die Ernährung steuern zu müssen.
Mittlerweile sollen wir drei Liter Wasser am Tag trinken. Wir haben das Gefühl, dabei zu ersaufen.
Das ist ein schönes Beispiel, wie man mit gut gemeinten Ratschlägen einen Menschen umbringen kann. Diese Empfehlung hat nämlich schon etliche Todesfälle verursacht ? vor allem bei Kleinkindern.
Wie kann man an Wasser sterben?
Der Körper braucht nicht nur Flüssigkeit, er braucht auch Natrium, also Salz, damit er das Wasser wieder ausscheiden kann. Wenn Sie nun sehr viel trinken und kaum Salz essen, können Sie kaum noch pinkeln. Das bisschen Natrium, was der Körper noch hat, verlagert er nun in die Zellen. Fatalerweise interpretieren das die Volumenrezeptoren in den Zellen als Wassermangel, und Sie bekommen Durst und trinken noch mehr. In Wahrheit haben Sie aber einen Wasserüberschuss ? eine Wasservergiftung. In der Folge kann es zu tödlichen Gehirn- und Lungenödemen kommen.
Warum trifft es vor allem Kleinkinder?
Weil die den ganzen Tag an ihren Schoppen nuckeln. So lautet ja die Empfehlung: Möglichst viel trinken, möglichst natriumarme Fruchtsäfte. Manche Kinder ernähren sich fast nur von Saft. Dadurch haben sie erstens zu viel Wasser und zweitens zu wenig Salz, weil man Salz fast nur über feste Nahrung zu sich nehmen kann. Manche glauben gar, das sei gesund, weil Salz soll ja gefährlich sein.
Wir ahnen schon, dass dem nicht so ist.
Die ganze Geschichte hat sich vor wenigen Jahren als Ente entpuppt. Selbst die oberste Gesundheitsbehörde der USA gestand ein, dass sie die Warnung vor Salz ohne wissenschaftliche Basis verbreitet hatte.
Etwas verwirrt sind wir auch beim Alkohol. Ist er nun gut oder nicht?
Es hat sich gezeigt, dass der regelmässige moderate Konsum jeglicher Form von Alkohol im Durchschnitt mit einer höheren Lebenserwartung verbunden ist.
Dann würden Sie also Alkoholkonsum empfehlen?
Ich mache generell keine Empfehlungen. Wenn Weintrinker eine grössere Lebenserwartung haben, heisst das noch lange nicht, dass auch Abstinenzler länger lebten, wenn man sie zum Alkohol zwänge.
Wie kommt die positive Wirkung von Alkohol zustande?
Bekanntlich arbeitet ja die Naturheilmedizin mit pflanzlichen Heilmitteln. Diese werden normalerweise als alkoholischer Extrakt gegeben, weil die Wirkstoffe in Wasser nicht löslich sind. Meine Vermutung ist nun, dass Alkohol beim Essen oder danach wichtige Stoffe verfügbar macht ? ja dass gewisse Spurenstoffe in der Nahrung dem Körper überhaupt erst dank des Alkohols zugänglich sind. Darum auch die Betonung des regelmässigen und moderaten Konsums. Sich ab und zu betrinken ist hingegen kontraproduktiv.
Warum isst der Mensch die Dinge, die er isst?
Intuitiv würde man wohl antworten: weil sie ihm schmecken. Nun gibt es aber zwei Beobachtungen, die dem widersprechen. Zum einen verschwinden neun von zehn neuen Produkten innerhalb eines Jahres wieder vom Markt, obwohl man sie nach allen Regeln der Kunst geschmacklich optimiert und getestet hat. Zum andern gibt es viele Nahrungsmittel, Bier zum Beispiel oder Kaffee, die beim ersten Mal scheusslich schmecken, beim zehnten Mal bestenfalls neutral, ab dem hundertsten Mal aber unverzichtbar sind, obwohl der Geschmack, objektiv gesehen, immer noch derselbe ist.
Wollen Sie damit behaupten, dass zwischen dem, was uns schmeckt, und dem, was wir essen, gar kein Zusammenhang besteht?
Genau. Wenn man Ratten die Geschmacks- und Geruchsnerven chirurgisch durchtrennt, fressen sie immer noch genau das, was sie physiologisch brauchen. Geruch und Geschmack sind bloss Indikatoren, die dem Bauch anzeigen, welche Stoffe er als Nächstes zu verdauen hat. Aber die Steuerung darüber, was und wie viel wir zu uns nehmen, geschieht in einem Organ tief in unserem Körper drinnen, im sogenannten Darmhirn.
Darmhirn? Sollte unser Bauch tatsächlich denken können?
Man darf sich das nicht wie ein Gehirn vorstellen, eher wie ein Nervenzellengeflecht wie das Rückenmark. Nicht wahr, beim Essen tanken wir keineswegs bloss Energie ? sondern wir beziehen aus der Nahrung die Stoffe für die Regeneration des Körpers. Denn der Körper ist in ständigem Umbau begriffen, alle paar Jahre erneuern sich sämtliche Zellen. Dieser komplexe Prozess muss genau gesteuert werden, und das geschieht im Darmhirn. Übrigens ist das Darmhirn entwicklungsgeschichtlich älter als das Kopfhirn ? deshalb setzt es sich bei Appetitfragen auch meistens durch. Evolutionsbiologisch gesehen, ist das Gehirn eine Ausstülpung des Darmes.
Warum hat unser Darmhirn so selten Lust auf Vollkornbrot und Frischkornbrei?
Weil diese Dinge bei übermässigem Verzehr zu nachhaltigen Schäden führen können.
Wie das?
Das hängt damit zusammen, dass kein Lebewesen gern gefressen wird. Darum wehren sich Pflanzen mit Dornen oder Spelzen oder Giften vor Frassfeinden. Damit Getreide für uns bekömmlich ist, müssen die darin enthaltenen Abwehrstoffe entfernt werden ? das ist der Sinn des jahrtausendealten Müller- und Bäckerhandwerks. Die Verarbeitungsmethoden sind bei allen Getreidesorten seit Menschengedenken dieselben, und zwar in allen Kulturen: Hafer wird entspelzt und dann als Brei oder Flocke genutzt. Aus Weizen macht man Weissmehl und fermentiert und verbäckt es. Roggen wird gemahlen, versäuert und dann gebacken. Gerste wird seit 5000 Jahren zu Bier verbraut. Diese Techniken haben einen Sinn. Wenn der Frischkornbrei die ideale Nahrungsform wäre, hätte die Menschheit seit Jahrtausenden ungeheure Ressourcen verschwendet.
Warum sollten diese Techniken nicht auch mit Vollkornmehl funktionieren?
Beim Roggen geht es ja, da bekommen Sie mit dem herkömmlichen Sauerteig die meisten unerwünschten Abwehrstoffe weg. Allerdings haben wir heute einen Trend zum weniger bekömmlichen Kunstsauer, weil vielen Bäckern ihr traditionelles Handwerk zu umständlich ist.
Und beim Weizen?
Beim Weizen funktioniert die Versäuerungstechnik nicht so gut ? darum muss man die Kleie entfernen, denn da sitzen die unerwünschten Stoffe drin. Zum Beispiel das Weizenkeimlektin, das ungehindert durch die Darmwand hindurchgeht und etwa die Bauchspeicheldrüse angreift. Weizenkeimlektin gehört zu den schädlichsten Stoffen, die in der Nahrung drin sind. Die Menschheit hat es immer entfernt, indem sie den Weizen zu Weissmehl verarbeitete. Bis die Ernährungsfachleute gekommen sind und behauptet haben, Vollkorn sei gesünder.
Immerhin ist Vollkorn nahrhafter als Weissbrot.
Auch das ist eine Legende. Weissbrot vermögen wir vollständig in Energie umzusetzen. Im Vollkornbrot aber sind Stoffe drin, die dafür sorgen, dass Sie nur etwa die Hälfte der Stärke verdauen können. Die andere Hälfte gelangt als unverdauter Brei in den Dickdarm, wo sich Mikroben mit Begeisterung darüber hermachen. Sie bauen nun die Stärke zu Traubenzucker ab und verarbeiten diesen weiter zu allerlei reizvollen Abgasen und Fuselalkoholen. Auf diese Weise hat der Vollwertköstler eine hübsche Zuckerfabrik in seinem Darm, die bei dauerhaftem Vollkornabusus zu gesundheitlichen Schäden führt wie etwa Darmverpilzungen.
Warum verarbeitet der Mensch als einziges Lebewesen seine Nahrung vor dem Verzehr?
Weil er dadurch Zeit und Energie gewinnt ? ein entscheidender evolutionärer Vorteil. Menschenaffen zum Beispiel verbringen den grössten Teil des Tages damit, Nahrung zu suchen, zu essen und zu verdauen. Für den Affen ist das Verdauen eine derart anstrengende und energieintensive Arbeit, dass er daneben keiner anderen Tätigkeit nachgehen kann. Wir hingegen können arbeiten und verdauen nebenher. Dank der Lebensmittelverarbeitung ist es uns gelungen, Verdaulichkeit und Nährwert unserer Nahrung zu erhöhen ? deshalb ist unser Verdauungstrakt einfacher gebaut als bei Affen. Und mit der schnell verfügbaren Energie treiben wir unsere riesigen Gehirne an. Wenn die Ernährungsfachleute uns die Rückkehr zu Körnern und Rohkost empfehlen, dann sollen sie bitte mit gutem Beispiel vorangehen und ihr Grosshirn gegen zwei Meter Dickdarm eintauschen.
Die Nahrungsmittelverarbeitung als Motor der Evolution?
Genau. Das sehen Sie auch in der Kultur: Die beeindruckendsten kulturellen Leistungen sind in Gegenden erbracht worden, wo leicht verdauliche Nahrung zur Verfügung stand und die Lebensmittelverarbeitung weit fortgeschritten war. Die Küche ist für die Evolution des Menschen genauso wichtig wie etwa die Sprache. Aber weil die Küchenarbeit von Frauen gemacht wurde, galt sie als minderwertig. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass die Frauen zurück an den Herd gehören. Aber wir müssen dafür sorgen, dass unser küchentechnisches Know-how nicht verloren geht, dass diese uralten Kulturtechniken weitergegeben werden.
Wo soll das geschehen, wenn nicht am heimischen Herd?
In Fabriken.
Sie scherzen. Es gibt doch nichts Grauenvolleres als Fabrik-Food.
Das Problem ist, dass viele Hersteller ständig an den Rezepturen herumdrehen, um sie billiger hinzubekommen. Am Schluss sieht das Produkt gleich aus und schmeckt gleich wie ein herkömmliches, aber die Bekömmlichkeit sinkt.
Eben.
Das muss aber nicht so sein. Genau mit dieser Frage sollte sich die Lebensmittelwissenschaft auseinander setzen: Wie können wir Nahrungsmittel grosstechnisch so herstellen, dass sie einer haushaltsmässig zubereiteten Mahlzeit gleichwertig sind ? ohne faule Tricks? Das ist für unsere Gesundheit ein viel wichtigeres Anliegen als die ewige Frage, was wir essen sollen.
Gibt es ein Produkt, vor dem Sie explizit warnen?
Ja. Ich warne vor allen Lebensmitteln, aus denen man etwas fürchterlich Gefährliches herausgefischt und in die man etwas fürchterlich Gesundes hineingewurstelt hat.
Bisherige Antworten

Re: gefunden:

Hallo Uta,
danke fuer den Text, ich fand ihn sehr schoen zu lesen und auch sehr interessant. Mich aergert immer, dass ich nicht das noetige Hintergrundwissen habe, um solche Aussagen einzuschaetzen. Denn es gibt ja wiederum "Rohkostpaepste", die einem genauso einleuchtend erklaeren koennen, warum grade der Frischkornbrei das Nonplusultra ist. Seufz!
LG
Berit, die auf eine Mischung aus Nachdenken und Darmhirn setzt :-)

Re: gefunden:

Hallo Berit,
gerade den Udo Pollmer finde ich immer sehr interessant und einleuchtend.
Hintergrundwissen braucht man eigentlich nicht sooo viel. Man braucht nur zu überlegen, was die Evolution seit Jahrmillionen für gut befunden hat, um Pflanze, Tier und Mensch an bestimmte Umweltbedingungen anzupassen.
Jede neumodische extreme Empfehlung ist NIE evolutionär richtig.
LG Uta

Re: gefunden:

Hallo Uta,
ich finde es nicht ganz so einfach. Denn die oft stark verarbeiteten, kuenstlich mit Geruch, Geschmack und Form versehenen Ernaehrungsprodukte von heute gibt es ja nicht schon seit Millionen von Jahren. Ich habe meine Zweifel, dass der Instinkt bzw. "Darmhirn" in solchen Faellen noch ausreicht, um zu sagen, ob etwas gut fuer mich ist oder nicht. Frueher war meines Wissens z.B. Suesse ein ziemlich sicheres Zeichen fuer Essbarkeit, weil dieses Tiere dazu bringen sollte, die suessen Fruechte zu essen und den Samen ggf. an anderen Orten auszuscheiden bzw. freizulegen. Heute kann dir die Industrie _alles_ pappsuess machen, bis zum Gift. Ich war mal "colasuechtig" und weiss wovon ich spreche ;-) Nachdem ich keine Cola mehr trinke, gehts mir wesentlich besser und ich habe gesundere Haut. Trotzdem zieht mich das Zeug noch oft an, wenn es ein anderer trinkt. Ist jetzt nur ein Beispiel, klar. Aber fuer mich ein Grund, Pollmers Ansichten ein wenig skeptisch gegenueberzustehen. Die vielen Uebergewichtigen in den USA sind fuer mich eher ein Ergebnis der dortigen Esskultur mit viel Fastfood und viel kalorienreicher Nahrung, als von Diaeten. Jessicas Vater ist z.B. eher ein Spargeltarzan, aber nach drei Wochen in den USA hab ich ihn zum ersten Mal mit Paustbaeckchen gesehen :-)
LG
Berit

Re: Aroma:

Hallo Berit,
zum Glutamat gibts einen Artikel:
aus: EU.L.E.n-Spiegel 4-5/2004
Glutamat:
Nicht nur Geschmackssache
Von Tamás Nagy
Es gibt nur wenige Zusatzstoffe, die sich so bedeckt halten wie der Geschmacksverstärker Glutamat. Erscheint er mit seinem Kürzel ?E 621? auf dem Etikett, dann hat das zwar einen Beigeschmack von Heimlichtuerei, ist aber zumindest eindeutig. Bei der Kennzeichnung als ?Aroma?, ?Würze?, ?Milchzucker? oder ?fermentierter Weizen? gibt er sich kaum noch zu erkennen. Selbst die Hersteller von Bio-Lebensmitteln wissen das saubere Image ihrer Produkte zu wahren, indem sie Glutamat in Form von ?Hefeextrakt? zusetzen. In der Gastronomie, wo der Geschmacksverstärker in fast beliebiger Dosis zum Einsatz kommt, wird er dank der Güte des Gesetzgebers ganz verschwiegen. Selbst Köche scheuen sich, den Namen ihres Retters aus der Geschmacksnot zu erwähnen. Verschämt sprechen sie von ?Maria Hilf!?.
Weil?s der Verbraucher klaglos schluckt, eilt Glutamat seit Jahren von Rekord zu Rekord. Die industrielle Produktion des weißen Wunderpulvers, die 1909 in Japan begann, belief sich bereits 1969 weltweit auf 200 000 Tonnen. Heute sind es sogar 1,5 Millionen ? nicht eingerechnet die enormen Mengen, die bei der Herstellung von Hydrolysaten aus Eiweiß und Hefe anfallen. Angesichts dieser Entwicklung drängt sich die Frage nach der Sicherheit des Hans-Dampf-in-allen-Töpfen auf. Von offizieller Seite gab es von Anfang an nur Entwarnungen: Im Jahre 1959 wurde der Zusatzstoff von der US-amerikanischen Lebensmittelbehörde FDA als GRAS (generally recognized as safe) eingestuft, also als unbedenklich. An dieser Einschätzung hat sich seither nichts geändert. So wie die Weltgesundheitsorganisation verzichtete auch die Europäische Union darauf, eine täglich duldbare Menge (ADI) für Glutamat festzulegen.
Persilschein durch Konsens
Hierzulande versuchten die ?Hohenheimer Konsensusgespräche?, die Vorbehalte gegenüber dem Zusatzstoff zu zerstreuen. Organisiert wurde die gemütliche Expertenrunde von Professor Hans Konrad Biesalski, der das Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaften an der Uni Hohenheim leitet. Die Kosten übernahm laut Tageszeitung der Verband der europäischen Glutamathersteller. Verwundert es, dass der ?Konsens? unter diesen Umständen nicht lange auf sich warten ließ? Die eingeladenen Wissenschaftler bestätigten denn auch, dass Glutamat selbst ?in hohen Dosen keine spezifischen Nebenwirkungen aufweist?. Daher könne seine Verwendung mit den Maßstäben einer ?gesunden Ernährung? als vereinbar bezeichnet werden. Angesichts von so viel Sachverstand schloss sich die DGE dem Urteil an, umso mehr als sich durch die geschmacksverstärkende Wirkung von Natriumglutamat womöglich ein Quäntchen Natriumchlorid einsparen ließe.
Nun ist es das gute Recht von Industrieverbänden, jene Experten um Rat zu bitten, die sie schätzen. Doch wie seriös sind Wissenschaftler, die offene Fachfragen bei einem ?Konsensusgespräch? klären ? also durch Austausch von Artigkeiten oder über Mehrheitsentscheidungen und nicht durch professionelle Forschung? Und vor allem: Kann der dabei erstellte Persilschein tatsächlich noch denen nutzen, denen er in Ergebenheit gewidmet ist? Wohl kaum. Denn bei einem Thema wie dem Glutamat, das in der Fachpresse seit Jahrzehnten extrem kontrovers diskutiert wird, lassen sich die Bedenken nun mal nicht so einfach durch ein Kaffeekränzchen vom Tisch wischen.
Vom Transmitter zum Toxin
Dass es auch anders geht, haben die US-amerikanischen Hersteller von Babynahrung bewiesen. Als 1969 erstmals an neugeborenen Mäusen gezeigt wurde, dass Glutamat Wachstumsstörungen und Hirnschäden verursachen kann, reagierte die Branche sofort: Sie verzichtete freiwillig auf den Zusatzstoff, auch wenn sie jede mögliche Gefährdung abstritt. Diese Maßnahme gab den Verbrauchern Sicherheit und ersparte den Herstellern fruchtlose Diskussionen mit der Öffentlichkeit.
Während es sich damals nur um ein erstes Ergebnis mit Labormäusen handelte, weiß heute jeder Neurologe, dass eine Überdosis Glutamat das zentrale Nervensystem schädigen kann. Nicht umsonst gilt der Neurotransmitter in Fachkreisen auch als ?Exzitotoxin?, d. h. als ?Nervenzellgift?. Bei vielen neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer wird ihm sogar eine Schlüsselrolle zugesprochen.
Erregender Preisdrücker
In hoher Menge genossen kann Glutamat beim Menschen sowohl die Blut-Hirnals auch die Plazenta-Schranke überschreiten. Die Folgen sind sprichwörtlich: Als ?China-Restaurant-Syndrom? haben sie viele Verbraucher am eigenen Leib erfahren. Angesichts der exorbitanten Zugabemengen in der asiatischen Gastronomie, die oft genug die lebensmittelrechtlich zulässige Höchstmenge um ein Vielfaches über-schreiten, kommt ein solcher Effekt alles andere als überraschend. Aber da vielen Experten Verbrauchererfahrungen suspekt sind, halten sie sich lieber an Fachgremien, Konsensusgespräche und Sponsoren.
Das Versteckspiel bei der Kennzeichnung verwundert unter diesen Umständen nicht. Bestätigt es doch, dass Glutamat auch aus Sicht der Hersteller nichts Gutes verheißt. Kein Wunder, denn wer durch Zusatz dieser spottbilligen Aminosäure teure tierische Rohstoffe einspart, setzt sich nun mal dem begründeten Vorwurf aus, nicht der Qualität, sondern vorzugsweise den Preisdrückern des Lebensmittelhandels verpflichtet zu sein.

Re: gefunden:

Hi Uta,
der Beitrag ist klasse ! Wo hast Du den her ?
LG Birgit

Re: gefunden:

Hallo Birgit,
googel mal nach Eule.
Das ist die Seite vom Wissenschaftlicher Informationsdienst des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E.) e.V.
Ganz toll finde ich ja dort den Udo Pollmer. Der ist auch ab und zu im TV zu sehen.
LG Uta

Was Ähnliches aus chrismon

Dossier zum chrismon-Thema
?Das Fett bleibt dran?
Copyright: Christine Holch 2003
Inhalt:
· Wie essen?
· Welches Fett essen?
· Fettreich essen, ohne sich zu überessen
· Macht Abspecken schlank?
· Wie rund ist ungesund?
· Wie viel Bewegung muss sein?
· Wie kann man dick das Leben genießen?
· Die Wahrheit von Studien ? wann gilt etwas als bewiesen?
· Wo kann man solche Studien nachlesen?
· Bücher, Artikel, Studien (eine Auswahl)
Wie essen?
Der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm rät, nicht zuerst die Ernährung umzustellen, sondern das Denken und Fühlen, also das Verhältnis zum Essen: ?Lernen Sie, das Essen wieder zu genießen.? Das heißt auch, sich die Freiheit zu geben, alles zu essen, was man will. Nahrungsverbote nützen nichts. Im Gegenteil: ?Wer sich seine heiß ersehnte Schokolade verbietet, wird unzufrieden und sucht Ersatzbefriedigung. Am Ende hat er das mäkelige Substitut gefuttert und die Schokolade hinterher ? dann allerdings mit ganz und gar schlechtem Gewissen und insgesamt noch höherer Kalorienzufuhr.?
Genießen ist angesagt. Unkontrolliertes Fressen aber hat nichts mit Genuss zu tun. Man sollte also auf die Menge achten, die man zu sich nimmt. Das heißt zum Beispiel: Nur dann essen, wenn man hungrig ist; nicht im Voraus essen, wenn man befürchten muss, einige Stunden ohne Nachschub auskommen zu müssen; nur das essen, was einem wirklich schmeckt; nur so viel, bis man gesättigt ist. Dann sofort aufhören. Um die natürlichen Hunger- und Sättigungsgefühle freizuschaufeln, muss man in sich hineinhorchen: Wie bekommt mir das Essen? Welche Gefühle löst es aus? Wie viel möchte der Körper davon noch haben?
Und, ganz wichtig: Den Kühlschrank nicht als Erste-Hilfe-Schrank missbrauchen. Lieber einen Freund, eine Freundin anrufen oder einen ausschreitenden Marsch um den Block starten und dabei den Frust abschütteln.
Welches Fett essen?
Um die Fette mal ganz platt nach ?gut? und ?weniger gut? zu sortieren: Es scheint gesundheitsfördernd zu sein, weniger gesättigte Fettsäuren (wie sie in hohem Maß vor allem in tierischen Lebensmitteln vorkommen, etwa in Fleisch, Milch oder Butter) zu essen und dafür mehr ungesättigte Fettsäuren, wie sie in hohem Maß in pflanzlichen Lebensmitteln vorkommen ? etwa in Nüssen, Pflanzenölen, Oliven, Avocados ... Unter den ungesättigten Fettsäuren gilt als besonders gesundheitsförderlich die Omega-3-Fettsäure, die zum Beispiel in Rapsöl, in fettem Fisch oder in Walnüssen enthalten ist.
Ziemlich sicher nicht gesundheitsförderlich sind die so genannten gehärteten Fette (auch Transfette oder trans fatty acids genannt). Sie entstehen, wenn man eigentlich weiche Lebensmittel formstabil zu machen versucht, außerdem sollen sie das Ranzigwerden von Fetten verzögern und so die Regalhaltbarkeit verlängern. Gehärtete Fette sind häufig enthalten zum Beispiel in Müsliriegeln, die nicht aus Bioladen oder Reformhaus stammen, in Pommes, Industriekuchen, Crackern, Plätzchen, auch in manchen Margarinen. Über die gehärteten Fette heißt es, dass sie das ?schlechte? Cholesterin im Blut (LDL) erhöhen und das ?gute? (HDL) senken. Außerdem könnte der Einbau von gehärteten Fetten in die Zellhüllen die Kommunikation zwischen den Zellen behindern.
Das richtige Fett zu essen scheint gesundheitsförderlicher zu sein, als wenig Fett zu essen. Es gibt zahlreiche Hinweise, zum Beispiel aus der amerikanischen Krankenschwesternstudie, dass fettarme Kost nicht gut für die Blutfette ist, weil außer dem ?bösen? LDL auch das schützende ?gute? HDL sinkt und vor allem eine dritte Fettsäurengruppe, die der Triglyceride, steigt. Triglyceride schädigen die Arterien.
Lee Hooper, die im Auftrag des britischen Diätetikverbandes Studien ausgewertet hat und daraufhin neue Ernährungsempfehlungen für Menschen mit bestimmten gesundheitlichen Risiken erstellt hat, schreibt im Hinblick auf Patienten mit kritisch erhöhten Blutfettwerten: Statine (also blutfettregulierende Medikamente) seien wirksamer als Ernährungsmaßnahmen. Zwar führe zum Beispiel das Ersetzen von gesättigten Fettsäuren durch ungesättigte Fettsäuren zu einer Verbesserung der Blutfette, das Gesamtcholesterin aber sinke durch eine Umstellung der Ernährung üblicherweise nur um etwa fünf Prozent, in Studien mit Statinen dagegen sei eine Reduktion um 18 bis 28 Prozent beobachtet worden.
Mehr über die verschiedenen Fette kann man nachlesen zum Beispiel in ?Fit mit Fett? von Ulrich Strunz und Andreas Jopp, Wilhelm Heyne Verlag, München, 2002, 17 Euro
Fettreich essen, ohne sich zu überessen
?Viel weniger als 30 Prozent der täglichen Kalorien aus Fett zu beziehen, das ist nicht praktikabel, dann kommt Ihnen das Essen vor lauter Staub wieder zu den Ohren raus?, sagt Professor Volker Schusdziarra, Internist und Stoffwechselexperte an der TU München. Wer sich kaum bewegt, braucht meist nur 1700 ? 1800 Kalorien am Tag. Nicht viel also.
30 Prozent Fettkalorien wären 50 Gramm Fett. Ein Croissant, sagt Schusdziarra, habe schon 23 Gramm Fett. ?Und was sich die Leute in der Frühstückspause an Leberkäse zwischen die Semmelhälften packen lassen, das sind schon 30 Gramm Fett (in 150 Gramm Leberkäse).? Kurz: Mit bestimmter Kost hat man 30 Prozent Fett schnell beisammen, ohne allzu viel Menge gegessen zu haben.
Dennoch: Eine Mahlzeit, bei der sogar 60 Prozent der Kalorien aus Fett stammen, muss pro Teller nicht mehr Kalorien enthalten als ein Teller fettarmes Essen mit 22 Prozent Fettanteil, sagt der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm. ?Es kommt auf die Gesamtkomposition des Menüs an!? So nimmt ein Mensch, der einen Salat mit öliger Sauce isst, zwar die meisten Kalorien aus dem Fettanteil auf, aber insgesamt nimmt er wegen des hohen Wasser- und Faseranteils des Salates nicht zu viele Kalorien zu sich. So genannte ?mediterrane? Mahlzeiten haben zwar meist einen hohen Fettanteil (Olivenöl, Schafskäse etc.), aber insgesamt eine niedrige Energiedichte ? dank der voluminösen, zugleich aber wasser- und ballaststoffreichen Zutaten wie Bohnen, Gemüse, Obst. Es kommt also auf die Energiedichte der gesamten Mahlzeit an.
Isst man allerdings mehr Kalorien, als man verbraucht, werden die weggespeichert ? und zwar egal, ob sie nun ursprünglich aus Kohlenhydraten oder aus Fett stammen. Es gibt wohl nur eine einzige Situation, bei der Nahrungsfett-Kalorien leichter als Kohlenhydrat-Kalorien als Körperspeck gespeichert werden: Das sind Schwankungen im Essverhalten. Wenn also jemand kurzfristig viel zu viel isst und dabei noch sehr Fetthaltiges, könnte es sein, dass sich der Fettstoffwechsel nicht genügend schnell darauf umstellen kann, dass er also zu langsam anspringt. Das könnte genetisch bedingt sein. Wirksames Gegenmittel: Bewegung! Denn Bewegung hält den Fettstoffwechsel auf Trab.
Macht Abspecken schlank?
Jede Diät, bei der die Kalorienzufuhr reduziert ist, macht dünner. Das hält nur nicht vor. Wahrscheinlich sogar verschlimmern Diäten das Übergewichtsproblem ? weil der Ruhekalorienbedarf auf Dauer niedrig bleibt. Wer darüber mehr wissen will und weitere Argumente möchte, warum Diäten Blödsinn sind, lese das unglaublich fundierte, witzig geschriebene und dabei doch wissenschaftliche Buch von Nicolai Worm: ?Diätlos glücklich. Abnehmen macht dick und krank. Genießen ist gesund?, Hallwag Verlag, Bern, 1998, etwa 20 Euro. Das Buch ist derzeit vergriffen, soll aber im Frühjahr wieder auf den Markt kommen. Die Kurzform (ohne viel Wissenschaft) ist ?Nie wieder Diät ? Ihr Körper hat Besseres verdient?, Hallwag Verlag, Bern, 2000, 12,90 Euro
In unterhaltsamer, wenngleich manchmal etwas übertriebener Form setzen sich auch Udo Pollmer und Susanne Warmuth mit den populären, aber trotzdem oft falschen Behauptungen über Ernährung auseinander: ?Lexikon der populären Ernährungsirrtümer. Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Halbwahrheiten von Alkohol bis Zucker?, Piper Verlag, München, 2002, 9,90 Euro. Darin geht es beispielsweise um alle Thesen rund ums Cholesterin oder um Diäten.
Wer auf die zum Beispiel von DGE-Vorstandsmitglied Volker Pudel favorisierte Abspeckform fettarm/kohlehydratreich setzt, die zusammen mit der AOK unter dem Titel ?Pfundskur? vermarktet wird, sollte wissen, dass es eine Vielzahl von Studien zur ernüchternden Langzeitwirkung von fettarmer Ernährung gibt. Zum Beispiel die von Swinburn et al: ?Long-Term (5-Year) Effects of a Reduced-Fat Diet Intervention in Individuals With Glucose Intolerance?, in der Zeitschrift Diabetes Care, 2001, Vol. 24, 619 ff. Zu finden unter http://care.diabetesjournals.org/cgi/content/full/24/4/619 .Übergewichtige Männer und Frauen aßen ein Jahr lang fettarm, sie nahmen in diesem Jahr im Schnitt knapp drei Kilo ab, nahmen anschließend wieder zu, so dass sie vier Jahre später über ihrem ursprünglichen Gewicht lagen und damit gleichauf mit der Kontrollgruppe, die die ganze Zeit normal, also fettreich gegessen hatte. Erfahrung vieler Fettarm-Esser ist auch, dass das Gewicht nach drei bis sechs Monaten stagniert, sich nicht weiter verringert, so dass man nicht so rechnen kann: Fünf Jahre fettarm essen, das macht 15 Kilo Gewichtsabnahme.
Fasten übrigens halten die meisten Ernährungswissenschaftler für das Schlimmste, was es für einen Stoffwechsel gibt. Denn wenn keine Proteine zugeführt werden, baut der Körper seine Eiweißreserven (also die Muskeln) ab. Dann noch lieber, wenn etwa wegen einer anstehenden Operation ein Fettleibiger unbedingt abnehmen muss, eine so genannte Formula-Diät (das sind die Pulver aus den Apotheken). Das seien zwar, wie es ein Wissenschaftler ausdrückt, ?grauenvolle Schlürfbrühen?, aber sie enthalten wenigstens Proteine in ausreichender Form. Der Körper geht dann schneller an seine Fettreserven.
Wer trotz des schlechten Langfristerfolgs und gesundheitlicher Warnungen unbedingt per Diät abnehmen will, sollte sich wenigstens eine Diät suchen, die nicht zu Mangelerscheinungen führt. Die Stiftung Warentest hat das Buch ?Schlank & fit. 80 Diäten im Vergleich? herausgegeben (Econ Verlag, 2003, München, 8,95 Euro). Darin gibt es auch eine Formel, mit der man ausrechnen kann, wie viel Kalorien man individuell braucht. Bessere Noten gibt die Stiftung Warentest nur jenen Ernährungsformen, die man längerfristig durchhalten kann und die alle notwendigen Nährstoffe enthalten.
Wichtig zu wissen: Wochenend-Crash-Diäten nützen gleich überhaupt nichts. Denn zuerst leert der Körper in seiner Not die Zuckerdepots. Da der Zucker im Köper in Form von Glykogen gespeichert ist, das wiederum 80 Prozent Wasser enthält, beruht der rasche Gewichtsverlust zu Beginn einer solchen Crash-Diät im Wesentlichen auf Wasserverlust. Und diese Notreserve holt sich der Körper anschließend sofort wieder.
Übrigens: Die Trennkost, auf die manche Menschen schwören, ist von der Theorie her (gleichzeitiges Essen von Eiweiß und Kohlenhydraten führe zu Übersäuerung) nach Aussage von Ernährungswissenschaftlern ?völliger Blödsinn?. Dass mit Trennkost Gewicht verloren werden könne, liege daran, dass sie dazu nötige, übers Essen genau nachzudenken und nicht einfach loszuschlingen. Man muss seine Mahlzeiten genau planen, vorausschauend einkaufen und sich sowieso ein überdurchschnittliches Wissen über Lebensmittel aneignen. Und natürlich an Würstchenständen vorbeiziehen (weil Wurst mit Brötchen oder Pommes einfach nicht erlaubt ist). Spontanen Gelüsten können Trennköstler also nicht so leicht nachgeben.
Wie rund ist ungesund?
Der Bundes-Gesundheitssurvey hat 1998 das Gewicht von 7124 deutschen Männern und Frauen zwischen 18 und 79 Jahren gemessen. Danach sind im Westen 52 Prozent der Frauen übergewichtig und im Osten 57 Prozent; bei den Männern haben 67 Prozent der Westdeutschen und 66 Prozent der Ostdeutschen Übergewicht. Übergewicht wird medizinisch aufgeteilt in einfaches Übergewicht und in Adipositas. Als Maß dafür dient der Body-Mass-Index (BMI), der die Körpergröße zum Gewicht in Verhältnis setzt. Übergewichtig gilt man ab einem BMI von 25, adipös (also erheblich bis extrem übergewichtig) ab einem BMI von 30. Danach sind von den Westmännern 18 Prozent adipös, von den Ostmännern 21 Prozent, von den Westfrauen 21 Prozent, von den Ostfrauen 24 Prozent. Auffällige Änderung seit der letzten Erhebung Anfang der neunziger Jahre: Bei Männern im Osten wie im Westen ist die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas deutlich angestiegen.
Die genauen Daten findet man auf diesem Weg: http://www.rki.de/. Dann unten in der blauen Menüleiste auf ?Gesundheit und Krankheiten?; im sich öffnenden Fenster in der grauen Menüleiste links auf ?Bundes-Gesundheitssurvey? klicken; dann auf das Schwerpunktheft der Thieme-Reihe im großen Fenster klicken; in der sich dann zeigenden Kapitelliste in die Mitte sausen: Dort findet sich das Kapitel ?Körpermaße und Übergewicht?.
Zwar wird das Übergewicht meist weiterhin nach WHO-Maßstäben bemessen (alles über BMI 25 gilt als übergewichtig, alles ab 30 als adipös und damit lebensverkürzend), doch tatsächlich können Frauen, ältere Menschen und körperlich Fitte durchaus etwas dicker sein, ohne dadurch ihr Sterblichkeitsrisiko zu vergrößern. Eine BMI-Tabelle, die das Lebensalter mit einbezieht, findet sich unter
www.uni-hohenheim.de/~wwwin140/info/interaktives/bmi.htm
Menschen über 65 zum Beispiel dürfen durchaus einen BMI von bis zu 29 haben, ohne dass sie sich ernstlich Sorgen machen müssten. Auch schon ab dem Alter von 45 darf man leicht übergewichtig sein. Unter www.pfaelzer-aerzte.de/a_gesundheit/bmi.htm findet man die übliche WHO-Tabelle.
Ab welchem Gewicht und Alter der Körperspeck tatsächlich ein Risiko darstellt, haben die Unis Bielefeld und Düsseldorf ermittelt. Sie verglichen die Lebenslänge von 6193 mäßig und extrem übergewichtigen Männern und Frauen, die zwischen 1961 und 1994 die Adipositas-Ambulanz besucht hatten, mit der Lebenslänge der Normalbevölkerung in Nordrhein-Westfalen. Ergebnis: Es gab nur eine mäßig erhöhte ?Übersterblichkeit? bei den Dicken. Mit dem Alter sank diese ?Übersterblichkeit? deutlich. Gefährlich wird es zum Beispiel für Frauen, die über 50 Jahre alt sind, erst ab einem BMI von 40, und für Männer über 50 Jahre ab einem BMI von 36. Jüngere schienen mit einem BMI bis 32 im grünen Bereich zu sein. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift JAMA (Journal of the American Medical Association) erschienen: Bender, Jöckel, Berger et al: ?Effect of Age on the Excess Mortality in Obesity?, JAMA 1999; Vol. 281; 1498 ff. Infos darüber soll es auch an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, Arbeitsgruppe Epidemiologie und medizinische Statistik, bei Dr. Ralf Bender geben: 0521/106-3803.
Die Ergebnisse der Ulmer Bauarbeiter-Studie (Gefährdung durch hohes Gewicht scheint durch viel Bewegung aufgehoben zu werden) finden sich hier: Brenner, Rothenbacher et al: ?Body Weight, Pre-Existing Disease and All-Cause Mortality in a Cohort of Male Employees in the German Construction Industry?, Journal of Clinical Epidemiology, Vol. 50, 1099 ff.
Wie viel Bewegung muss sein?
Übergewicht ist ein Bilanzproblem. Das heißt, dick wird man, wenn die persönliche Energiebilanz (wie viel Energie führe ich zu, wie viel verbrauche ich) nicht stimmt. Da die Deutschen heute nicht merklich mehr essen als vor einigen Jahrzehnten, da auch der Anteil der sportlich Aktiven sich nicht groß geändert hat, ist die Gewichtszunahme zurückzuführen auf die deutlich gesunkene alltägliche körperliche Aktivität (gehen, putzen, zur Arbeit radeln, Treppen steigen, körperliche Anstrengung im Beruf etc).
Wenn man sich nicht bewegt, ist es nicht gesund, sehr dick zu sein. Dicke aber, die sich ausreichend bewegen, haben keine niedrigere Lebenserwartung als schlappe Schlanke. Regelmäßige körperliche Aktivität, das ist immer wieder belegt worden, vermindert Gesundheitsrisiken gewaltig und verlängert gleichzeitig die Phase des beschwerdefreien Lebens erheblich.
Mit Bewegung wird man nicht unbedingt deutlich schlanker, aber man bremst mindestens das Zunehmen. Denn regelmäßige körperliche Anstrengungen sind die Voraussetzung dafür, dass das Fett im Essen maximal verbrannt wird, bei körperlicher Anstrengung erhöht sich der Energieverbrauch, und die Hunger-Sättigungssignale werden verstärkt. Leider gibt es zu wenig niederschwellige Einsteigerangebote, geschweige denn Bewegungsberater für Dicke beziehungsweise für langjährige Bewegungsmuffel.
Notwendig sind mindestens 30 Minuten mäßig intensiver Bewegung täglich. Man sollte sich für rund 1000 Kalorien bewegen in der Woche, sagt Wolfgang Schlicht, Professor für Sportwissenschaft von der Uni Stuttgart. Wenn zum Beispiel eine 60-Kilo-Frau 30 Minuten walkt, verbraucht sie rund 150 Kalorien, macht siebenmal die Woche gut 1000 Kalorien. Selbst diesen Mindestumsatz erreichen derzeit nur wenige. (Man kann natürlich auch durch andere Bewegungsarten ? etwa strammes Marschieren zur Arbeit oder Fensterputzen ? auf die erforderliche Bewegungsmenge kommen.)
Weil sich gerade Dicke gar keinen Sport zutrauen, redet Wolfgang Schlicht, von Haus aus Sportpsychologe, lieber nicht von Sport. Als erste Stufe empfiehlt er spazierengehen (und den Alltag zu mobilisieren: bei jeder Gelegenheit die Füße benutzen, im Stehen telefonieren etc.). Zweite Stufe könnte dann das gelenkschonende Walking sein. ?Wenn allerdings jemand seinen Körper bisher nur als Sitzmaschine gebraucht hat, dann zerrt und zieht es hier und da anfangs schon, die Gelenke beschweren sich. Durch dieses Jammertal muss man durch, aber nach spätestens zehn Wochen wird es besser. Sie können mehr, als Sie glauben!?
Wer wissen will, welche Bewegungsart (ausgeführt in verschiedenem Tempo) wie viel Kalorien verbraucht, kann nachsehen zum Beispiel unter www.netdoktor.de/sport_fitness/fakta/sportarten_kalorientab.htm oder unter
www.m-ww.de/gesund_leben/ernaehrung/energieverbrauch.html. Warnung: Es ist ziemlich frustrierend, wie wenig man verbraucht ? zum Beispiel bei gemütlichem Radfahren mit 10 Kilometer pro Stunde: 84 Kalorien pro halbe Stunde. Der Körper arbeitet halt doch recht ökonomisch. Oder auch: ressourcenschonend.
Bewegungsmuffel in Bewegung bringt Klaus Baum, Professor für Physiologie und Chef des Trainingsinstituts Professor Dr. Baum GmbH in Köln. Seine Erfahrung: Die Motive Gesundheit und Gewichtsreduktion reichen nicht aus, um sportliche Bewegung langfristig und regelmäßig auszuüben. ?Wenn ich so einen erwische und kriege nicht einen dritten Grund raus, sage ich: Bleib liegen! Denn die Gesundheit kann nur das Anstoßmotiv sein. Bewegung muss Spaß machen.?
Wie man die richtige Bewegungsart findet? Man kann sich zum Beispiel fragen: Bin ich ein eher geselliger Typ? Dann ist der einsame Waldlauf nichts für mich. Oder bewege ich mich gern zu Musik? Vielleicht wäre Tanzen was. Bin ich wesentlich zu schwer? Dann wäre Radfahren oder Aqua-Aerobic genau das Richtige. Ohnehin ist Radfahren für den Anfang geeignet, weil man die Intensität gut regulieren kann. Beim Laufen hingegen nicht außer Puste zu geraten, gelingt nicht gleich jedem. Auf jeden Fall, rät Baum, sollte man beim Joggen den Dreier-Rhythmus einhalten: Auf drei Schritte aus und auf drei Schritte einatmen. Und Helge Knigge, Sportwissenschaftler von der Sporthochschule Köln, empfiehlt, sich an frühere lustvolle Erfahrungen mit Bewegung zu erinnern ? vielleicht führte man sehr gern Nachbars Hund aus, lief gern Schlitt- oder Rollschuhe, spielte Volley- oder Fußball?
Der Bundes-Gesundheitssurvey, Kapitel ?Körperliche Aktivität? hat 1998 ermittelt, wie aktiv die Deutschen sind. Im Vergleich zu 1992 sind mittlerweile mehr Menschen über 50 aktiv, bei den Männern unter 50 aber ist der Anteil der Aktiven gesunken. Insgesamt gibt es heute mehr Deutsche, die mehr als zwei Stunden in der Woche sportlich aktiv sind; gleichzeitig gibt es aber auch mehr Menschen, die überhaupt keinen Sport treiben. Nur 10 Prozent der Männer und 5 Prozent der Frauen sind mehr als vier Stunden in der Woche sportlich aktiv. Fast 44 Prozent der Männer und fast 50 Prozent der Frauen treiben überhaupt keinen Sport.
Die genauen Daten findet man auf diesem Weg: http://www.rki.de/. Dann unten in der blauen Menüleiste auf ?Gesundheit und Krankheiten?; im sich öffnenden Fenster in der grauen Menüleiste links auf ?Bundes-Gesundheitssurvey? klicken; dann auf das Schwerpunktheft der Thieme-Reihe im großen Fenster klicken; in der sich dann zeigenden Kapitelliste in die Mitte sausen: Dort findet sich das Kapitel ?Körperliche Aktivität?.
Wie kann man dick das Leben genießen?
Unterstützung finden dicke Menschen zum Beispiel im Internet, etwa auf diesen Seiten, die meist auch zu lokalen Selbsthilfegruppen weiterführen (gemeinsam traut man sich doch viel leichter zum Beispiel ins Schwimmbad, und gemeinsam kann man auch einen Tanzkurs organisieren):
www.xxl-starkeleute.de/
www.rundnaund.ch/
www.die-speckseite.de/
Ein sehr ermutigendes Buch ist ?Dick das Leben leben. Für Frauen, die Frieden mit ihrem Körper schließen wollen? von Gisela Enders, BoD GmbH (Books on Demand), Norderstedt, 2001, ISBN 3831108935, 17,89 Euro. Sie beschreibt zum Beispiel, wie man den schwierigen, aber nicht unmöglichen Weg gehen kann, sich selbst zu akzeptieren, auch wenn einem jahrelang vermittelt worden ist, dass der eigene Körper erst in der halben Portion liebenswert sei. Neben solchen psychologischen Hilfen finden sich zahllose nützliche Kapitel etwa zum Problem Fliegen, zum Kauf eines stabilen Fahrrads, zu möglichen und befriedigenden Sexstellungen für sehr Dicke, zu frechen Sprüchen gegen beleidigende Äußerungen etc.
Die Wahrheit von Studien ? wann gilt etwas als bewiesen?
Wenn ein Arzt erzählt, er habe neulich einen Patienten mit dem Präparat XY geheilt, dann gilt das erst einmal nur als Einzelfall und sagt nichts darüber, ob Präparat XY auch bei anderen Patienten wirkt. Erzählt ein Klinikarzt, er habe bei zehn Patienten mit Behandlung Z Erfolg gehabt, dann ist das zwar erfreulich für diese zehn Patienten, dennoch ist auch diese ?Erfahrung? noch kein Beweis für die Wirksamkeit von Behandlung Z. Wissenschaftler teilen Studien nach ?Evidenzgraden? ein, schlicht übersetzt nach Wahrheitsgraden. Fallberichte oder Expertenmeinungen auf der Basis ?klinischer Erfahrungen? haben danach die geringste Beweiskraft.
Soll eine Studie Beweiskraft haben, sollte sie eine randomisierte kontrollierte Interventionsstudie sein. Unter diesem Wortungetüm verbirgt sich zum Beispiel dieses Studiendesign: Man hat zwei Gruppen von Menschen, die sich in nichts unterscheiden. In beiden Gruppen gibt es zum Beispiel gleich viel Unsportliche, Raucher, gut Gebildete etc. Beide Gruppen bekommen etwas (zum Beispiel eine Tablette). Aber bei der einen Gruppe enthalten die Pillen nur Zucker, nicht den Wirkstoff, den man testen will. Weder die Versuchsleiter noch die Versuchsteilnehmer wissen, in welchen der ausgeteilten Pillen der Wirkstoff ist. Weitere Bedingungen: Die Gruppen sind möglichst groß, der Versuch läuft möglichst lang.
Leider kann man die Wirkung von Lebensmitteln, die sich in Pillenform verkleiden lassen, nicht auf diese Weise testen. Wollte man etwa den Nutzen oder Schaden von Fleischverzehr testen und würde deshalb der einen Gruppe Fleisch und der anderen Sojaschnitzel zu essen geben, würden die ja merken, was sie da essen. Unter Umständen wären die Sojaesser unzufrieden, würden über mangelndes Wohlbefinden klagen, schon käme eine falsches Ergebnis heraus wie: Soja macht unglücklich.
Ein Ausweg sind die wissenschaftlich nicht ganz so wertvollen Langzeitbeobachtungsstudien: Man unterwirft dabei die Versuchspersonen nicht für einen sehr begrenzten Zeitraum einer Intervention, also einer Maßnahme (Beispiel: Esst weniger Fett, nehmt diese Pillen etc.), sondern man beobachtet ?frei lebende? Menschen, die freiwillig und ganz von selbst ein unterschiedliches Verhalten zeigen. Zum Beispiel beobachtet man, wann und an was Weintrinker im Vergleich zu Nichtweintrinkern sterben. Problem dabei: Angenommen, die Weintrinker haben weniger Herzinfarkte, kann man das dann auf den Alkoholgenuss zurückführen? Nicht ohne weiteres, denn es könnte sein, dass Weintrinker eine Persönlichkeit haben, die an sich schon gesundheitsfördernd ist: Möglicherweise genießen sie gern mal in aller Ruhe, ärgern sich nicht so schnell, sind fröhlicher etc.
Die Langzeitbeobachtungsstudie an den amerikanischen Krankenschwestern und anderen Mitarbeitern des Gesundheitswesens von Walter Willett gilt aber schon als ziemlich gut. Das Kollektiv ist breit gewählt, die Leute werden über Jahrzehnte nach ihren Gewohnheiten und ihrem Ergehen befragt und untersucht. Die Ergebnisse (etwa: Nüsse essende Krankenschwestern hatten wenig Herzinfarkte) liefern zumindest Hinweise.
Wichtig bei Langzeitstudien ist auch, dass man so genannte ?harte Endpunkte? wählt. Das heißt: Es wird am Ende der Untersuchungsdauer nicht das Befinden abgefragt, die Beschwerden, also ?weiche?, tendenziell subjektive Endpunkte, sondern man schaut: Wie viele sind gestorben, wie viele hatten einen Herzinfarkt und wann?
Informationen über diese amerikanischen Studien, auf die sich der chrismon-Text beruft, findet man unter anderem auf diesen Webseiten:
www.channing.harvard.edu/nhs/
www.hsph.harvard.edu/faculty/WalterWillett.html
Da in der Medizin und besonders in der Ernährungswissenschaft viele Ratschläge und Therapien nur auf Meinungen, auf bloßen Theorien oder gar Einzelerfahrungen beruhen, haben sich in den letzten Jahren weltweit Wissenschaftler zusammengeschlossen, um herauszukriegen, was wirklich bewiesen ist. Sie streben eine ?evidenzbasierte Medizin? an. Die deutsche Zentrale für solche internationalen Arbeitsgruppen (genannt Cochrane) ist angesiedelt in Freiburg (www.cochrane.de/deutsch/pnews1.htm). Der internationale Link: http://www.cochrane.org/. Das Deutsche Netzwerk evidenzbasierte Medizin e. V. findet man unter http://www.ebm-netzwerk.de/.
Diese Wissenschaftlergruppen überprüfen zum Beispiel alle vorliegenden Studien zu einem bestimmten Thema (etwa Ernährung und Herzinfarkt) und vergleichen dann die Ergebnisse der wissenschaftlich am saubersten durchgeführten Studien. Das nennt man dann einen ?Review?. Solch eine Meta-Analyse mehrerer hochwertiger Studien hat eine hohe Aussagekraft. Was im chrismon-Text über Omega-3-Fettsäuren und die hohe Bedeutung der Fettart steht, geht vor allem auf einen solchen Review zurück, nämlich die Arbeit der britischen Wissenschaftlerin Lee Hooper (Fundort siehe Literaturliste weiter unten).
Wichtig zu wissen, wenn man Studien über Therapien oder Medikamente liest: Oft wird mit dem Begriff ?Risikoreduktion? operiert. Dann heißt es zum Beispiel: Wer sich so und so ernährt, senkt das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, um 50 Prozent. Das hört sich nach viel an, sagt aber noch gar nichts. Angenommen, man hat zwei Gruppen von je 100 Menschen. Die einen bekommen ein Medikament, eine Diät oder eine Therapie, die andere nicht. Bei den Behandelten sterben in einem bestimmten Zeitraum 2 von 100 Menschen, bei der nichtbehandelten Gruppe 4 von 100 Menschen. Das Risiko hat sich also um 50 Prozent verringert. Das Risiko hätte sich aber auch um 50 Prozent verringert, wenn von 10.000 behandelten Leuten nur zwei statt vier Menschen sterben. Aber würde man 10.000 Menschen den Nebenwirkungen eines Medikaments, einer Behandlung aussetzen, wenn dadurch nur zwei Menschen gerettet werden können? Frank P. Meyer, klinischer Pharmakologe an der Uni Magdeburg (em.) sagt deshalb: Man darf nicht nach der relativen Risikoreduktion fragen, sondern muss nach der ?number needed to treat? (nnt) fragen. Kurz: Wie viele Menschen müssen behandelt werden, damit einer gerettet wird?
Die Wissenschaftlerin Lee Hooper zum Beispiel, die Ernährungsrichtlinien für Menschen mit Herzkrankheitenrisiko zusammengestellt hat, hat den ?nnt? für verschiedene Ernährungsweisen ausgerechnet. Sie schreibt (Übersetzung): ?Bei Umstellung auf ?mediterrane Ernährung? müssen 9 bis 19 Herzinfarktpatienten mit dieser Therapieform behandelt werden, um einem Todesfall vorzubeugen. Eine Fettreduktion und/oder Fettmodifikation hat hingegen keine signifikanten Auswirkungen auf die Sterblichkeit. Die ?mediterrane? Ernährung rettet mehr Leben.? Zumindest bei Menschen, die schon einen Herzinfarkt erlitten haben. Allerdings, sagt auch Hooper, müssten diese positiven Ergebnisse noch durch mehr Studien gestützt werden.
Wo kann man solche Studien nachlesen?
Wissenschaftler veröffentlichen die Ergebnisse ihrer Forschungen in internationalen wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Vorangestellt ist ein so genanntes Abstract, das in für den Laien meist recht unverständlicher Form die Ergebnisse zusammenfasst; es folgt dann ein ausführlicherer Teil über die Fragestellung, die Methodik, die Ergebnisse sowie eine Diskussion der Ergebnisse. Richtig gute Zeitschriften mit hohem Anspruch verlangen von ihren Autoren auch, dass sie am Ende offen legen, in wessen Diensten sie sonst noch arbeiten (für die Pharmaindustrie etwa?).
Die meisten wissenschaftlichen Zeitschriften haben auch eine Internetseite. Da Laien (und damit auch die meisten Journalisten) aber diese Zeitschriften nicht abonniert haben, bekommt man im Internet oft nur beschränkten Zugang zu den Texten. Das Abstract ist meist frei zugänglich, den Text muss man dann durch Angabe der Kreditkartennummer für ein paar Dollar kaufen (man bekommt dann üblicherweise für 24 Stunden Zugang zum gesamten Text im Internet).
Viele größere Bibliotheken, vor allem natürlich die Unibibliotheken, haben einen großen Bestand an deutschen und internationalen Fachzeitschriften. Und was nicht da ist, kann meist per Fernleihe gegen eine Gebühr bestellt werden. Vielleicht hat man ja Studenten in der Bekanntschaft, die für einen in der Unibibliothek suchen könnten.
Bücher, Artikel, Studien (eine Auswahl)
Ute Alexy et al.: ?Fifteen-year time trends in energy and macronutrient intake in German children and adolescents: results of the DONALD study?, British Journal of Nutrition, 2002, Vol. 87, 595 ff. Hier einige Ergebnisse der Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund.
Ralf Bender et al.: ?Effect of Age on Excess Mortality in Obesity?, The Journal of the American Medical Association, 1999, Vol. 281, 1498 ff. Das ist ein Teilergebnis der Düsseldorfer Studie, bei der stark übergewichtige Patienten mit der durchschnittlichen Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen verglichen wurden. Man fand heraus, dass eine deutlich erhöhte Todesrate erst ab sehr hohem BMI zu finden ist.
Hermann Brenner et al.: ?Body Weight, Pre-Existing Disease and All-Cause Mortality in a Cohort of Male Employees in the German Construction Industry?, Journal of clinical epidemiology, 1997, Vol. 50, 1099 ff. Darin aber nur ein Teil der Ergebnisse der Ulmer Bauarbeiter-Studie (Gefährdung durch hohes Gewicht scheint durch viel Bewegung aufgehoben zu werden).
Abdul G. Dulloo et al.: ?Poststarvation hyperphagia and body fat overshooting in humans: a role for feedback signals from lean and fat tissues?, American Journal of Clinical Nutrition, 1997, Vol. 65, 717 ff. Äußerst spröde Zusammenfassung einer heutigen Auswertung der Minnesota-Starvation-Study von Ancel Keys.
Simone A. French et al: ?Weight variability and incident disease in older women: the Iowa Women?s Health Study?, International Journal of Obesity, 1997, Vol. 21, 217 ff. Die Befragung von knapp 34 000 Frauen (55-69 Jahre alt) über mehrere Jahre nach ihrem Gewicht, nach Krankheiten etc. ergab deutliche Hinweise darauf, dass mit häufigen Gewichtswechseln das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes und Hüftfrakturen steigt.
Adrian F. Heini et al.: ?Divergent Trends in Obesity and Fat Intake Patterns: The American Paradox?, American Journal of Medicine, 1997, Vol. 102, 259 ff. Text über den Fettarm-Trend in den USA und die gleichzeitige Gewichtszunahme. Erklärung: Mangel an alltäglicher Bewegung.
Lee Hooper: ?Diet in secondary prevention of cardiovascular disease?, 2001, zu finden auf der Homepage der British Dietetic Association http://www.bda.uk.com/ , dort links den Knopf ?Media & Resources? wählen, dann ?Clinical Guidelines?. Das sind Ernährungsrichtlinien für Menschen nach einem Herzinfarkt oder einem ähnlichen Vorkommnis, erarbeitet aus der kritischen Durchsicht aller entsprechenden Studien. Empfehlung geht in Richtung ?mediterraner? Ernährungsweise (Bevorzugung ungesättigter Öle/Fette, besonders von Rapsöl, viel Obst und Gemüse).
Lee Hooper et al.: ?Dietary fat intake and prevention of cardiovascular disease: systematic review?. British Medical Journal, 2001, Vol. 322, 757 ff. Vergleich von Studien, bei denen die Teilnehmer weniger Fett oder anderes Fett zu sich nahmen. Unter zwei Jahren Dauer zeigte sich ein zwar signifikanter Effekt auf die Mortalität, also ein statistisch erkennbarer Effekt, aber kein klinisch relevanter Effekt. Bei den wenigen Studien über zwei Jahre schien die Änderung der Fettzufuhr mehr zu nützen. Aber die Belege waren zu spärlich, um zu überzeugen, sagt Hooper. Als ?Review? gibt es diese Analyse auch unter dem Titel ?Reduced or modified dietary fat for preventing cardiovascular disease? in der Cochrane Library, 2002, Issue 4.
Herbert Immich: ?Cholesterin und Koronarsklerose?. Versicherungsmedizin, 1997, Heft 3, 86 ff. Setzt sich auf luzide Weise mit zwei ?Doktrinen? auseinander. Der, dass erhöhtes Cholesterin das Vorkommen von Arteriosklerose erhöht, und der, dass niedriges Cholesterin das Vorkommen der Koronarsklerose senkt. Der Text hat damals in Deutschland für Aufregung gesorgt.
Wayne C. Miller et al.: ?A meta-analysis of the past 25 years of weight loss research using diet, exercise or diet plus exercise intervention?, International Journal of Obesity, 1997, Vol. 21, 941 ff. Am wenigsten nahmen die Probanden in den vier Monaten mit Sport (2,9 Kilo) ab, relativ viel mit Diät (10,7), nur wenig mehr mit Diät plus Sport (11 Kilo). Sport half aber, dass die Leute danach nicht so schnell wieder zunahmen.
L. A. Moreno et al: ?The nutrition transition in Spain: a European Mediterranean Country?. European Journal of Clinical Nutrition, 2002, Vol. 56, 992 ff. Eine Studie über das spanische Paradox, dass die Spanier zwar dicker geworden sind und sehr viel Fett essen (dabei mehr Milchprodukte als selbst die Dänen), aber die zweitniedrigste Herz-Mortalitätsrate in ganz Europa haben (Frankreich hat die niedrigste).
P. M. Nilsson et al: ?The enigma of increased non-cancer mortality after weight loss in healthy men who are overweight or obese?. Journal of Internal Medicine, 2002, Vol. 252, 70 ff. Sechs Jahre dauernde Studie an knapp 5722 Männern aus Malmö in Schweden, die abgespeckt hatten. Irritierendes Ergebnis: erhöhte Mortalität für alle Krankheiten außer Krebs bei Männern, die abgenommen hatten. Erhöht zumindest gegenüber den gewichtsstabilen Übergewichtigen. Man könnte daraus schließen: Sehr starkes Übergewicht ist zwar lebensverkürzend, aber noch schlimmer erwies sich Abnehmen. Die Verhinderung von weiterer Gewichtszunahme, so die Autoren, könnte ein besserer Weg sein als der Gewichtsverlust.
S. Pirozzo et al: ?Advice on low-fat diets for obesity?, Cochrane Library, 2002, Issue 4. Mehrere Studien werden verglichen, bei denen Übergewichtigen entweder eine fett- oder eine kalorienreduzierte Diät empfohlen wurde. Das Gesamtcholesterin unterschied sich nur wenig, der langfristige Gewichtsverlust gar nicht.
Uffe Ravnskov: ?Diet-heart disease hypothesis is wishful thinking?. British Medical Journal (BMJ), 2002, Vol. 324, 238 f. Und: ?The Questionable Role of Saturated and Polyunsaturated Fatty Acids in Cardiovascular Disease?. Journal of Clinical Epidemiology, 1998, Vol. 51, 443 ff. Keine Studie, sondern ein recht witziger Text über Fettverbrauch und Herzgesundheit in verschiedensten Bevölkerungsgruppen.
Thomas Remer et al: ?Does fat intake explain fatness in healthy children?? European Journal of Clinical Nutrition, 2002, 56, 1046 ff. Das ist die in ?chrismon? erwähnte Dortmunder Kinderstudie über dick gewordene und schlank gebliebene Kinder sowie ihren ähnlichen Fettverzehr (genannt DONALD-Studie).
Boyd A. Swinburn et al: ?Long-Term (5-Year) Effects of a Reduced-Fat Diet Intervention in Individuals With Glucose Intolerance?, Diabetes Care, 2001, Vol. 24, 619 ff. Zu finden unter: http://care.diabetesjournals.org/cgi/content/full/24/4/619 Ergebnis: Nach fünf Jahren spätestens hatte die Gruppe, die ein Jahr lang fettärmer gegessen hatte, dasselbe Gewicht wie die Kontrollgruppe. Besonders Motivierte allerdings profitierten länger davon, auch was ihren Zuckerhaushalt betraf (getestet werden sollte nämlich, ob fettarm essen als Prävention von Diabetes bei Gefährdeten nützt).
Gary Taubes: ?What if it?s all been a big fat lie?, New York Times, 7.7.2002. Ein journalistischer Text, der weltweit für einige Aufregung gesorgt hat, da der Autor hier in allgemein verständlicher Form die Fetthysterie aufs Korn nimmt und mögliche negative Folgen einer fettarmen Ernährung vorstellt. Ausführlicher und genauer ist sein Text ?The Soft Science of Dietary Fat? im renommierten Wissenschaftsmagazin ?Science?, 2001, Vol. 291, 2536 ff.
Walter C. Willett: ?Dietary fat plays a major role in obesity: no?. obesity reviews, 2002, Vol. 3, 59 ff. Zentrale These: Der Fettanteil in der Nahrung sei nicht die Ursache für die Zunahme des Übergewichts in westlichen Ländern. Fettreduzierte Kost könnte das Übergewichtsproblem gar noch verschärfen.
Walter C. Willett: ?Will high-carbohydrate/low-fat diets reduce the risk of coronary heart disease?? Proc Soc Exp Biol Med, 2000, Vol. 225, 187 ff. Willett setzt sich anhand der Ergebnisse aus seiner Krankenschwestern-Studie mit den Folgen der amerikanischen Ernährungsleitlinie (wenig Fett, mehr Kohlenhydrate) auseinander. Seine These: Die bloße Fettreduktion bringt gar nichts ? weder fürs Gewicht noch für die Herzgesundheit. Wenn schon am Fett was ändern, dann lieber gesättigte und gehärtete Fette ersetzen durch ungesättigte.
David F. Williamson et al: ?Prospectice study of intentional weight loss and mortality in never-smoking overweight US white women aged 40 ? 64 years?. American Journal of Epidemiology, 1995, Vol. 141, 1128 ff. Das ist eine von vielen Studien, die Hinweise gefunden haben, dass Gewichtsverlust das Leben verkürzen könnte. Teilgenommen hatten an dieser Studie rund 43 000 übergewichtige Frauen.
Nicolai Worm: ?Macht Fett fett und fettarm schlank??, Deutsche Medizinische Wochenschrift, Heft 51/52, 2002, S. 2743 ff oder direkt beim Autor unter: http://www.nicolai-worm.de/. Hochaktueller Text mit den neuesten Zahlen und vor allem ausführlichen Quellenangaben, der sich kritisch auseinander setzt mit der Behauptung, dass Fettkonsum zu Übergewicht führe und fettarme Kost eine wirksame Therapie gegen Übergewicht sei. Nur wenn der Ballaststoffgehalt erheblich erhöht werde, hielten Studienteilnehmer ihr reduziertes Gewicht über einen längeren Zeitraum, so der Autor.
Nicolai Worm: ?Diätlos glücklich?, Hallwag Verlag, 1998, Bern. Soll im Frühjahr 2003 wieder aufgelegt werden. Sehr umfassendes Buch mit wissenschaftlichem Anspruch, aber in sehr unterhaltsamer und anschaulicher Weise geschrieben.
Nicolai Worm: ?Syndrom X oder Ein Mammut auf dem Teller! Mit Steinzeitdiät aus der Wohlstandsfalle?, systemed Verlag, Lünen, 2002, 19,90 Euro. Anlass des Buchs ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen unter Syndrom X leiden, auch das ?tödliche Quartett ? genannt. Gemeint ist damit das gleichzeitige Auftreten von Bluthochdruck, erhöhten Blutfetten, erhöhtem Blutzucker und erhöhter Insulinkonzentration. Worm dekliniert hier alle Einflussfaktoren und alle sinnvollen bzw. sinnlosen Interventionen durch, von den Genen über Diäten, beschäftigt sich mit dem verunglimpften Ei oder dem inkriminierten Fett und versucht, ein Ernährungsprogramm zu erarbeiten, das uns Heutigen mit unseren steinzeitlichen Genen gemäß sein könnte. Kurz: Es geht um artgerechte Menschenhaltung.
Die üblichen Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung kann man einsehen unter http://www.dge.de/ unter ?Verbraucher-Infos?.

Und hier der Beitrag

ERNÄHRUNG
Das Fett bleibt dran! Weihnachten ist vorüber, die Keksdose noch nicht ganz leer, und ich hab das Gefühl, dass die Hosenbeine schon mal mehr Spiel hatten. ?Die Deutschen werden immer dicker?, muss ich in der Zeitung lesen. Mehr als 50 Prozent der Frauen und fast 70 Prozent der Männer sind übergewichtig, sie haben also einen Body-Mass-Index (BMI)* über 25. Ich schäme mich ein bisschen.
Und dann steckt auch noch eine mahnende Broschüre von der Krankenkasse im Briefkasten: ?Die Deutschen essen zu viel Fett, und das macht sie auf Dauer nicht nur dick, sondern auch krank.? Fett verstopft die Adern, Herzinfarkt droht. Mir wird bang. Muss ich jetzt den gaumenschmeichelnden Doppelrahmkäse durch krümeligen Magerquark ersetzen?
Dabei ziehe ich doch schon mit abgewandter Nase an (fast) jeder Würstchenbude vorbei! Vor wenigen Jahren noch nahmen wir Deutschen 40 Prozent unserer täglichen Kalorien als Fett zu uns, mittlerweile haben wir uns auf 36 Prozent herunterkasteit, aber nein: Es sollen nicht mehr als 30 Prozent sein, verkündet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) auf ihren Internetseiten. Die DGE muss es wissen, sie hat vom Staat den Auftrag, uns über richtige Ernährung aufzuklären. ?Fett macht fett?, werde ich belehrt. Also muss das Fett weg ? erst mal vom Teller.
Frage 1: Macht Fett fett?
Doch bevor ich künftig trostlose Magermilch in den Kaffee kippe und Margarine hauchdünn über die Brotscheibe kratze, will ich es doch genauer wissen. Denn aus den USA wird höchst Merkwürdiges berichtet. Die Amerikaner haben auf ihre Ernährungspäpste gehört: Sie essen fettarme Salatsauce, Low-Fat-Eiskrem und fettfreie Kartoffelchips. Der Anteil der Fettkalorien sank auf 34 Prozent. Toll! Und? Sie sind noch dicker geworden. Das nennt man das amerikanische Paradox.
Irgendetwas ist da schief gelaufen. Vielleicht schlabbern die Amerikaner jetzt erst recht kübelweise Süßgetränke? Ernährungsmediziner Günther Wolfram, Vizepräsident der DGE, glaubt dennoch beharrlich an den Sinn von fettarmer Kost: Fettarm mache schlank. Zum Beleg faxt er gleich einen ganzen Stapel internationaler Studien in die Redaktion.
Was ich da lese, hört sich tatsächlich überzeugend an: Ein Gramm Fett hat neun Kilokalorien, ein Gramm Kohlenhydrate dagegen nur vier. Also hat ein gehäufter Teller fettarmer Kost (Nudeln, Kartoffeln, Gemüse, Obst, Brot) weniger Kalorien als ein gehäufter Teller fettreicher Kost. Satt würde ich von beiden Tellern, verspricht Wolfram, denn die Masse sei entscheidend. Aber mit fettarmer Kost sei ich nach einem Jahr drei Kilo leichter.
?Nur drei Kilo!?, denke ich. Außerdem müsste ich mich diesem Regime lebenslang unterwerfen ? denn wer nach einem fettarmen Jahr wieder isst wie zuvor, hat bald alles wieder drauf. Nie mehr Sahnesößchen und Nussmus?
Wenn da nicht die deutschen Kinder wären...Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund hat jüngst Kinder verglichen, die mit vier Jahren alle gleich viel wogen und nun, mit zehn Jahren, dick geworden oder schlank geblieben sind. Komisch: Ob dick oder schlank, alle aßen gleich viel Fett. Und: Die Dicken aßen insgesamt nicht mehr Kalorien als die Schlanken. Dafür gibt es wohl nur eine Erklärung: Die dick Gewordenen hatten sich nicht genug bewegt. Ist es also gar nicht das Fett, das dick macht?
Frage 2: Macht Fett krank?
Leider haben die Ernährungsberater noch andere Drohungen auf Lager: Fett macht krank! Ja, richtig, mühsam haben wir gelernt: Das Fett im Essen erhöht das Fett im Blut (den Cholesterinspiegel); und viel Fett im Blut macht die Adern kaputt (Arteriosklerose); und Arteriosklerose macht irgendwann Herzinfarkt.
Doch dann höre ich von den afrikanischen Massai: Die essen so viel Fett wie wahrscheinlich kein Volk sonst in der Welt (60 Prozent Fettkalorien) und leiden viel seltener an Arteriosklerose als all die fettarmen Joghurt löffelnden Amerikaner. Natürlich gibt es auch Volksgruppen, die wenig Fett essen und wenig Herz-Kreislauf-Krankheiten haben ? etwa die Bantu, die jemenitischen Juden oder die Japaner. Aber es gibt erheblich mehr Völker, die trotz fettarmer Ernährung viele Herzleiden entwickeln.
Frage also an die Wissenschaft: Verlängert fettarme Kost tatsächlich das Leben? Dazu gibt es über tausend Studien, aber nur 27 davon sind wissenschaftlich hochwertig. Eine britische Forschergruppe hat sich die Studien scharf angeguckt. Das Ergebnis, mit englischer Höflichkeit ausgedrückt: Alles nicht wirklich überzeugend. Die Herzinfarktrate sank bei den fettarm Ernährten ein kleines bisschen. Aber deutlich länger lebten die Leute trotzdem nicht. Sie starben eben an was anderem.
Nun gut, das waren Experimente von meist nur zwei Jahren Dauer. Dann knöpfen wir uns doch die weltweit größte Langzeitbeobachtungsstudie vor. Ernährungsprofessor Walter Willett und sein Team an der Harvard-Uni in Boston erfragen seit Jahrzehnten die Ernährungsgewohnheiten von rund 150 000 Krankenschwestern und anderen Mitarbeitern des Gesundheitswesens und notieren dann, woran die Leute schließlich sterben. Bisheriges Ergebnis: Ob die Leute fettreich oder fettarm gegessen hatten, beeinflusste die Häufigkeit von Herzinfarkten nicht.
Dafür wurden viele Menschen dick, die wenig Fett und dafür mehr Kohlenhydrate aßen. Eine Erklärung könnte sein: Nach einer Mahlzeit mit vielen leicht verdaulichen Kohlenhydraten (also beispielsweise Weißmehl statt Vollkorn oder Gemüse) wird sehr viel Insulin ins Blut geschickt, um die zu Zucker umgewandelten Kohlenhydrate herauszufischen und in die Zellen zu lenken. Anschließend fällt der Insulinspiegel abrupt sehr tief. Folge: Man hat schon wieder Hunger. Schiebt sich erneut was rein. Überisst sich. So führt uns die Fetthysterie geradewegs in die Kohlenhydratfalle. ?Die Fettarm-Kampagne war ein Fehlschlag?, sagt Forscher Willett. Sie mache weder dünner noch gesünder.
Frage 3: Warum wurde Fett zum Bösewicht?
Wie kam man überhaupt darauf, dass fettarmes Essen das Fett im Blut senkt? Und dass das wiederum vor Herzinfarkt schützt? Man hatte Anfang der achtziger Jahre in den USA ein Medikament getestet, das bei stark herzinfarktgefährdeten Männern den Fettspiegel im Blut (Cholesterin) senkte und außerdem die Herzinfarktrate. Daraus schloss die amerikanische Gesundheitsbehörde messerscharf: Ein niedriger Cholesterinspiegel schützt vor Herzinfarkt; und wenn ein Medikament den Cholesterinspiegel senkt, kann Ernährung das auch. Seltsam nur, dass bei Menschen, die sich fettarm ernähren, der Fettspiegel im Blut durchschnittlich bloß um drei Prozent sinkt. Wahrscheinlich, weil der Körper das Cholesterin zu einem Teil selbst herstellt. Schließlich braucht er es, um Hormone zu produzieren oder die Zellwände stabil zu halten.
Warum aber wirken dann die Lipidsenker-Medikamente? Möglicherweise, weil Herzinfarkt nicht nur was mit verklumpten, sondern mehr noch mit entzündeten Arterien zu tun hat ? und auf die wirken die Medikamente heilend. Das könnte der Grund sein dafür, dass es Gesunde mit einem sehr hohen Cholesterinspiegel gibt, während die meisten Herzinfarktpatienten einen ganz normalen haben.
Ich bin verwirrt. Hilfe suchend wende ich mich an Bernd Richter von der Uni Düsseldorf, der als Leiter einer internationalen Forschergruppe die Qualität von Studien über Fettleibigkeit kontrolliert. Ich frage ihn: Könnte es sein, dass der Sinn der Fettarm-Empfehlung gar nicht bewiesen ist? Bernd Richter ist ein vorsichtiger Mensch. Am liebsten würde er gar nichts sagen, bevor er sich nicht ein Jahr in die Studien vertieft hat. Also sagt er nur so viel: ?Die Ernährungsrichtlinien der DGE würden wahrscheinlich einer Überprüfung nicht standhalten. Sie basieren teilweise nur auf Meinungen. Aber wenn man so stark in das Leben der Menschen eingreift wie mit der Empfehlung ,maximal 30 Prozent Fett?, steht man in der Beweispflicht.? Das Problem ist: Große Langzeitstudien mit Vergleichsgruppen sind aufwendig und teuer.
Schon merkwürdig, dass Mediziner gern als Erstes Genussverzicht fordern, wenn sie sich eine Krankheit nicht recht erklären können. Nach dem Motto: Was Spaß macht, macht bestimmt krank. Sex, Alkohol, Fett. Oder Salz. Salz treibt angeblich den Blutdruck hoch, das Schlaganfallrisiko steigt. Bewiesen ist das alles nicht.
Frage 4: Wie rund ist ungesund?
Da muss ich mir doch gleich eine Hand voll buttriger Vanillekipferl genehmigen. Aber halt, da war doch noch was: Auch wenn Fett im Essen nicht schlimm sein sollte, dann doch sicher das Fett am Körper? Und, o Graus, hierfür scheint es viele Belege zu geben: Mehr Dicke als Schlanke haben hohen Blutdruck oder Diabetes Typ 2. Beides erhöht die Gefahr für Herzkrankheiten. Nur, wenn man das alles nicht hat ? wie rund ist dann ungesund?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet alle Menschen mit einem BMI ab 25 als übergewichtig und alle mit einem BMI ab 30 als adipös, ?fettsüchtig?. Das hört sich schlimm an, nach vorzeitigem Tod. Bin ich jetzt auch bald dran?
?Wir dachten anfangs auch: Alles über BMI 25 muss weg, weil das die Sterberate erhöht?, sagt der Arzt und Epidemiologe Dietrich Rothenbacher. Er hat mit anderen Forschern das Schicksal von 8000 deutschen Bauarbeitern verfolgt. ?Doch zu unserer Überraschung haben wir ganz was anderes gefunden: lieber dick als dünn. Dünn ist immer schlecht.? Denn selbst die richtig dicken Bauarbeiter (BMI über 30), die Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes hatten, lebten immer noch länger als die sehr schlanken Bauarbeiter (BMI unter 22,5). Die einzig mögliche Erklärung für das verblüffende Ergebnis: Bauarbeiter schuften den ganzen Tag körperlich. Das gleicht offenbar mögliche Nachteile des Dickseins aus.
Nun arbeite ich aber nicht auf dem Bau, sondern am Schreibtisch. Da kommt mir eine Forschergruppe aus Düsseldorfer gerade recht. Die verglich über viele Jahre 6000 fette Patienten mit der Normalbevölkerung. Ergebnis: Deutlich früher als der schlankere Durchschnitt starben nur Männer mit einem BMI über 32 und Frauen mit einem BMI an die 40 (das wären bei einer 1,65 Meter großen Frau immerhin 110 Kilo). Nur sehr dicke junge Männer waren schon vorher gefährdet.
Kurz: So richtig fett, dass man sich nicht mehr bewegen kann, sollte man besser nicht werden. Doch die, die nur 5, 10 oder 15 Kilo zu viel auf die Waage bringen, dürfen sich entspannen: Ein mit dem Lebensalter langsam ansteigendes Gewicht scheint mit der stabilsten Gesundheit verbunden zu sein. Im Alter wirkt leichtes Übergewicht sogar lebensverlängernd.
Frage 5: Warum werden manche dick?
Pummelige dürfen sich ohnehin als die Elite der Evolution betrachten. Wer einstmals in der Lage war, nach einem Mammut-Festessen jede überschüssige Kalorie in Rettungsringen anzulegen, hatte in kargen Winterszeiten einen Überlebensvorteil.
Heute allerdings brauchen wir keinen Bauch mehr. Wir haben ja Kühlschränke. Und so beneiden die Molligen all jene, die viel futtern können, ohne dass es groß ansetzt. In Experimenten, bei denen Gleichschwere die gleichen übergroßen Portionen verdrücken mussten, nahmen die Teilnehmer unterschiedlich viel zu, manche gar nicht. Es ist leider so: Schätzungsweise 20 bis 30 Prozent der Menschen benötigen ungewöhnlich wenig Kalorien, um ihre Organe am Laufen und den Körper warm zu halten. Einige Begnadete unter ihnen verschleudern die überschüssige Nahrungsenergie als Wärme an die Umgebung, die anderen müssen sie in Fettzellen speichern. Denn oben einen großen Löffel Nutella einfüllen und ihn unten unverdaut der Kanalisation übergeben ? das funktioniert nicht.
Diese genetische Ausstattung hatten allerdings auch schon die Deutschen vor 20 Jahren, trotzdem waren sie nicht dermaßen dick. Und sie aßen noch nicht einmal weniger als wir heute. ?Aber damals gab es viel weniger Fernsehprogramme, keine Zweitwagen, deutlich weniger Geschirrspüler oder Wäschetrockner, und man tippte noch auf Schreibmaschinen?, sagt Sven-David Müller vom Deutschen Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik. ?Wir bewegen uns zu wenig für die Mengen, die wir in uns hineinstopfen.?
Frage 6: Machen Diäten schlank?
Trotzdem denkt jeder, der mit seinen Pfunden hadert, zuerst an eine Diät. Zugegeben: ich auch. Diese vier Kilo wär ich doch gern wieder los. Und es stimmt ja: Mit Diäten, bei denen die Kalorienzufuhr reduziert ist, nimmt man ab. Doch der Langzeiterfolg ist deprimierend. Nach spätestens fünf Jahren haben rund 95 Prozent ihr altes Gewicht wieder erreicht oder sogar überschritten ? der Jo-Jo-Effekt. ?Diäten, die nicht als Dauerernährung geeignet sind, machen dick?, sagt Volker Schusdziarra, Stoffwechselexperte an der TU München.
Der Körper weiß ja nicht, dass sein Besitzer absichtlich zu wenig isst. Er reagiert auf Diäten wie auf eine Missernte, Hungersnot, Belagerung: Er senkt den Energiebedarf, den er fürs bloße Funktionieren der Organe braucht ? je nach Individuum um 10 oder auch 40 Prozent. Nach der Diät isst man wieder normal, aber der Grundumsatz bleibt unten, möglicherweise lebenslang. Folge: Man isst mehr Kalorien, als der Körper verbraucht. Gewichtszunahme.
Und das ist längst nicht der einzige biologische Mechanismus, der Abspeckkuren langfristig scheitern lässt. Es scheint auch so etwas wie ein Gedächtnis für einmal erlangte Reserven zu geben. 1944 wurde in Minnesota (USA) ein Experiment durchgeführt, das heute, zu Zeiten von Ethikkommissionen, nicht mehr erlaubt würde. Damals wollte man die Folgen von Kriegsgefangenenkost austesten. 36 junge, gesunde Männer nahmen teil. Ein halbes Jahr lang bekamen sie nur die Hälfte der Kalorien, die sie eigentlich benötigten. Danach durften sie so viel essen, wie sie wollten. Sie konnten mit dem Essen gar nicht mehr aufhören, hatten ihr natürliches Sättigungsgefühl verloren. Am Ende waren viele der einst Schlanken dicklich.
Es scheint so zu sein, dass der Körper nach Hungerphasen die Fettvorräte eher noch aufstockt. Nach dem Motto: Einmal bin ich von der Notzeit überrascht worden, ein zweites Mal wird mir das nicht passieren. Möglicherweise ist das massenhafte Übergewicht erst entstanden durch die Propagierung falscher Schönheitsideale: Leute, die gar nicht abnehmen müssten, nehmen ab und anschließend wegen des Jo-Jo-Effekts deutlich zu.
Na bitte: Schwimmen hebt die Laune
und verlängert das Leben
Von der Sinnlosigkeit des Diätens will natürlich niemand hören. Dazu verdienen zu viele gut daran, ob Light-Industrie oder all die Frauenzeitschriften, die jedes Frühjahr mit einer neuen Diät aufwarten. ?Dabei machen Diäten die Menschen nicht nur dicker, sondern verkürzen auch noch das Leben?, sagt der Ernährungswissenschaftler und Buchautor Nicolai Worm (?Nie wieder Diät. Ihr Körper hat Besseres verdient?, Hallwag Verlag). Tatsächlich: Zwar wurden einige dicke Hochrisikopatienten mit Diabetes Typ 2 oder Bluthochdruck fürs Abnehmen mit Lebensjahren belohnt, doch für Gesunde steigt in vielen Studien mit jeder weiteren Hungerkur die Wahrscheinlichkeit für Schlaganfall und Herzinfarkt.
Aber der mögliche Zusammenhang von Schaukelgewicht und Lebensverkürzung ist bis jetzt nicht ausreichend erforscht. ?Ernährungsstudien werden eben häufig von der Industrie mitfinanziert?, sagt Nicolai Worm, ?und warum sollen Hersteller von Appetitzüglern, Abnehmpülverchen oder Light-Food eine Forschung fördern, die klärt, ob Abnehmen nicht vielleicht auch krank macht und warum??
Frage 7: Was soll ich denn nun essen?
Jetzt bin ich vollends ratlos. Diäten machen dick und tot. Herzinfarkt will ich aber auch nicht kriegen. Was also essen? Da kommt frohe Kunde vom Volk der Spanier. Die sind in den letzten Jahrzehnten ziemlich dick geworden, sie essen viel Obst (326 Gramm täglich) und sehr viel Fett (42 Prozent der Kalorien). Und sie haben eine niedrige Herzinfarktrate. Ergibt das irgendeinen Sinn?
Ja, sagt die Wissenschaftlerin Lee Hooper. Sie hat gerade eine Herkulesarbeit abgeschlossen. Im Auftrag des britischen Verbandes für Diätetik sollte sie herausfinden, was man Menschen empfehlen kann, die schon mal einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder eine Angina Pectoris erlitten haben. Gnadenlos überprüften Lee Hooper und ihr Team alle vorliegenden Studien.
Das Ergebnis: Eine ?mediterrane? Ernährungsweise rettet mehr Leben als eine fettreduzierte Kost. Die Fettmenge scheint nicht entscheidend, wohl aber die Art des Fetts: Gut sind ungesättigte Fettsäuren (vor allem in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten), besonders die Omega-3-Fettsäure. Die schützt offenbar vor Herz-Kreislauf-Krankheiten und kommt in großer Menge in Rapsöl vor (nein, das schmeckt nicht nach Auto!), in fettem Fisch, in Leinsamen und Walnüssen ? das erklärt auch, warum amerikanische Krankenschwestern, die Nüsse knabberten, und Eskimos, die sich an Fischtran labten, so besonders wenig Herzinfarkte erlitten.
Dazu, nicht zu vergessen, viel frisches Obst und Gemüse (eine herzschützende Wirkung von Vitaminpräparaten ist nicht belegt). Außerdem empfehlen die britischen Ernährungsberater: Statt einen starken Gewichtsverlust anzustreben, solle man sein Gewicht besser halten. Das ist Herausforderung genug.
Ich schreibe ?Rapsöl? auf den Einkaufszettel und beschließe, ansonsten nicht mehr so viel übers Essen nachzudenken. Es einfach zu genießen. Und ? ich mache die Keksdose wieder zu ? nicht dauernd die zarten Sättigungssignale zu überhören. Nur, die Hosen möchten schon gern wieder passen...Nicolai Worm redet mir ins Gewissen: ?Der Körper mit seinem Überlebensinstinkt gewinnt immer gegen den Willen. Aber Sie können sich doch fit machen! Das können Sie nun wirklich über den Willen steuern.?
Frage 8: Darf's etwas mehr Bewegung sein?
Kaum zu glauben, aber bei diesem Satz sind sich endlich mal alle Wissenschaftler einig: Nichts wirkt so segensreich wie körperliche Aktivität. Der Blutdruck sinkt, das Herz arbeitet ökonomischer, die Durchblutung wird besser und der Fett- und Zuckerstoffwechsel wird günstig eingestellt. Nicht zuletzt: Man nimmt Hunger und Sattheit deutlicher wahr, überisst sich nicht so leicht. Wunderbar: Das Leben wird länger und beschwerdefreier. Und ein fitter Dicker hat mindestens eine genauso lange Lebenserwartung wie ein schlapper Schlanker.
Empfohlen wird eine halbe Stunde Bewegung täglich. Besser wäre eine ganze Stunde. Aber das sagen Sportwissenschaftler nur hinter vorgehaltener Hand, um die Leute nicht zu verschrecken. Allzu gemächlich darf es dabei nicht zugehen, Herz und Kreislauf müssen spürbar arbeiten, man sollte leicht ins Schwitzen geraten. So wie zum Beispiel beim Putzen, Schwimmen oder einem strammen Spaziergang. Doch selbst das absolute Minimalmaß von täglich einer halben Stunde erreichen in Deutschland zum Beispiel unter den 30- bis 39-jährigen Männern gerade noch 20 Prozent, unter den gleichaltrigen Frauen 10 Prozent.
Viele Kilo leichter allerdings wird man nicht. Oft hört Trainer Helge Knigge, Sportwissenschaftler an der Sporthochschule Köln, von seinen Trainingsteilnehmern: ?Ich wiege mehr! Aber die Hose passt wieder!? Kein Wunder, sagt Knigge dann: ?Sie haben leichtes Fett abgebaut und sich schwere Muskeln zugelegt.?
Okay, ich hab verstanden. Computer runterfahren, am helllichten Samstagnachmittag durch den Park hoppeln. Sollen die Leute doch gucken. Und Montag gönn ich mir eine neue Hose!

Pollmer ist echt gut ...

... die Bücher sind auch sehr lesenswert. Allerdings verging mir nach der Lektüre die Lust auf Fabrikfood ganz eindeutig.
LG, Beate

Ich fand ja viel besser die Stelle:

"Evolutionsbiologisch gesehen, ist das Gehirn eine Ausstülpung
des Darmes." Hübsche Vorstellung! *g*
LG Yuri (deren Mann den Artikel liiiieben würde..)

Das muss ich klauen und weiterverwenden....

Ich hoffe, das ist okay für Dich!
GLG Conny aus dem Januar-Februar04 Forum

Re: Das muss ich klauen und weiterverwenden....

Hallo Conny,
wenn's geheim wäre, hätte ich es nicht hier reingestellt. *gg*
Wie das mit dem Copyright ist, weiß ich aber nicht genau, hatte aber bisher noch nie Probleme, etwas zu kopieren.
LG Uta

nochmal drüber nachgedacht:

Ich habe doch allerhand auszusetzen:
Seine Kritik Diäten gegenüber ist alt und dem stimme ich natürlich zu, auch Ernährungsprogramme sind nicht das Gelbe vom Ei, aber es gibt doch noch mehr in der Nahrung als Energie! Wo bleiben Mineralstoffe, Vitamine, Spurenelemente? Gerade als Schwangere ist das doch sehr wichtig ( Folsäure z.B.). Man sollte Kinder natürlich nicht mit Programmen dazu bringen, etwas bestimmtes essen zu müssen, aber wir als Vorbild sollten schon wissen, was ihnen gut tun würde (natürlich ohne Zwang, so wie Du, liebe Uta, es schon lange praktizierst). Das sich diese Ratschläge dauernd ändern ist so wie bei der Kindererziehung, da sucht man sich eben das passende raus...
Zum Lektin: Das Experiment ist mit großen Dosen an Mäusen gemacht worden. Aber bei der Konzentration von 300 mg Lektin pro kg Weizenkeime ist es unwahrscheinlich, dass gesunde Menschen davon Probleme kriegen. In Fachkreisen wird aber diskutiert, ob Lektine eventuell einige Krankheiten verstärken können. Dazu zählen beispielsweise Rheuma oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Da muss aber ohnehin auf die Ernährung besonders geachtet werden. Und Roggen wurde, bevor der Sauerteig zufällig entdeckt wurde, einfach als Fladen gebacken - daran sind die Leute auch nicht reihenweise gestorben!
Und mein Darmhirn (und das meiner Kinder) hat durchaus Apetit auf Vollkornbrot, ohne irgendwelche Nebenwirkungen.
LG Birgit

Re: nochmal drüber nachgedacht:

Hallo Birgit,
wenn man sich nicht einseitig ernährt, sind Vitamine und co. kein Thema.
Mein Fazit aus dem Beitrag ist:
Alles, wozu ich mich (langfristig) zwingen muss, ist nicht gut für mich.
Wichtig ist meiner Meinung nach, dass man Spaß am Essen hat und dh Spaß am Kauen und Schmecken und nicht Spaß am Schlucken.
LG Uta

Im Nachhinein nochmal meinen Senf dazugeben muss..

Hallo Ihr,
Udo Pollmer begleitet mich schon seit einiger Zeit, denn wir haben beide dieselbe Ausbildung - wir sind beide Lebensmittelchemiker.
Schon an der Uni war der Name Pollmer für jeden ein rotes Tuch, denn was der Mann verbreitet, hat mit Wissenschaft fast gar nichts zu tun.
Ich hatte damals eine Abhandlung von ihm in den Händen, in der er sich darüber ereifert hat, dass Vitamine ja gar nicht lebensnotwendig seien. Als hätte es Krankheiten wie Rachitis und Skorbut nie gegeben....
Ich kann nur dazu sagen, dass Udo Pollmer in der Zunft der Lebensmittelchemiker ein rotes Tuch ist für jeden! Leider ist er viel zu oft im Fernsehen, so dass immer noch genug Leute auf ihn reinfallen!
LG Sabine

Re: Im Nachhinein nochmal meinen Senf dazugeben mu

Hallo Sabine,
als die Medienseuche BSE losging, hatte Pollmer im TV fast als Einziger die Meinung vertreten, zu der es jetzt langsam hinkommt.
Ich finde sein Denken evolutionär, innovativ und zugegeben unbequem und profischädigend für einige Branchen.
LG Uta
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