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Wenn Sie ein Jungfrau-Kind haben...

Die kleine Jungfrau gehört zu den ganz, ganz wenigen Kindern, die man nicht mit tückischer List ins Badezimmer locken und nicht mit mehr oder weniger bru­taler Gewalt zur Säuberung ihrer Ohren anhalten muss. Schon der winzigste Jungfrau-Spross wird seine Umwelt verblüffen, indem er mit ernsthaftem Nach­druck darauf besteht, sich vor dem Essen die Hände zu waschen oder eine fri­sche Bluse angezogen zu bekommen.
Überhaupt ist das Jungfrau-Kind ein angenehmes Kind: vernünftig, überlegt, umgänglich, ruhig - und dennoch munter und aufgeweckt, flink, wenn's darauf ankommt, und selbständig.
Ein Jungfrau-Kind ist Vernunftargumenten immer zugänglich. Es wird einse­hen, dass es keine eisgekühlten Limonaden trinken darf, solange es Halsweh hat, dass es besser ist, Tante Marianne nicht an ihren verblichenen Dackel zu erin­nern, solange der Schmerz .um ihn noch frisch ist, und dass es keinen Sinn hat, mit der Seilbahn zu fahren, wenn der Gipfel, auf den sie führt, im Nebel steckt.
Argumente allerdings, die ihm unvernünftig scheinen, lässt das Jungfrau-Kind nicht gelten. Es kann geradezu störrisch werden, wenn man ihm etwas einzure­den versucht, was sich mit seinen Prinzipien oder Erkenntnissen nicht deckt. Zu­mindest aber verhält es sich sehr bestimmt. Nein, danke, es mag jetzt nichts es­sen. Nein, auch keinen Kuchen, Torte ebenfalls nicht. Vielen Dank, nein? Jungfrau-Kinder sind höflich, korrekt, doch sie wissen, was sie wollen.
Zudem sind sie sehr wählerisch. In allen Bereichen des Lebens. Sie spielen nur mit bestimmten Dingen. Es ist zwecklos, einem Jungfrau-Kind einen Stofflöwen zu schenken, wenn es aus irgendeinem Grund - das Verhalten von Jungfrau­-Menschen hat immer einen Grund - beschlossen hat, dass es Stofflöwen nicht mag und mit Stofflöwen nichts anfangen kann. Jungfrau-Junioren akzeptieren Spielgefährten und Freunde mit innerem Vorbehalt, und sie essen nur ausgewählte Speisen.
Ihr Jungfrau-Kind weigert sich, Haferflocken zu sich zu nehmen? Dann geben Sie's auf, es mit Haferflocken füttern zu wollen. Eher legt es sich eine ernsthafte Haferflocken-Allergie zu, als dass es sich von Ihnen in einen Müsli-Fan verwandeln ließe. . .
Weil wir schon beim Thema Essen sind: Jungfrau-Kinder sind im Allgemeinen eher schwache Esser. Sie haben oft einen nervösen Magen, leiden häufig unter Verdauungsbeschwerden und nehmen am liebsten nur wenig und nur leichte Kost zu sich. Das bereitet manchen Müttern - und vor allem Großmüttern - die glauben, nur wohlgenährte Kinder seien kräftig und gesund, Sorgen. Die Sorgen sind indes überflüssig. Das zähe, drahtige Jungfrau-Kind ist unter Umständen viel gesünder als der pausbäckige Blasengel, der unter einem anderen Sternbild geboren wurde.
Jungfrau-Kinder sind nicht nur sauber, sondern auch ordentlich. Sie räumen ihre Bausteine abends ohne besondere Aufforderung weg, setzen ihre Puppen und Teddys militärisch ausgerichtet in das, dafür bestimmte Regal und bewahren ihre Zeichenblöcke fein säuberlich gestapelt auf.
Sie erwarten allerdings auch, dass man die von ihnen geschaffene Ordnung re­spektiert. Mütter, die in ihren Sachen nach einem Bleistift kramen und dabei das sorgfältig ausgeklügelte System durcheinander bringen, nach dem ihr Jungfrau-Spross seine Schreibutensilien eingeräumt hat, dürfen sich nicht wundern, wenn sie mit herben Worten kritisiert werden.
Versteht sich, dass Geschwistern noch weniger gestattet wird, Besitztümer von dem ihnen durch die Jungfrau zugewiesenen Platz zu entfernen. Ein Jungfrau­-Kind kann im Allgemeinen gut mit seinen Brüdern oder Schwestern auskommen, weil es freundlich und fair ist. Beklagen wird es sich nur, wenn diese Brüder oder Schwestern seinen sorgfaltig gehüteten Schokoladevorrat (Jungfrauen sind von klein auf sparsam) aufgegessen, seine Bücher an einen falschen Ort gelegt oder den Wäschestapel in seinem Schrank umgeworfen haben; dann allerdings
beklagt sich das Jungfrau-Kind gründlich; es kann nörglerisch, kleinlich und un­angenehm reagieren, wenn ihm etwas gegen den Strich geht.
Kleine Jungfrauen sind pünktlich. Andere Kinder brauchen für einen Schul­weg von zehn Minuten möglicherweise eine halbe Stunde, weil sie unterwegs im­mer wieder durch interessante Dinge aufgehalten werden. Das Jungfrau-Kind nicht. Es ist pflichtbewusst und korrekt auch in diesem Punkt. Wenn Sie ihm ein­geschärft haben, um halb vier vom Spielplatz zurück zu sein, dann ist es um halb vier zurück; wenn Sie ihm aufgetragen haben, von einer Geburtstagsparty nicht später als um zwanzig nach sieben heimzukommen, steht es spätestens zwanzig nach sieben vor Ihrer Tür und keine Minute danach. Sie müssen allerdings in Kauf nehmen, dass Ihr Jungfrau-Sprössling mit hochgezogenen Brauen auf die Küchenuhr blickt, wenn sein Mittagessen nicht zur gewohnten Zeit auf dem Tisch steht, und dass er Sie, jeder Zoll ein kleiner Schulmeister, quengelnd tadelt, wenn Sie nach Ihrem Besuch bei Friseur noch einen Plausch mit Tante Lotte ein­gelegt haben, obwohl Sie doch unverzüglich nach Hause eilen wollten. . .
Jungfrau-Kinder sind groß im Kritisieren. Unaufgefordert verkünden sie kühl, was Vater, Mutter, Großeltern und Geschwister ihrer Meinung nach falsch machen, und das Unangenehme dabei ist, dass sie meist Recht haben.
So ungerührt sie an anderen herummäkeln, so empfindlich reagieren sie, wenn man an ihnen etwas auszusetzen hat. Ihr Hang zum Nörgeln lässt sie selbstsiche­rer und selbstzufriedener erscheinen, als sie sind; tatsächlich leiden Jungfrau­-Kinder oft unter Minderwertigkeitsgefühlen und werden durch Kritik leicht ent­mutigt. Man sollte sie daher möglichst taktvoll auf ihre Fehler hinweisen - dann werden sie versuchen, sich zu bessern. Perfektionisten, die sie sind, streben so­wieso danach, ihre Fehler und Schwächen auszumerzen.
Jungfrau-Kinder sprechen meistens früh und bald fließend. Sie lernen willig und leicht. Außerdem sind sie sehr gewissenhaft. Ihre Gewissenhaftigkeit hat zur Folge, dass sie ständig nach dem Warum und nach dem Wieso fragen. Die Ant­wort, dies oder jenes sei »eben einfach so« genügt ihnen nicht. Für sie muss alles logisch, rationell begründbar, einsichtig und ableitbar sein. Erst dann geben sie sich zufrieden. Diese beharrliche Gründlichkeit trägt ihnen nicht bei allen ihren Lehrern Sympathie ein. Viele - vor allem unsichere - Lehrer glauben, das Jung­frau-Kind wolle sie durch seine präzisen Fragen aufs Glatteis führen oder ihnen Unwissenheit nachweisen, und reagieren entsprechend sauer.
Es wird an Ihnen liegen, klarzustellen, dass Ihr Jungfrau-Sprössling aus nichts weniger als aus Bosheit fragt, dass seine Fragen echtem Wissensdurst entspringen und dass er ein Recht darauf besitzt, diesen Wissensdurst - nicht zuletzt - in der Schule gestillt zu sehen. Apropos Wissensdurst: Alle Jungfrau-Kinder lieben Bü­cher. Über Bücher freuen sie sich mehr als über Süßigkeiten oder Aufziehautos. Überhaupt mögen sie jede Art von lehrreichem Spielzeug. Denken Sie daran, wenn Sie einem Jungfrau-Kind ein Präsent mitbringen!
Dem anderen Geschlecht gegenüber verhält sich das Jungfrau-Kind, wenn es älter wird, oft auffallend scheu. Es hat Hemmungen und kann Kontakte nicht so leicht knüpfen wie andere Halbwüchsige. Sie sollten sich hüten, ihr Jungfrau­-Kind wegen seiner Zurückhaltung oder einer schüchtern aufkeimenden Zunei­gung zu einem (einer) Klassenkollegen(-kollegin) zu necken! Es könnte auf Jahre hinaus Schwierigkeiten haben, Anschluss ans andere Geschlecht zu finden, so sehr vermögen es derartige Taktlosigkeiten aus der Bahn zu werfen.
Helfen Sie Ihrem Jungfrau-Kind stattdessen lieber, seine Minderwertigkeits­gefühle abzubauen! Versichern Sie ihm, dass es hübsch sei, beraten Sie es - un­auffällig - in Modefragen, gehen Sie mit ihm zum Hautarzt, wenn es unter Akne leidet, und lassen Sie seine Haare von einem erstklassigen Friseur schneiden. Derlei Maßnahmen sind zwar kein Allheilmittel und Wunderrezept gegen Pu­bertätsprobleme, aber ein bisschen helfen sie in der Regel schon.
Ihr praktisches, vernunftbetontes Jungfrau-Kind ist selten überschwänglich zärtlich. Dennoch braucht es viel Liebe. Es sehnt sich nach der Geborgenheit, die ruhige, beständige Zuneigung vermittelt, und hat - vielleicht mehr als andere Kinder - das Gefühl nötig, dass sie immer seelisch zu seiner Verfügung sind. Wechsel duschen aus exaltierter Zuneigung und trotzigen »Ich-will-auch-mein-eigenes-Leben-Ieben«-Phasen verunsichern das Jungfrau-Kind zutiefst.
Wenn Sie ihm Sicherheit und Geborgenheit geben, dann wird es sich revan­chieren, indem es gleichfalls zu Ihnen steht und Sie nie im Stich lässt.
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