Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
Wie fange ich am Besten an?
Ich arbeite jetzt seit fast 14 Jahren auf einer Intensivstation als Krankenschwester. Habe auch eine Fachausbildung in Intensivmedizin und Anästhesie. In dieser Zeit habe ich natürlich viel gesehen. Bisher bin ich immer sehr "professionell" mit dem Leid anderer umgegangen, d.h. ich habe gelernt Abstand zu halten. Ich bin fürsorglich und liebevoll im Umgang und der Plege der Patienten und der Angehörigen, aber ich schalte normalerweise beim Verlassen des Krankenhauses mein Arbeitsgehirn aus. Wisst ihr was ich meine? Klingt vielleicht doof, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst sagen soll. Ich habe einfach gelernt abzuschalten, weil man sonst wirklich daran zerbricht wenn man das Leid über sein ganzes Leben bestimmen lässt.
Es ist mein Traumjob und meine Arbeit macht mir wirklich auch Spaß. Gerätemedizin war schon immer eine Herausforderung für mich und man hat ja auch viele Erfolgserlebnisse, die einen wieder beflügeln.
Gestern ist jedoch etwas passiert, dass mich einfach nicht in Ruhe lässt. Ich kann es nicht wie sonst ablegen und auch nicht in den Hintergrund drängen.
Wir sind ein Krankenhaus ohne angeschlossene Kinderklinik. Auf Station sind wir für Kindernotfälle ausgerüstet, aber bisher hatten wir nur ein paar Mal kleinere Kinder mit Fieberkrämpfen o.ä. da, die wir nach der Erstversorgung dann gleich in eine Kinderklinik verlegt haben. Von Sankas werden wir bei Kindernotfällen gar nicht angefahren, aber es gibt immer mal wieder Eltern, die eben mit einem schwerkranken Kind selbst schnell ins KH fahren und da müssen wir natürlich gewappnet sein. Die nächste Kinderklinik ist 20 km weg.
Gestern bekamen übers Notfalltelefon dann den Anruf: Säugling wird unter Reanimationsbedingungen auf Intensiv gebracht.
Wir haben alles vorbereitet und dann kamen sie auch schon. Diensthabender Arzt, Anästhesist und die Eltern mit einem 4,5 Monate alten Jungen. Die Eltern baten wir draussen zu warten. Das ist einfach wichtig, damit man wiklich konzentriert arbeiten kann.
Während der Reanimation ist man routiniert. Wir haben regelmäßige Mega-Code-Trainings etwa alle 3 Monate um immer auf dem neuesten Stand zu sein.
Die Reanimation dauerte etwa eine Stunde, dann haben wir abgebrochen. Der Junge war bereits tot als ihn die Eltern gebracht haben. Wahrscheinlich plötzlicher Kindstot. Wir haben trotzdem so lange reanimiert, weil man sehr kleine Kinder oft doch noch wiederholen kann.
Dann wurden die Eltern dazugeholt. Die Mutter sagte immer wieder "wach auf mein Kleiner, die Mama ist da!" und schüttelte ihn sanft. Sie hat es noch nicht realisieren können. Wir haben den Kleinen dann ins Abschiedszimmer gebracht, damit die Eltern in ruhiger Atmosphäre und so lange sie möchten Abschied von ihrem Kind nehmen können.
Ich sitze hier und heule und heule. Ich kann einfach nicht anders. Immer wieder kehren die Bilder in meinen Kopf zurück und lassen mich das nicht vergessen. Ich wollte aus genau diesem Grund nie auf Kinderintensivstation arbeiten. Vor allem seit ich selbst ein Kind habe bin ich viel sensibler geworden mit allem was Kinder betrifft.
Eigentlich bräuchte ich jemanden zum Reden, aber mein Mann ist immer noch weg. Meine Mom liegt selbst im Krankenhaus und meine beste Freundin ist im Urlaub. In größeren Kliniken haben sie für solche Fälle Psychologen, die die Angestellten betreuen, aber bei uns gibts das nicht. Der diensthabende Arzt ist auch ganz fertig gewesen; seine Freundin ist in der 14. Woche schwanger.
Wir haben zwar untereinander versucht die Geschichte aufzuarbeiten, aber wir waren alle emotional zu erschüttert.
Danke fürs Durchhalten und dass ich das hier erzählen durfte. Mir geht es jetzt etwas besser und ich hoffe, dass ich die Bilder irgendwann aus meinem Kopf bekomme.
Passt gut auf Euere Zwerge auf! Fahrt nie alleine mit ihnen in ein Krankenhaus, wenn sie nicht ansprechbar sind oder sie sich wirklich schwer verletzt haben, sondern ruft immer den Rettungsdienst an! Wertvolle Zeit geht verloren, von der eventuell das Leben des Kindes abhängen kann, wenn sie nicht sofort versorgt werden. Der Rettungsdienst ist immer innerhalb von Minuten da. Kompetente Hilfe vor Ort ist einfach wichtiger als dass man irgendwie schnell ins Krankenhaus kommt.
LG Betsy
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
knuddelumarmung ganz feste. Ich kann mir vorsellen, wie es dir geht. Natürlich kann ich es nciht nachvollziehen, weil ich noch nie in der Situation war. Jedoch wird jede Mutter dies als das schlimmste empfinden, das es gibt.
Du solltest dir dringend einen Termin bei einem Therapeuten oder Psychologen holen, um das zu verarbeiten denn sonst sehe ich irgendwann deine berufliche Zukunft scheitern. Wenn du diese Bilder nciht aufarbeitest, gehst du irgendwann mit Angst eine ähnliche Situation noch einmal zu erleben arbeiten und irgendwann kommt vielleicht der Tag an dem du gar nicht mehr arbeiten möchtest/kannst aus Angst davor.
Geh also wirklich dringend zu so einem Gespräch.
Die WM ist ja zum Glück für dich bald vorbei und dann ist dein Mann wieder da. Bis dahin wünsch ich dir alles erdenklich Gute und hoffe du verarbeitest es schnell und gut.
VLG Jessy und Sean
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
ich weiss nicht was ich dazu sagen soll, habe Gaensehaut am ganzen Koerper und schon wieder Traenen in den Augen.
Gerade wenn man Kinder hat, ist man in solchen Situationen viel emotionaler als ohne. Weil man immer daran denkt es koennte das eigene sein. Das habe ich gesehen als mein Patenkind beerdigt wurde, die Kleine wurde nur anderthalb.
Fuehl Dich ganz arg gedrueckt und hoffentlich verschwinden die Bilder bald aus Deinem Kopf. GGGLG Sandra
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
GLG Nadine, die auch gerade Tränen in den Augen hat
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
es ist eine Geschichte die Gänsehaut der unangnehmen Sorte macht und ich kann verstehen, dass du daran zu knabbern hast auch wenn du eigentlich gelernt hast, fremdes Leid "professionell" abzulegen.
Reden und Schreiben sind wohl die wichtigsten Dinge um diese Art Erlebnisse zu verarbeiten. Deswegen schreib weiter, wenn grad niemand persönlich zuhören kann, hier findest du auf jedenfall offenen Ohren.
Wenn Kinder mit im Spiel sind, scheinen die normalen Schutzbarrieren nicht mehr so gut zu funktionieren, insbesondere wenn man selbst Kinder hat. Ich versuch mich dann immer auf den reinen Verstand - Sachebene zurückzuziehen und die Gefühle auszuschalten. Das klappt auch ganz gut - aber da bin ich nie in irgendwas involviert und sehe nicht die das Leidern der Eltern und ich glaube das ist das größte Problem - die Eltern leiden zu sehen.
Ich hoffe, dass dir reden und schreiben helfen und du dank deiner Erfahrungen diese Erlebniss gut verpackt irgenwo ablegen kannst.
Als Tammy auf Intensiv lag - wurde grad die Schwangerschaft einer Schwester dort bekannt - das stell ich mir auch sehr schwierig vor - wenn man jahrelang sieht, mit welchen Problemen die Kleinen auf die Welt kommen können, müssen das 9 schwere Monate sein. Da kann ich mir wirklich nicht vorstellen, das frau das einfach so wegpacken kann.
Liebe Grüße
Sandra
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
ich kann nachfühlen, wie sehr Dich das Erlebte belastet, mir wird allein beim Lesen Deines postings schon flau. Seit ich selbst ein Kind habe, bin ich bei allem, was Kinder betrifft, viel dünnhäutiger geworden. Man stellt sich eben immer das eigene Kind in einer solchen Situation vor.
Wir waren am Wochenende an einem Tag der offenen Tür in einem Kinderhospiz und ich war davon fix und fertig. Zum einen, weil mein Papa lange Zeit Palliativpatient war, zum anderen, weil ich immer unseren Jakob vor mir gesehen habe. Man macht sich gar nicht oft genug klar, welch ein großes Geschenk gesunde glückliche Kinder sind und wie dankbar man dafür sein muss.
Ich bewundere alle Menschen, die - so wie Du ja auch - täglich dieses Leid ertragen und immer wieder die Kraft finden, zu helfen. Ich komme mir immer ganz feige vor, weil ich es bis jetzt noch nicht geschafft habe, mich wenigstens ehrenamtlich für solche Sachen zu engagieren.
Nachdenkliche Grüße von palinuro
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
Es gibt wohl als Krankenschwester/pfleger doch immer mal wieder solche schlimmen Erlebnisse. Mein Papa hatte jetzt auch mal mit sich zu kämpfen. Da ist ein Mann im Alter von 35 Jahren an Krebs gestorben. Der Krebs ist ausgeblutet, also dem Mann kam aus Nase, Mund und Ohren Blut. Sowas hatte er noch nie gesehen.
Ich wünsch dir das du das ganze gut verarbeiten kannst. Vielleicht ist es wirklich besser wenn du dir Hilfe holst. Aber vorallem genieße die Zeit mit Silas. Ihm geht es gut und er braucht dich. Das hilft dir sicher auch. Wenn du willst können wir mal telefonieren. Gib einfach bescheid ja? Knuddel und liebe Grüße, Klaudi
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
da hast du ja wirklich die Alptraum-Situation schlechthin erlebt :-((
Ich denke, das ist etwas, was kaum jemand professionell "abschütteln" kann, außer man ist vielleicht schon total abgestumpft.
So was Extremes ist mir nie passiert (ich war allerdings auch nur kurze Zeit auf 2 Kinder-Intensiv-Stationen im Rahmen der Ausbildung), aber auch da gibt es Sachen, an die ich mich heute noch erinnere, auch wenn ich seelisch nicht so sehr daunter gelitten habe. Aber man denkt dennoch daran.
Vielleicht kannst du bei euch in der Gemeinde einen Ansprechpartner finden für ein wenig Seelsorge? Einfach nur noch mal zum Reden?
Ich wünsche dir, dass du über diese traurige Geschichte hin weg kommst - freue dich an deinem gesunden Kind und sei dankbar, dass du Silas hast. Ich rufe mir das auch immer wieder ins Gedächtnis, wie gut es mir geht mit meiner Maus, wenn sie mich vielleicht grad mal besonders nervt - dann kann ich ihr Gekasper viel besser ertragen, weil ich dann immer nur denke, wie froh ich bin, dass es sie gibt. Was ist da schon eine unruhige Nacht oder ein trotziges Geheule...
Ich denke an dich und drück dich mal ganz doll von Ferne. Bald ist die WM ja vorbei und dein Mann ist wieder für dich da - ihr seid im Endspurt :-) GLG, Nicole, die auch Tränen in den Augen hat, wenn sie an diese armen Eltern denkt...
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
nu bin ich doch am Heulen - und ich weiß leider auch nicht, wie ich Dich nun trösten kann. Ich meine Du weist selbst, ihr alle habt alles menschenmögliche getan - und trotzdem... Das mit dem Abschalten vom Job kenne ich nur zu gut - wenn wir hier "unangenehme" Ermittlungsakten und Strafsachen haben versuch ich auch immer diese nach Feierabend zu verdrängen - aber das kommt natürlich nie an Deine jetzigen Gefühle heran. Fühl Dich von mir gaaaaanz fest in den Arm genommen - und Deinen Tip werd ich mit Sicherheit beachten, wobei ich natürlich hoffe, dass ich ihn nie brauchen werde. Das mit dem Krankenwagen sagte mir schon Antonias TaMu, die die Geschichte mit der Schnelligkeit ja aus ihrer Tätigkeit aus dem KiGa kennt.
Mensch, mir tut die Mutter des Kleinen so leid -
Traurige Grüße,
Ute
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
Ich hoffe, Dir geht es mittlerweile wieder ein bisschen besser und Du konntest das Erlebte aus Deinem Alltag drängen. Ich denke als Mutter ist das aber eine schwere Sache, schließlich sind wir ja alle Menschen und keine Maschinen. Falls Dir das Ganze keine Ruhe lässt, so würde ich mich nochmal an jemanden wenden, mit dem Du alles aufarbeiten kannst, um das Geschehene abzulegen. Vergessen wird man solche Dinge wohl niemals, aber wenigstens bricht man nicht jedesmal in Tränen aus, wenn man daran denkt, sondern kann es als "verarbeitet" betrachten....hhm...ich hoffe, Du verstehst was ich meine, ist nicht leicht zu erklären.
Ich schicke Dir ganz viel Kraft, um mit dem ganzen umgehen zu können und ich denke der Gedanke an Dein gesundes fröhliches Kind wird Dir dabei helfen.
VLG Isa
Re: Ich hab momentan keinen zum Reden, deshalb...
ich bin seit Ewigkeiten mal wieder hier und habs erst jetzzt gelesen ...
Wie furchtbar !
Ich kann gut verstehen, wie sehr Dich das alles mitnimmt.
Und es ist einfach so, daß es einen sensibler und "zarter besaitet" macht, wenn man selber Kinder hat (genau DAS beschreibt der Spruch, der in meinem Profil steht).
Und es gibt einfach Bilder, die man nicht vergessen kann.
Aber sie verblassen (hoffentlich) mit der Zeit.
Wichtig ist, daß Du das Erlebte in irgendeiner Form aufarbeiten kannst. Und wenn es in Eurer Klinik keine Psychologen gibt, dann such Dir einen (privat).
Ich drück Dich virtuell ganz lieb ...
Mitfühlende Grüße
Moon
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