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Windeln und Wachstum, sehr langer Artikel:

Stand im ManagerMagazin.
Vielen deutschen Unternehmen mangelt es an Familienfreundlichkeit. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt begründet, warum sich ein Mentalitätswandel lohnt und nennt Vorzeigeunternehmer.
Von Martin Scheele
Was verstehen Sie unter einem familienfreundlichen Unternehmen?
Schmidt: Generell muss eine vernünftige Balance zwischen Familie und Beruf möglich werden. Dafür muss es familienfreundlichen Arbeitszeiten geben, Eltern muss während der Elternzeit der Kontakt zum Betrieb ermöglicht werden. Es muss Möglichkeiten geben, Kinder zu betreuen. Dies muss um Himmels willen nicht immer eine eigene Einrichtung sein, sondern kann auch durch die Vermittlung von Tagesmüttern geschehen. Ebenso gehören Telearbeitsplätze zur Familienfreundlichkeit dazu.
Die gesetzlichen Hürden einen Betriebskindergarten zu gründen, sind doch aber viel zu hoch!
Schmidt: So strenge Auflagen sind das nicht - aber sie sind von Land zu Land, teilweise von Kommune zu Kommune, unterschiedlich. Der Bundesgesetzgeber kann hier nicht aktiv werden - selbst wenn er wollte. Es gibt nach dem Geschmack von vielen Unternehmen - und ich kann das gut nachvollziehen - aber zu viele Vorschriften, auch weil versicherungsrechtliche Fragen eine wichtige Rolle spielen. Ich möchte aber mit einigen derer, die solche sehr detaillierten Vorschriften ausarbeiten - wie zum Beispiel die Brüstungshöhe der Treppengeländer oder der Abstand der Handtuchhalter - bald reden.
Einer Studie des WSI-Instituts zufolge sagen 70 Prozent der befragten Betriebsräte, dass in den vergangenen zwei Jahren in ihrem Betrieb nichts unternommen wurde, ein gleich hoher Anteil von Geschäftsführer gesteht dem Thema nur eine niedrige Priorität zu. Waren die letzten Jahre für die Katz?
Schmidt: Nein, sicher nicht. Die Untersuchungen, die ich mit den Arbeitgeberverbänden im Rahmen unser "Allianz für die Familie" gemacht habe, sind eine Art Momentaufnahme, die die jüngste Vergangenheit abbilden. Allerdings stimmt es, dass rund Zweidrittel der Unternehmer sagen, dass Familienfreundlichkeit nicht ihre Aufgabe ist.
Wie lautet die Begründung der Unternehmer, sich auf diesem Felde nicht zu engagieren?
Schmidt: Zuerst, dass man die Kosten scheut! Die meisten Unternehmen glauben, dass es nur um Kindergärten geht, und dass sie dafür nicht die Kompetenz haben. Um dem entgegen zu wirken, habe ich mit DIHK-Chef Ludwig Braun ein Heft für familienfreundliche Personalpolitik erarbeitet, das Möglichkeiten für familienfreundliche Maßnahmen jenseits von Kindergärten aufzeigt.
Es gibt aber auch Lichtblicke: Bei dem Unternehmenswettbewerb "Erfolgsfaktor Familie" machen dieses Jahr zwei- bis dreifache so viele Unternehmen mit als beim letzten Mal. Nicht zu vergessen sind auch die Lokalen Bündnisse für Familie, wo sich die Wirtschaft vor Ort in den Kommunen an einer Verbesserung der Situation für Familien beteiligt - erfolgreich: Inzwischen gibt es 117 Lokale Bündnisse, an 230 Standorten berät das von meinem Ministerium eingerichtete Servicebüro. Das heißt: In Städten und Kommunen mit rund 25 Millionen Einwohnern wird regelmäßig und kontinuierlich über die Wünsche und Belange von Familien geredet.
Kurz zu Ihrem Wettbewerb "Erfolgsfaktor Familie 2005". Der Bewerbungsschluss endet am 15. Dezember. Wie viele Bewerbungen sind bisher bei Ihnen eingegangen?
Schmidt: Die Beteiligung ist deutlich höher als beim letzten Mal. Darüber freue ich mich sehr. Es zeigt, dass der Wirtschaft die Bedeutung von familienfreundlicher Personalpolitik deutlich wird. Genaue Zahlen werde ich aber erst am Ende der Bewerbungsphase am 15. Dezember bekannt geben.
Ist der Wettbewerb, der ein Preisgeld von 10.000 Euro vorsieht, nicht nur eine reine Imagekampagne Ihrer Regierung?
Schmidt: Im Gegenteil: Er ist eine Imagekampagne für die Unternehmen, die ausgezeichnet werden. Denn Familienfreundlichkeit wird für Unternehmen wichtig werden - vor allem wenn sie qualifizierte Fachkräfte suchen und halten wollen.
Welches vorbildliche Beispiel eines familienfreundlichen Unternehmen fällt Ihnen ein?
Schmidt: Zum Beispiel den ITK-Dienstleister Komsa aus Chemnitz. Das ist ein Betrieb wie im Bilderbuch: Ein eigener Kindergarten, Frauen in Führungspositionen, sehr flexible Arbeitszeiten, Väter die ermutigt werden, sich um ihre Kinder zu kümmern. Und das Unternehmen expandiert! Familienfreundlichkeit gehört dort zur Unternehmenskultur.
Komsa in aller Ehren. Aber welches bundesweit bekannte, größere Unternehmen fällt Ihnen ein?
Schmidt: Die Voith AG...
...das Unternehmen von Noch-BDI-Chef Michael Rogowski...
Schmidt: ... hat sich zum Ziel gesetzt, Männern und Frauen im Betrieb die gleichen Chancen zu ermöglichen. Da gibt es zum Beispiel eine Vielzahl von Arbeitszeitmodellen, damit flexibel und unter Berücksichtigung familiärer Belange gearbeitet werden kann. Oder DaimlerChrysler mit seinem Lkw-Bau in Wörth, die dort eine Kinderbetreuung für Kinder unter 3 Jahre errichten. Die Führung hat erkannt, dass dies wichtig ist. Die Führungskräfte sehen diese Maßnahmen nicht als Sozial-Klimbim, die könnten im Bundestag meine Reden halten könnte.
Wie gefällt ihnen die Familienpolitik der größten deutschen Unternehmen, den Dax-Konzernen? Wer macht es besonders gut, welche sind verbesserungswürdig?
Schmidt: Ich kenne nicht jedes einzelne Dax-Unternehmen, deshalb kann ich nur von den Unternehmen sprechen, die ich kenne. Besonders engagiert ist zum Beispiel die Commerzbank , die als erstes Unternehmen in Deutschland eine Kindernotfallbetreuung eingerichtet hat. Aber auch andere Unternehmen wie etwa die Deutsche Telekom die Allianz oder Siemens legen großen Wert auf eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Welche Unterschiede lassen sich zwischen den Branchen feststellen?
Schmidt: Natürlich sind solche Maßnahmen in Dienstleistungsunternehmen teilweise leichter zu organisieren. Produktionsbetriebe haben es schwerer. Aber auch hier gibt es Ausnahmen von der Regel: Ich war am Dienstag bei Rasselstein, einer Tochter von ThyssenKrupp . Das ist ein Produktionsbetrieb mit überwiegend männlichen Angestellten, die Belegplätze in einer Kindertagesstätte haben und flexiblen Arbeitszeiten. Im Übrigen ist auch im Handwerk Familienfreundlichkeit ein Thema, wie ich im Gespräch mit Dieter Philipp, Präsident des Handwerksverbandes, erfahren habe.
Nun hat die Prognos-Studie ausgerechnet, dass sich familienfreundliche Maßnahmen für Unternehmen auch rechnen. Warum passiert dennoch so wenig?
Schmidt: Manche Unternehmenslenker glauben es einfach noch nicht und schätzen alles andere wichtiger ein. Das ist ein Fehlschluss. Ich prophezeie, dass die Unternehmen die Nase vorne haben, die sich die Mühe machen, familienfreundliche Maßnahmen auch umzusetzen. Das liegt daran, dass es in absehbarer Zeit schwierig wird, qualifizierte junge Mitarbeiter zu finden. Die werden sich nämlich auch danach entscheiden, welche Unternehmen was bieten und werden sich auch nach der Familienfreundlichkeit richten.
Was ist mit gesetzlichen Sanktionen, wenn sich nichts ändert?
Schmidt: Ich sehe in diesem Bereich keine Notwendigkeit, zusätzliche Gesetze zu verabschieden. Es wäre ein Unsinn, eine Vorschrift zu erlassen, nach der zum Beispiel Betriebe mit einer Größe von 500 Mitarbeitern einen Betriebskindergarten gründen müssen. Den Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung gibt es schon, der muss realisiert werden ab einer Betriebsgröße von 15 Beschäftigten. Ich kann auch keine Vorschrift erlassen zur Einrichtung von Telearbeitsplätzen. Ich sehe dagegen die Notwendigkeit, die Mentalitäten zu überzeugen. Und das ist das Bohren sehr dicker Bretter.
Was halten Sie von dem Vorschlag von Niedersachsen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die Teilzeitausbildungen in Gespräch brachte?
Schmidt: Ein guter Vorschlag. Insgesamt müssen wir uns sehr intensiv um die Ausbildung kümmern. Das ist allerdings Ländersache, der Bund kann hier kaum aktiv werden.
Sie planen, das Erziehungsgeld durch ein Elterngeld ersetzen, das sich am Gehalt orientiert.
Schmidt: Ja, denn wir haben heute folgende Situation: Das Erziehungsgeld beträgt höchstens 300 Euro monatlich, wenn man nicht die Einkommensgrenzen übersteigt. Das ist ein nach Bedürftigkeit orientiertes Erziehungsgeld für mittlere und untere Einkommensgruppen, um die materielle Lage in der ersten Zeit nach der Geburt eines Kindes abzufedern. Mir schwebt dagegen vor, ähnlich wie in den skandinavischen Ländern, ein Elterngeld zu schaffen, dass den oberen und mittleren Einkommensschichten nicht so einen herben Einkommensverlust beschert, wie derzeit.
Deshalb ist es mein Plan, ein einkommensbezogenes Erziehungsgeld für den Zeitraum von einem Jahr zu schaffen. Ich denke an eine Größenordnung in der Höhe von rund Zweidrittel des letzten Nettoeinkommens bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Die Umsetzung wird frühestens in der nächsten Legislaturperiode möglich sein, Anfang 2006 werde ich ein Konzept vorlegen.
Warum dauert das so lange?
Schmidt: Weil wir im Moment erst mal ein realisierbares Konzept erarbeiten und zuerst die Kinderbetreuung, vor alle für die unter Dreijährigen, ausbauen müssen. Es macht ja keinen Sinn, für ein Jahr ein lohnbezogenes Elterngeld zu zahlen und anschließend zu merken, dass es keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten gibt.
Müssen Sie nicht bei Gewerkschaften noch mehr die Werbetrommel rühren für Ihre Politikvorstellungen?
Schmidt: Da sind wir auch dabei. Ich habe mit Michael Sommer ein Seminar für Betriebsräte gemacht, dass die Familienfreundlichkeit im Betrieb zum Thema hatte. Der DGB will das in den Betriebsräteschulungen anregen. Es ist hier notwendig etwas zu tun, damit auch Betriebsräte sich verändern.
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