Ihr Lieben,
Vorsicht lang, wie man hier zu sagen pflegt- und wer trotzdem etwas von mir lesen möchte, der darf ein wenig aus meinem Näh-, besser Cellokästchen hören.
Schon als Kind habe ich es geliebt, in den Fotoalben zu blättern, die mein Vater für uns angelegt hatte. Bereits damals hatten meine Schwester und ich eine Beziehung zu den Bildern aufgebaut. Mein Vater hatte eine eigene Dunkelkammer -und viele Jahre später standen mein Vater und ich zusammen darin. Ich fotografiere immer noch gerne.
Es wird wohl kaum Familien geben, in denen nicht fotografiert wird, und viele filmen ihr Kinder auch. Aber habt Ihr mal an die Geräusche gedacht, die die Welt Eurer Babys ausmachen? Geräusche, die es selber produziert, aber auch Geräusche, die es immer wieder hört. Vielleicht mag es uns in unserem Musikerhaushalt auch besonders nahe liegen, und wir haben auch ein geeignetes Aufnahmegerät zur Hand. Die Idee kam mir, als mein Mann mir erzählte, dass er eines Tages eine Kassette aus seinem Elternhaus gehört hat. Darauf waren die Eltern zu hören, wie sie mit Freunden Streichquartett spielen - das war die Intention der Aufnahme. Aber im Hintergrund konnte man auf einmal mitbekommen, dass er und sein Bruder einen Streit hatten. Die Aufnahme endete damit, dass sein kleiner Bruder ins Zimmer kam und sich mit seiner Kinderstimme bei den Eltern beschwerte! Mein Mann hat sich bei der Entdeckung damals so über die Kinderstimme seines Bruders gefreut.
Ich mache daher häufig Tonaufnahmen von Lovis' sich inzwischen ständig verändernden Lauten, und mit der Zeit bin ich auch dazu übergegangen, ganze Szenen aufzunehmen, z.B. eine Still-Session mit allem Drum und Dran, dem Geheule beim Seitenwechsel, den Schluckgeräuschen und dem Bäuerchen, oder einen Windelwechsel, begleitet von den unterschiedlichsten Kommentaren von uns beiden. Aufgeregte Atemgeräusche. Und dann natürlich Spielgeräusche, große Verzweiflungsarien von ihrer Entstehung bis zur Beruhigung. Zu-Bett-geh-Rituale. Das erste laute Gelächter. Oder meinen Mann, der gerade für die Generalprobe der Oper Wozzek heute abend übt, dabei von Lovis an der Holzrassel begleitet wird, ergänzt durch herzerfrischende Begeisterungsjuchzer unseres Babys bei den hohen Stellen.
Mir ist erst mit der Zeit bewusst geworden, dass die Geräusche um Lovis herum ja auch etwas von den Umständen seines Lebens erzählen, und eines Tages ein Anknüpfungspunkt für weiterführende Erzählungen aus seiner Kindheit sein können. Was ist das für ein Stück, was Papa da spielt? Warum hat er das damals gespielt? Mit wem?
Es gibt jetzt schon Aufnahmen von Geräuschen, die es bereits gar nicht mehr gibt, so z.B. das Tragetuchgeschnuffel von Lovis aus seinem zweiten Lebensmonat. Und es wird nicht lange dauern, da werden auch ä-röö und öh-wä der Vergangenheit angehören.
Ich habe vor, CDs zu brennen mit Zusammenstellungen der Geräusche von Lovis' Kindheit, und dazu gibt es ein Booklet mit kurzen, dazugehörigen Situationsbeschreibungen. Ich mag diese Dokumentation unglaublich gerne neben den Fotoalben, den Digitalfotoarchiven und dem Tagebuch, das mein Mann und ich gemeinsam über Lovis' Babyzeit führen.
So, genug erzählt für heute, liebe Grüße, Eure Tini