Geklaut aus dem LZS-Forum
"Aber vielleicht kann ich meine Ernährung verbessern, indem ich darüber nachdenke.
Antwort: Nein, mit dem Nachdenken beginnen erst die Probleme."
Ist doch wie der Stress beim Stillen und der Beikost. *ggg*
LG Uta
Hier der (lange) Text:
«Diäten machen dick. Und krank»
Von Mathias Plüss und Beatrice Schlag
Würde der Mensch auf seinen Körper hören statt auf Ernährungsexperten, ginge es beiden besser. Nichts essen, was ihm nicht bekommt, und sei es noch so gesund! ? rät der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Darf?s etwas mehr sein? Bitte.
«Wer anfängt, über seinen Gang nachzudenken, wird garantiert stolpern»: Kopf- und Bauchmensch Pollmer. (Bild: Boris Schmalenberger)
Herr Pollmer, Sie haben vorhin beim Essen den Salat verschmäht. Warum?
Ich bin kein Freund von, nun ja, Laubwerk. Ein Kopfsalat entspricht ernährungsphysiologisch etwa einem Papiertaschentuch und einem Glas Wasser. Ich esse lieber etwas Nahrhaftes.
Warum essen Frauen mehr Salat als Männer?
Eine spekulative Antwort: Man hat im Salat opiumähnliche Substanzen entdeckt ? also Stoffe, die antörnen. Salatessen wäre demnach für Frauen eine unverdächtige Methode, die Stimmung aufzuhellen. Männer haben dafür ja das Bier. Hopfen ist botanisch der nächste Verwandte von Haschisch.
Sie sind eine imposante Erscheinung. Wie viele Diäten haben Sie schon hinter sich?
Gar keine. In der Tat hat sich mein Gewicht in den letzten zehn Jahren deutlich verändert ? früher war ich eher der sportliche Typ. Die Menschen ändern sich halt. Aber ich bin sowieso je länger, je mehr der Überzeugung, dass Gewichtsfragen herzlich wenig mit dem Essen zu tun haben.
Wie bitte?
Es gibt einen einfachen Beleg dafür: Wenn Essen dafür verantwortlich wäre, dass man dicker wird, dann müssten die ernährungstechnischen Ratschläge der letzten fünfzig Jahre, die von Millionen Menschen ausprobiert worden sind, doch wirksam gewesen sein. Aber wir sehen genau das Gegenteil. Es hat nichts funktioniert.
Vielleicht, weil sich die Menschen zu wenig strikt an die Ratschläge gehalten haben?
Gerade umgekehrt: Die Tipps der Ernährungsberater haben zu einem grossen Teil dazu beigetragen, dass beispielsweise in den USA die Zahl der Fettleibigen stark zugenommen hat.
Eine ziemlich kühne Behauptung.
Es mag zugegebenermassen paradox klingen. Aber in den USA macht sich inzwischen selbst bei den offiziellen Stellen die Einsicht breit, dass die Zunahme von Fettleibigkeit eine Folge ihrer jahrzehntelangen massiven Low-Fat-Kampagne war.
Weniger Fett macht fetter?
Darum geht es nicht. Es geht darum, dass jeglicher Versuch, den Bauch mit dem Kopf zu steuern, von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Meist führt das sogar noch zu grösserer Gewichtszunahme als gedankenloses Futtern. Man kann es nicht deutlich genug sagen: Diäten machen dick. Wir erfahren es immer wieder, und immer wieder glauben es die Leute nicht und meinen, wenn sie eine Diät machen, werde es funktionieren. Viele Studien belegen: Wenn eine Gruppe von Leuten ihre Nahrungszufuhr begrenzt und ganz bewusst gegen den eigenen Appetit kämpft, dann sind diese Leute im Durchschnitt ein Jahr später dicker, als wenn sie die Diät nicht gemacht hätten.
Wieso machen Diäten dick?
Eine Diät bedeutet für den Körper eine Hungersnot. Er fährt den Energieverbrauch runter und nutzt jedes bisschen Nahrung bis aufs Letzte aus. Deshalb nimmt man zwar zu Beginn einer Diät ab, aber nach einer Woche hat der Körper den Trick raus und steuert dagegen. Sobald der enttäuschte Kunde wieder normal isst, kehrt er dank der optimierten Futterverwertung rasch zum Ausgangsgewicht zurück. Ab der zweiten oder dritten Diät kommt es dann zum berühmten Jo-Jo-Effekt: Für den Körper handelt es sich um ein Zeitalter mit massiven Hungersnöten ? darum legt er sich nach jeder Diät ein zusätzliches Reservepolster zu, der Gewichtsverlust wird überkompensiert. Gegen diese Überlebensstrategie des Körpers sind wir machtlos.
Aber damit können Sie doch nicht erklären, wieso in der Schweiz mittlerweile jedes fünfte Kind übergewichtig ist.
Das sind doch bloss Normen! Diese Zahlen können Sie beliebig manipulieren, indem Sie die Definition ändern. Früher hat man die Körpergrösse in Zentimetern minus hundert gerechnet, um das Normalgewicht zu bestimmen. Später musste man davon noch zehn Prozent abziehen, dann zwanzig. Inzwischen redet alles vom Body-Mass-Index. Aber ob ein Kind wirklich übergewichtig ist, kann ich doch nicht durch Multiplizieren von ein paar Zahlen herausfinden.
Ist es nicht offensichtlich, dass unsere Kinder immer dicker werden?
Kürzlich habe ich in einem vielleicht zwanzig Jahre alten Schweizer Kinderbuch geblättert. Da war ein Foto eines Mädchens drin, und ich dachte: So ein dickes Kind habe ich schon lange nicht mehr gesehen in einem Buch. Damals galt das noch als normal und wünschenswert. Vor noch nicht allzu langer Zeit hat man die dünnen Kinder ? die heute als ideal gelten ? ja noch zu Mastkuren aufs Land geschickt. Aber heute dürfte man dieses Kind aus dem Buch nirgends mehr abbilden, weil es bereits als zu dick gilt. Auch die Leute, die wir im Fernsehen zu sehen bekommen, werden immer dünner. Diesen Sommer habe ich in einer Zeitung ein Bild aus einem Schwimmbad gesehen, wo man allen festeren Kindern einen Balken über die Augen gemacht hatte. Wie im Verbrecheralbum.
Werden die Kinder nun dicker oder nicht?
In den letzten Jahren hat sich das Durchschnittsgewicht zumindest der deutschen Kinder nicht geändert. Auch die Anteile der dünnen, durchschnittlichen und dicken Kindern sind im Grossen und Ganzen seit vierzig Jahren gleich. Allerdings werden seit 1997 die Dicken immer dicker ? darum «sieht» man immer mehr Dicke. Interessanterweise fällt das genau zusammen mit dem Beginn der Abspeck-Kampagnen für Kinder. Da haben Sie?s wieder: Diäten machen dick.
Wie würden denn Sie gegen die Fettleibigkeit vorgehen?
Wissen Sie, natürlich gibt es dicke Kinder. Aber die erste Reaktion kann doch nicht sein: Die müssen wir jetzt schlank bekommen. Es gibt auch grosse Kinder ? da ist doch die Reaktion auch nicht: Die müssen wir jetzt kürzer machen. Auch wenn es eine Reihe von Krankheiten gibt, die bei langen Menschen häufiger auftreten als bei kurzen. Sondern man muss zuerst fragen, warum das so ist.
Ja, warum?
Menschen gibt es in allen Grössen, Farben und Formen. Manche sind von Natur aus dürr ? andere sind halt ein bisschen pummelig, aber biologisch komplett gesund. Wenn Sie so ein Kind auf sogenanntes Normalgewicht trimmen, dann ist das übelste Form von Misshandlung.
Aber es gibt auch solche, die entgegen ihrer Veranlagung dick sind.
Ja. Bei diesen finden Sie in vielen Fällen familiäre Probleme. Da kann es schon sein, dass das Kind aus Frust viel isst, aber das primäre Problem ist der Frust und nicht das Essen. Ich kann doch einem solchen Kind nicht einen Diätplan in die Hand drücken! Es braucht eine gehörige Portion Naivität, zu glauben, man könne einem Heranwachsenden das Essen streichen und der werde dann schlank. Viel wahrscheinlicher ist, dass er dick bleibt, aber nicht mehr gescheit weiterwächst. Das ist übrigens nur eine von vielen möglichen Nebenwirkungen von Diäten.
Nennen Sie weitere!
Bei Erwachsenen zum Beispiel Gallenstein, Diabetes, Osteoporose und Herzinfarkt. Eigentlich müsste man Frauenzeitschriften im Frühling stets mit dem Hinweis «Abnehmen gefährdet Ihre Gesundheit» versehen.
Moment ? wir hatten gemeint, gerade Fettleibige hätten ein erhöhtes Herzrisiko?
Das stimmt. Aber es steigt noch mehr, wenn sie abnehmen. Ein abgehungerter Dicker ist eben etwas anderes als ein von Natur aus Schlanker ? ein abgemagerter Mops rennt ja auch nicht plötzlich wie ein Windhund. Wer Diäten macht, hat ein erhöhtes Herzinfarktrisiko und eine geringere Lebenserwartung. Und zwar unabhängig davon, ob er das tiefere Gewicht hält oder nicht. Die schlimmste Nebenwirkung von Diätkampagnen ist allerdings die Essstörung. Bei Jugendlichen erhöht eine strenge Diät das Risiko, eine Essstörung zu entwickeln, um das Achtzehnfache.
Sie sprechen von Magersucht?
Ich spreche von Magersucht und Ess-Brech-Sucht. Damit Sie eine Idee von der Grössenordnung haben: In deutschen Grossstädten zeigen inzwischen 15 Prozent der pubertierenden Mädchen Symptome einer Essstörung ? also etwa exzessive Hungerkuren, Erbrechen oder Einnahme von Entwässerungsmitteln. Das ist ungeheuerlich, weil viele von ihnen schwere körperliche und seelische Schäden davontragen und einige Fälle auch tödlich enden werden. Und die Zahlen steigen. Mit der «five a day»-Kampagne werden wir diese Rate locker auf 25 oder 30 Prozent hochtreiben. Die Mädchen können Sie ja relativ einfach verrückt machen: indem Sie ihnen sagen, wenn sie weiter so essen wie bisher, dann sähen sie nachher aus wie Mama.
Was ist das für eine Kampagne?
Fünfmal am Tag Obst und Gemüse. Das wird jetzt in Deutschland schon in den Kindergärten propagiert. Bis dato waren die jüngsten Essgestörten in den Kliniken zehn Jahre alt. Ein halbes Jahr nach Beginn der Kampagne haben wir nun bereits Vierjährige mit Essstörungen.
Den Zusammenhang zwischen Ernährungskampagne und Magersucht müssen Sie uns noch genauer erklären.
Nun, die erste Folge der Kampagnen ist das Rauchen, das bei jungen Mädchen stark zugenommen hat. Mit Zigaretten ist es relativ einfach, das Gewicht zu kontrollieren. Essstörungen sind schon viel gravierender: Wenn Sie den Körper genug oft und lange Stress aussetzen, zum Beispiel durch Hungern, gerät der Hormonhaushalt durcheinander ? es werden körpereigene Drogen ausgeschüttet. Der Betroffene gerät dann in eine Euphorie hinein, und die will er natürlich immer wieder haben. Darum muss er immer weiter hungern oder kotzen. Und der Königsweg zur Erzeugung von Drogen im Körper ist genau die Kombination von Diät mit Ausdauersport, wie sie stets propagiert wird. Mit den heutigen Massnahmen treiben wir die Kinder also geradewegs in die Essstörungen hinein.
Wenn sie so schädlich sind ? warum werden überhaupt Ernährungskampagnen gemacht?
Wissen Sie, die Ernährung ist heute zur Religion geworden. Früher lauerte die Sünde hinter der Schlafzimmertür ? heute lauert sie hinter der Kühlschranktür. Der Glaube an das Heil durch angeblich gesunde Ernährung ist zum identitätsstiftenden Bekenntnis geworden. Wenn Sie daran zweifeln, rufen Sie genauso ungläubiges Staunen hervor wie noch vor zwei Generationen durch Zweifel an der Jungfrauengeburt. Aber letztlich stecken dahinter natürlich die Interessen einer Gruppe von Menschen, die durch ihr Geheimwissen Macht ausübt. Früher war das die Kirche, nun sind es die Ernährungspäpste.
Ein harter Vorwurf. Immerhin basieren die Ernährungsempfehlungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Falsch. Wenn ein Experte behaupten würde, er habe herausgefunden, dass die Schuhgrösse 27 die gesündeste sei, und darum müssten jetzt alle Schuhgrösse 27 tragen, würde man ihn für verrückt halten. Aber wenn ein Experte irgendeine Ernährungsweise für gesund erklärt, dann glauben alle, sie müssten das jetzt nachmachen. Dabei sind die Unterschiede in der Verdauungsphysiologie noch viel grösser als bei der Fusslänge. Jeder verträgt gewisse Nahrungsmittel besser oder schlechter, das ist sehr individuell. Wenn also eine allgemein gültige Ernährung propagiert wird, handelt es sich a priori um Scharlatanerie ? egal, wie viele Professoren Mittäter sind.
Uns fällt auch auf, dass die Ratschläge alle paar Jahre ändern.
Genau. Offenbar wandelt sich der Verdauungstrakt des Menschen ständig : Vor zwanzig Jahren sollte er viel Fleisch und wenig Gemüse essen ? er hatte also den Verdauungstrakt eines Marders. Dann kam die Phase, wo er den Magen eines Huhnes hatte, um all die empfohlenen Körnchen verdauen zu können. Heute liegt im Verzehr von viel rohem Obst und Gemüse das Heil, und der Mensch hat demnach den Verdauungstrakt eines Schafes bekommen. Der renommierte deutsche Professor Hans Konrad Biesalski sagte über die Ernährungswissenschaften: «Die meisten Aussagen können lediglich als vorwissenschaftliche Erkenntnis angesehen wer-den.» -Willkommen im Mittelalter!
Gibt es denn überhaupt keinen Ernährungsratschlag, an den wir uns halten können?
Doch: Essen Sie nichts, was Ihnen nicht bekommt, und sei es noch so gesund!
Wie findet der Mensch heraus, was für ihn gut ist?
Indem er nicht darüber nachdenkt. Der Körper regelt das für ihn.
Aber vielleicht kann ich meine Ernährung verbessern, indem ich darüber nachdenke.
Nein, mit dem Nachdenken beginnen erst die Probleme. Beginnen Sie über Ihren Gang nachzudenken, werden Sie garantiert stolpern. Der Versuch, seinem Körper Dinge vorzuschreiben, die dieser autonom erledigt, geht meistens schief. Ein Beispiel: Viele Menschen glauben, sie brauchten bloss den Zucker durch Süssstoff zu ersetzen und schon hätten sie die Kalorienzufuhr reduziert. Der Verdauungstrakt, dieses doofe Abflussrohr, der merkt das ja eh nicht. Aber der Verdauungstrakt ist kein Abflussrohr ? der lässt sich nicht so leicht übertölpeln.
Haben Süssstoffe etwa nicht weniger Kalorien als Zucker?
Doch. Aber die Dinge sind eben nicht so einfach. Sobald die Zunge etwas Süsses registriert, hat der Körper die Erwartung, dass er jetzt Zucker bekommt. Darum schüttet er innerhalb von neunzig Sekunden etwas Insulin aus. Wenn dann aber kein Zucker kommt, weil?s bloss Süssstoff war, macht sich das Insulin über den Restzucker her, den es im Blut noch vorfindet. Dann sinkt der Blutzuckerspiegel, und Sie bekommen einen Hunger, der viel stärker ist, als wenn Sie statt des Light-Produkts gar nichts gegessen hätten. Im Endeffekt nehmen Sie mehr Kalorien zu sich. Das ist auch der Grund, wieso genau die gleichen Süssstoffe, die beim Menschen als Schlankmacher angepriesen werden, seit über zehn Jahren als Masthilfsmittel für Schweine zugelassen sind. Können Sie in der Futtermittelverordnung der EU nachlesen.
Kann man sich auf seinen Appetit verlassen?
Natürlich. Jedes Lebewesen verlässt sich darauf, und der Mensch hat sich jahrtausendelang darauf verlassen. Erst seit wir im Überfluss leben, glauben wir, die Ernährung steuern zu müssen.
Mittlerweile sollen wir drei Liter Wasser am Tag trinken. Wir haben das Gefühl, dabei zu ersaufen.
Das ist ein schönes Beispiel, wie man mit gut gemeinten Ratschlägen einen Menschen umbringen kann. Diese Empfehlung hat nämlich schon etliche Todesfälle verursacht ? vor allem bei Kleinkindern.
Wie kann man an Wasser sterben?
Der Körper braucht nicht nur Flüssigkeit, er braucht auch Natrium, also Salz, damit er das Wasser wieder ausscheiden kann. Wenn Sie nun sehr viel trinken und kaum Salz essen, können Sie kaum noch pinkeln. Das bisschen Natrium, was der Körper noch hat, verlagert er nun in die Zellen. Fatalerweise interpretieren das die Volumenrezeptoren in den Zellen als Wassermangel, und Sie bekommen Durst und trinken noch mehr. In Wahrheit haben Sie aber einen Wasserüberschuss ? eine Wasservergiftung. In der Folge kann es zu tödlichen Gehirn- und Lungenödemen kommen.
Warum trifft es vor allem Kleinkinder?
Weil die den ganzen Tag an ihren Schoppen nuckeln. So lautet ja die Empfehlung: Möglichst viel trinken, möglichst natriumarme Fruchtsäfte. Manche Kinder ernähren sich fast nur von Saft. Dadurch haben sie erstens zu viel Wasser und zweitens zu wenig Salz, weil man Salz fast nur über feste Nahrung zu sich nehmen kann. Manche glauben gar, das sei gesund, weil Salz soll ja gefährlich sein.
Wir ahnen schon, dass dem nicht so ist.
Die ganze Geschichte hat sich vor wenigen Jahren als Ente entpuppt. Selbst die oberste Gesundheitsbehörde der USA gestand ein, dass sie die Warnung vor Salz ohne wissenschaftliche Basis verbreitet hatte.
Etwas verwirrt sind wir auch beim Alkohol. Ist er nun gut oder nicht?
Es hat sich gezeigt, dass der regelmässige moderate Konsum jeglicher Form von Alkohol im Durchschnitt mit einer höheren Lebenserwartung verbunden ist.
Dann würden Sie also Alkoholkonsum empfehlen?
Ich mache generell keine Empfehlungen. Wenn Weintrinker eine grössere Lebenserwartung haben, heisst das noch lange nicht, dass auch Abstinenzler länger lebten, wenn man sie zum Alkohol zwänge.
Wie kommt die positive Wirkung von Alkohol zustande?
Bekanntlich arbeitet ja die Naturheilmedizin mit pflanzlichen Heilmitteln. Diese werden normalerweise als alkoholischer Extrakt gegeben, weil die Wirkstoffe in Wasser nicht löslich sind. Meine Vermutung ist nun, dass Alkohol beim Essen oder danach wichtige Stoffe verfügbar macht ? ja dass gewisse Spurenstoffe in der Nahrung dem Körper überhaupt erst dank des Alkohols zugänglich sind. Darum auch die Betonung des regelmässigen und moderaten Konsums. Sich ab und zu betrinken ist hingegen kontraproduktiv.
Warum isst der Mensch die Dinge, die er isst?
Intuitiv würde man wohl antworten: weil sie ihm schmecken. Nun gibt es aber zwei Beobachtungen, die dem widersprechen. Zum einen verschwinden neun von zehn neuen Produkten innerhalb eines Jahres wieder vom Markt, obwohl man sie nach allen Regeln der Kunst geschmacklich optimiert und getestet hat. Zum andern gibt es viele Nahrungsmittel, Bier zum Beispiel oder Kaffee, die beim ersten Mal scheusslich schmecken, beim zehnten Mal bestenfalls neutral, ab dem hundertsten Mal aber unverzichtbar sind, obwohl der Geschmack, objektiv gesehen, immer noch derselbe ist.
Wollen Sie damit behaupten, dass zwischen dem, was uns schmeckt, und dem, was wir essen, gar kein Zusammenhang besteht?
Genau. Wenn man Ratten die Geschmacks- und Geruchsnerven chirurgisch durchtrennt, fressen sie immer noch genau das, was sie physiologisch brauchen. Geruch und Geschmack sind bloss Indikatoren, die dem Bauch anzeigen, welche Stoffe er als Nächstes zu verdauen hat. Aber die Steuerung darüber, was und wie viel wir zu uns nehmen, geschieht in einem Organ tief in unserem Körper drinnen, im sogenannten Darmhirn.
Darmhirn? Sollte unser Bauch tatsächlich denken können?
Man darf sich das nicht wie ein Gehirn vorstellen, eher wie ein Nervenzellengeflecht wie das Rückenmark. Nicht wahr, beim Essen tanken wir keineswegs bloss Energie ? sondern wir beziehen aus der Nahrung die Stoffe für die Regeneration des Körpers. Denn der Körper ist in ständigem Umbau begriffen, alle paar Jahre erneuern sich sämtliche Zellen. Dieser komplexe Prozess muss genau gesteuert werden, und das geschieht im Darmhirn. Übrigens ist das Darmhirn entwicklungsgeschichtlich älter als das Kopfhirn ? deshalb setzt es sich bei Appetitfragen auch meistens durch. Evolutionsbiologisch gesehen, ist das Gehirn eine Ausstülpung des Darmes.
Warum hat unser Darmhirn so selten Lust auf Vollkornbrot und Frischkornbrei?
Weil diese Dinge bei übermässigem Verzehr zu nachhaltigen Schäden führen können.
Wie das?
Das hängt damit zusammen, dass kein Lebewesen gern gefressen wird. Darum wehren sich Pflanzen mit Dornen oder Spelzen oder Giften vor Frassfeinden. Damit Getreide für uns bekömmlich ist, müssen die darin enthaltenen Abwehrstoffe entfernt werden ? das ist der Sinn des jahrtausendealten Müller- und Bäckerhandwerks. Die Verarbeitungsmethoden sind bei allen Getreidesorten seit Menschengedenken dieselben, und zwar in allen Kulturen: Hafer wird entspelzt und dann als Brei oder Flocke genutzt. Aus Weizen macht man Weissmehl und fermentiert und verbäckt es. Roggen wird gemahlen, versäuert und dann gebacken. Gerste wird seit 5000 Jahren zu Bier verbraut. Diese Techniken haben einen Sinn. Wenn der Frischkornbrei die ideale Nahrungsform wäre, hätte die Menschheit seit Jahrtausenden ungeheure Ressourcen verschwendet.
Warum sollten diese Techniken nicht auch mit Vollkornmehl funktionieren?
Beim Roggen geht es ja, da bekommen Sie mit dem herkömmlichen Sauerteig die meisten unerwünschten Abwehrstoffe weg. Allerdings haben wir heute einen Trend zum weniger bekömmlichen Kunstsauer, weil vielen Bäckern ihr traditionelles Handwerk zu umständlich ist.
Und beim Weizen?
Beim Weizen funktioniert die Versäuerungstechnik nicht so gut ? darum muss man die Kleie entfernen, denn da sitzen die unerwünschten Stoffe drin. Zum Beispiel das Weizenkeimlektin, das ungehindert durch die Darmwand hindurchgeht und etwa die Bauchspeicheldrüse angreift. Weizenkeimlektin gehört zu den schädlichsten Stoffen, die in der Nahrung drin sind. Die Menschheit hat es immer entfernt, indem sie den Weizen zu Weissmehl verarbeitete. Bis die Ernährungsfachleute gekommen sind und behauptet haben, Vollkorn sei gesünder.
Immerhin ist Vollkorn nahrhafter als Weissbrot.
Auch das ist eine Legende. Weissbrot vermögen wir vollständig in Energie umzusetzen. Im Vollkornbrot aber sind Stoffe drin, die dafür sorgen, dass Sie nur etwa die Hälfte der Stärke verdauen können. Die andere Hälfte gelangt als unverdauter Brei in den Dickdarm, wo sich Mikroben mit Begeisterung darüber hermachen. Sie bauen nun die Stärke zu Traubenzucker ab und verarbeiten diesen weiter zu allerlei reizvollen Abgasen und Fuselalkoholen. Auf diese Weise hat der Vollwertköstler eine hübsche Zuckerfabrik in seinem Darm, die bei dauerhaftem Vollkornabusus zu gesundheitlichen Schäden führt wie etwa Darmverpilzungen.
Warum verarbeitet der Mensch als einziges Lebewesen seine Nahrung vor dem Verzehr?
Weil er dadurch Zeit und Energie gewinnt ? ein entscheidender evolutionärer Vorteil. Menschenaffen zum Beispiel verbringen den grössten Teil des Tages damit, Nahrung zu suchen, zu essen und zu verdauen. Für den Affen ist das Verdauen eine derart anstrengende und energieintensive Arbeit, dass er daneben keiner anderen Tätigkeit nachgehen kann. Wir hingegen können arbeiten und verdauen nebenher. Dank der Lebensmittelverarbeitung ist es uns gelungen, Verdaulichkeit und Nährwert unserer Nahrung zu erhöhen ? deshalb ist unser Verdauungstrakt einfacher gebaut als bei Affen. Und mit der schnell verfügbaren Energie treiben wir unsere riesigen Gehirne an. Wenn die Ernährungsfachleute uns die Rückkehr zu Körnern und Rohkost empfehlen, dann sollen sie bitte mit gutem Beispiel vorangehen und ihr Grosshirn gegen zwei Meter Dickdarm eintauschen.
Die Nahrungsmittelverarbeitung als Motor der Evolution?
Genau. Das sehen Sie auch in der Kultur: Die beeindruckendsten kulturellen Leistungen sind in Gegenden erbracht worden, wo leicht verdauliche Nahrung zur Verfügung stand und die Lebensmittelverarbeitung weit fortgeschritten war. Die Küche ist für die Evolution des Menschen genauso wichtig wie etwa die Sprache. Aber weil die Küchenarbeit von Frauen gemacht wurde, galt sie als minderwertig. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass die Frauen zurück an den Herd gehören. Aber wir müssen dafür sorgen, dass unser küchentechnisches Know-how nicht verloren geht, dass diese uralten Kulturtechniken weitergegeben werden.
Wo soll das geschehen, wenn nicht am heimischen Herd?
In Fabriken.
Sie scherzen. Es gibt doch nichts Grauenvolleres als Fabrik-Food.
Das Problem ist, dass viele Hersteller ständig an den Rezepturen herumdrehen, um sie billiger hinzubekommen. Am Schluss sieht das Produkt gleich aus und schmeckt gleich wie ein herkömmliches, aber die Bekömmlichkeit sinkt.
Eben.
Das muss aber nicht so sein. Genau mit dieser Frage sollte sich die Lebensmittelwissenschaft auseinander setzen: Wie können wir Nahrungsmittel grosstechnisch so herstellen, dass sie einer haushaltsmässig zubereiteten Mahlzeit gleichwertig sind ? ohne faule Tricks? Das ist für unsere Gesundheit ein viel wichtigeres Anliegen als die ewige Frage, was wir essen sollen.
Gibt es ein Produkt, vor dem Sie explizit warnen?
Ja. Ich warne vor allen Lebensmitteln, aus denen man etwas fürchterlich Gefährliches herausgefischt und in die man etwas fürchterlich Gesundes hineingewurstelt hat.
Hammer
Na fein zu lesen......somit mache ich wohl keine Diät nächstes Jahr ;-)
Iss ja Hammer...
Danke für diesen Beitrag
LG Sera
Naja
Zumindest vernünftig damit umgehen. Hat nicht neulich eine von einem Kind erzählt, das mit unter einm Jahr 20kg wog, weil es sich nur von Fastfood ernährte?
Dass das falsch ist, würde der Typ sicher auch finden, aber dass seine Ansichten, und vor allem die populistische Art der Formulierung, leicht von solchen Eltern als Argument missverstanden und missbraucht werden können, sehe ich als echte Gefahr.
Ich fände es sinnvoller, wenn man weniger emotional ein paar Fakten oder Studien aufzählen würde und dabei auch, wie diese zustande gekommen sind.
Mir missfällt weniger der Inhalt als der Tonfall, der geradezu dazu einlädt, stammtischhaft auf den Tisch zu hauen und zu sagen "na bitte!".
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