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Gefühlsstarke Kinder

High Need Baby: Haben wir ein 24-Stunden-Kind?

Zeit, Nähe, Zuwendung: Besonders bedürfnisstarke Babys, englisch High Need Babys genannt, brauchen von allem mehr – bis auf Schlaf. Für Eltern ist diese Kombination eine nervliche Zerreißprobe. Die schlechte Nachricht vorweg: „high need“ zu sein, wächst sich nach dem Babyalter nicht unbedingt aus. Es gibt aber auch eine Reihe von Vorteilen, wenn das Kind sehr reizoffen ist.

Papa mit Neugeborenem
© GettyImages/Catherine Delahaye

Als High Need Babys bezeichnet man Säuglinge, die ausgesprochen viel Zuwendung brauchen und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse sehr lautstark einfordern. Im Unterschied zu Schreibabys (früher irrtümlicherweise Kolikbabys genannt) hält das häufige Weinen bei High-Need-Kindern jedoch weit über die ersten drei bis sechs Lebensmonate und sogar das Babyjahr hinaus an und tritt nicht (nur) verstärkt in den Abendstunden auf.

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High Need Baby: An diesen Anzeichen erkennen Sie es

Was es heißt, ein High Need Baby zu haben

Insgesamt schlafen High Need Babys schlecht und wachen häufig auf, in manchen Fällen nach jeder Schlafphase. Schon beim Einschlafen brauchen sie ein hohes Maß an Begleitung und häufig auch viel Körperkontakt. Das Ablegen aus Tragetuch oder -system klappt selten, stattdessen leben viele High Need Babys auf oder an ihren Eltern. Trennungen von den engsten Bezugspersonen gelten folglich als äußerst schwierig. Zudem hängen solche Babys überdurchschnittlich häufig an Brust oder Flasche.

Diese Bedürftigkeit ist für Eltern ein großer Stressfaktor, von wohlmeinenden, jedoch meist unnützen Ratschlägen aus dem Umfeld mal ganz abgesehen. Denn auch gängige Baby-Beruhigungsmethoden wie Ausfahrten mit dem Kinderwagen sowie Schnuller und Spieluhren werden von High-Need-Kindern typischerweise abgelehnt.

Stattdessen müssen sich die Eltern häufig neue Tricks überlegen, um das Baby zumindest kurzfristig zu trösten oder abzulenken. Haben sie eine Möglichkeit gefunden, das Geschrei zu stoppen, kann es gut sein, dass ihr Kind schon am nächsten Tag nicht mehr darauf anspricht.

High Need Babys sind aktiver und dauernd unter Strom

Außerdem erleben High-Need-Mamas und -Papas ihr Kind als sehr reizoffen, was die Selbstregulation erschwert. High Need Babys scheinen ständig unter Strom zu stehen und alles um sich herum ungefiltert aufzusaugen. Zudem haben sie einen weitaus größeren Bewegungsdrang als Gleichaltrige. Gefühle – positive wie negative – werden intensiver durchlebt, ein Mittelmaß scheint es für diese Babys kaum zu geben.

Die Klassifizierung eines Babys als „high need“ hat keinen Krankheitswert!

Geprägt hat die Bezeichnung High Need Baby der US-amerikanische Kindermediziner William Sears, nachdem er mit dem vierten seiner acht Kinder eben jene Erfahrungen gemacht hatte. Ganz wichtig hierbei: Es handelt sich nicht um eine Diagnose im medizinischen Sinne – High Need Babys sind an und für sich vollkommen gesunde Kinder.

Sears zufolge sind High-Need-Kinder an 12 Anzeichen zu erkennen, darunter:

  • unruhiger Schlaf, häufiges Aufwachen und Füttern
  • besonders forderndes und ausdauerndes Schreien, das kaum Aufschub duldet
  • insgesamt geringes Schlafbedürfnis
  • ein sehr großes Bedürfnis nach Nähe, Trennungen sind erschwert
  • deutlich erhöhtes Aktivitätslevel
  • ausgeprägte Stimmungen, die innerhalb kurzer Zeit wechseln
  • kaum Selbstregulation möglich
  • Empfindlichkeit gegenüber Veränderungen

High Need hat nichts mit elterlichem Versagen zu tun 

Von High Need Babys heißt es deshalb oft, sie zählten für mehrere Kinder auf einmal. Die Anstrengung, die die Betreuung eines gefühlsstarken Babys mit sich bringt, sei mit durchschnittlicher Elternschaft nicht zu vergleichen, schreibt auch Nora Imlau in ihrem Ratgeber „So viel Freude, so viel Wut – gefühlsstarke Kinder verstehen und begleiten“. Sie setzt sich mit dem Begriff „gefühlsstark“ zugleich dafür ein, das Wesen dieser Kinder positiv zu besetzen, statt sie als fordernd, anstrengend oder intensiv zu beschreiben.

In vielen Punkten stimmt die Autorin mit Pädiater Sears überein – so beschreibt sie gefühlsstarke Kinder als sehr sensibel und offen für neue Eindrücke, als hartnäckig und energiegeladen. Auch Schwierigkeiten mit Veränderungen sieht sie als typisches Anzeichen.

Nicht selten gelangen die Betreuungspersonen früher oder später an einen Punkt tiefer Verzweiflung und beziehen es auf sich, wenn die Bedürfnisse des Babys wieder einmal kaum zu erfüllen sind. Dieser Gedanke liegt nahe, wenn es bei befreundeten Familien allem Anschein nach viel besser „flutscht“ oder sich die anderen Kleinen auf dem Spielplatz, im Babykurs oder in der Krippe weitaus besser selbst regulieren oder beruhigen lassen. Auch die Beziehung der Eltern kann unter der erhöhten Belastung durch Geschrei und Schlafmangel leiden, vor allem im ersten Babyjahr.

Ich kann nicht mehr: Was tun, wenn sich bei High-need-Eltern Verzweiflung breit macht?

Manche mögen High Need Baby für einen Modebegriff halten und kritisieren, Kinder in eine Schublade stecken zu wollen. Erschöpften Eltern aber kann schon die Klassifikation ihres Kindes als „high need“ oder gefühlsstark helfen, sich verstanden zu fühlen und die Schuld nicht bei sich zu suchen. Im besten Fall fühlen sich die Eltern von entsprechender Literatur oder Beratungsstellen aufgefangen und schaffen es, ihr Kind besser anzunehmen und ihm (noch) ruhiger zu begegnen.

Wissen High-Need-Eltern dennoch nicht mehr weiter und schränkt das ständige Geschrei sie stark ein, sollten sie sich zunächst an die behandelnde Kinderärztin oder den Kinderarzt wenden. Das gilt auch für Schreikinder, die nach heutigem Kenntnisstand meist an einer Regulationsstörung leiden. Der*die Mediziner*in kann organische Ursachen ausschließen und die Eltern mit ihrem Baby gegebenenfalls auch auf die Möglichkeit einer osteopathischen Behandlung verweisen. Darüber hinaus gibt es weitere Anlaufstellen wie Schreibaby-Ambulanzen und Schlafberatungen.

Auszeiten und Selbstfürsorge: für High-need-Eltern noch wichtiger

Auch ihr persönliches Umfeld – das sprichwörtliche Dorf – dürfen und sollten Eltern einspannen, um sich etwas Entlastung und kleine Auszeiten zu verschaffen. Denn elterlicher Stress färbt wieder auf das Kind/die Kinder ab, die dafür sehr feine Antennen besitzen – so droht eine Abwärtsspirale. Nehmen Sie daher jede sich bietende Möglichkeit an, um Selbstfürsorge zu betreiben (Sport, Meditieren, in Ruhe essen…) oder einen Pärchenabend zu verbringen. Nur, wer sich um sich selbst kümmert, kann seinem Kind liebevoll und geduldig begegnen.

Und: Vom speziellen Temperament ihres Kindes überlastete Eltern sind nicht allein! Auch, sich das immer wieder bewusst zu machen, kann helfen. Langfristig sinnvoll ist es insbesondere, sich mit den Eltern anderer High Need Babys oder -Kinder zusammenzutun: Ehrlicher Austausch und gegenseitiges Verständnis sind Gold wert.

Der Charakterzug „high need“ bleibt bestehen

Da es sich nicht um einen vorübergehenden Zustand, sondern schlicht um das Temperament eines Kindes handelt, werden High Need Babys nicht von heute auf morgen weniger intensiv oder gar zu Anfängerkindern. Sie brauchen während der ersten Lebensjahre und darüber hinaus viel Co-Regulation durch ihre Eltern, sei es beim Einschlafen, in Trennungssituationen oder bei Wutanfällen. Dennoch bessert sich die Situation häufig nach dem Babyalter, wenn die Kinder zu sprechen beginnen und lernen, ihre Bedürfnisse in Worte zu fassen.

Papa mit Kleinkind lächelt.jpg
© GettyImages/Westend61

Ein getriebenes Kind zu haben, hat aber durchaus auch schöne Seiten: High Need Babys gelten als Schnellentwickler, bringen ihr Umfeld durch ihre cleveren Ideen zum Staunen und Lachen. Schließlich werden nicht nur die negativen Gefühle besonders stark nach außen getragen, sondern auch die positiv besetzten. Durch ihren unbändigen Entdeckungsdrang wachsen High Need Babys oft zu besonders klugen, aufgeweckten Kindern heran, mit denen es bestimmt nie langweilig wird.

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